Als ich vor zwei Jahren zum Thema #Mobbing recherchierte, stieß ich auf Literatur, die belegte, wie weit die Folgen reichen.
Doch mit der Antwort einer Forscherin hatte ich nicht gerechnet. 🧵🪡
Triggerwarnung. In diesem Thread geht es auch um Suizidalität.
1/ So fand ich ein Interview mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Dieter Wolke, das mir zu denken gab. Wolke ist Wissenschaftler an der britischen University of Warwick und erforscht unter anderem die Langzeitfolgen von Mobbing. escap.eu/events/past-es…
2/ Er berichtet von zwei Studien aus den USA und Großbritannien, die zeigen, dass Opfer von Mobbing psychische Probleme wie Depressionen und Angstzustände entwickeln – und zwar häufiger, als Opfer von sexuellem Missbrauch und Misshandlung das tun.
3/ Sexueller Missbrauch und Misshandlung sind mit das Schlimmste, das einem Kind oder Jugendlichen widerfahren kann – es zeichnet dich ein Leben lang. Der Jugendpsychiater setzt im Interview noch einen drauf:
4/ „Eine unserer Studien zeigt zum Beispiel, dass 29 Prozent aller Depressionen auf Bullying zurückzuführen sind. Ähnliche Ergebnisse liegen für Angststörungen, gesteigertes selbstverletzendes Verhalten und Suizid sowie psychotische Symptome vor.“ bmj.com/content/350/bm…
5/ Mit 6.719 Teilnehmenden handelt es sich bei dieser Studie nicht gerade um ein kleines Experimentchen. Depressionen haben unter vielen anderen ein Symptom: Suizidalität.
6/ Um sicher zu sein, stellte ich einer Mobbing-Forscherin, Vanessa Jantzer, die Frage: „Ist es korrekt, wenn ich sage, dass die Wahrscheinlichkeit, sich das Leben zu nehmen, steigt, wenn man in der Kindheit und Jugend gemobbt wurde?“
7/ Jantzer ist Psychologin am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie forscht seit Jahren über Mobbing an Schulen, hat an 30 Schulen in Deutschland ein Präventionsprogramm getestet. Ihre Antwort:
„Das ist korrekt.“
8/ Diese drei Worte trafen mit in Mark und Bein. Innerlich hatte ich gehofft, von ihr ein Nein zu hören. Schlussendlich erinnerte mich all das an meine eigene Kindheit, in der ich jahrelang gemobbt wurde – und im Alter von 12 Jahren zum ersten Mal suizidal war.
9/ Jantzer sagte: „Es gibt Studien, die zeigen, dass selbst zehn Jahre später das Risiko für psychische Störungen erhöht ist (Angststörungen oder Depressionen) – und auch im Alter von 40 oder 50 Jahren sind Lebensqualität und Beziehungen eingeschränkt. ajp.psychiatryonline.org/doi/full/10.11…,
10/ Partnerschaften und Freundschaften leiden darunter, weil den Betroffenen positive Erfahrungen in der Peergroup fehlen.“
Allerdings gebe es resiliente Betroffene, die keine Folgestörungen entwickeln – Mobbing mache also nicht immer krank, aber das Risiko sei erhöht.
11/ Wenn ich aus all dem etwas gelernt habe, dann ist es das: Mobbing-Prävention ist eine der wichtigsten Aufgaben, die sich Schulen für das Jahr 2023 vornehmen sollten. Denn „ignorieren“ hat weitreichende, fatale Folgen. Für die Betroffenen.
Übrigens: Dieser Thread ist ein Auszug meines Textes „Mobbing ist Psychoterror“. Die komplette Recherche findest du hier: krautreporter.de/3877-mobbing-i…
Wenn dir dieser Thread gefallen hat, folge mir gerne hier unter @martingommel. Ich bin Reporter für psychische Gesundheit und twittere über den Umgang mit psychisch kranken, meine Depressionen und: Mobbing.
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Dieser Moment, in dem dir klar wird, dass du psychisch krank – und somit nicht „selbst schuld“ an deiner schwierigen Situation bist.
1/ Viele Menschen glauben in der Zeit vor ihrer Diagnose, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Sie sind sicher, dass sie falsch, faul oder einfach komisch sind.
2/ Und eigentlich selbst verschuldet haben, wenn sie es, zum Beispiel bei Depressionen, nicht schaffen, aufzustehen oder zu arbeiten.
1/ Wie man psychisch Kranke in die Isolation treibt. Und warum ich nicht bereit bin, das zu akzeptieren. Ein Thread, der längst überfällig ist. 🧵🪡
2/ Stell dir vor, du kämpfst mit einer chronischen Krankheit wie Diabetes. Du spitzt dir selbst Insulin, gehst regelmäßig zum Arzt und tust alles, was in deiner Macht steht, um das Diabetes im Zaun zu halten.
3/ Deine Angehörigen begreifen, dass du bestimmte Dinge nur in Maßen essen kannst und auch, dass dein Körper krank ist.
1/8 Wenn Menschen das Wort „Depression“ hören, denken sie oft an Trauer oder Niedergeschlagenheit. Aber für Menschen, die an schwerer Depression leiden, ist es viel mehr als das. Es ist eine schwere Last, die sich unmöglich abschütteln lässt, egal was man tut.
2/8 Es kann sich so anfühlen, taub für die Welt um einen herum zu sein, als würde man einfach nur die Bewegungen ausführen, ohne wirklich zu leben.
3/8 Oft ist es ein ständiger Kampf, aus dem Bett zu kommen und den Tag zu meistern, und manchmal fühlt es sich an, als würde man durch Treibsand waten, nur um durchzuhalten.
Ich war 19, saß stundenlang ohne Begleitung im Krankenhaus in einem Wartebereich. Der Arzt kam nicht und ich weinte und weinte. Um mich herum lauter Menschen, die wegsahen. Irgendwann fragte die Frau neben mir:
„Was ist denn los?“ „Ich habe gestern erfahren, dass ich Krebs habe.“ „Das ist schlimm“, sagte sie und gab mir ein Taschentuch. Das half.
– Andrea
(Name geändert)
Übrigens: Das ist die aktuelle Ausgabe meines Newsletters „Die freundliche Geste“. Dort sammle ich zwischenmenschliche Geschichten, die im Taumel schlechter Nachrichten Hoffnung machen.
Ein wesentlicher Faktor für mein wachsendes Wohlbefinden ist, dass ich vor 8 Monaten meinen Erzieherjob an den Nagel hängte.
Diese (prekäre) Arbeit mit Kindern war mein Herzblut, trieb jedoch meine psychische Gesundheit in den Ruin.
Mein Ausstieg: beste Entscheidung, ever.
Als ich 2004 meine Ausbildung abschloss, wollte ich etwas Gutes tun. Menschen helfen. Hätte ich gewusst, wie zerstörerisch für meine Gesundheit diese Arbeit langfristig sein würde, ich hätte nie begonnen.
Stattdessen startete ich einen Fotonewsletter, um Menschen zu helfen, bessere Bilder zu machen.