Die Eltern einer kleinen Patientin erzählen, dass das Geschwisterkind zuhause sehr in sich gekehrt und teilweise aggressiv ist, seit die Tochter auf Intensiv liegt.

Sie möchten ihn schützen und haben sich deshalb bisher dagegen entschieden, mit ihm auf die Station zu kommen.
Sie haben Angst, dass der Sohn den Anblick nicht ertragen könnte.

Wir reden, erklären unter welchen Umständen ein Besuch gut und sinnvoll sein kann.

Dass die eigenen Gedanken, das Phantom „Krankenhaus“ und die sichtbare Sorge der Eltern für Kinder meist viel schlimmer
auszuhalten sind, als begleitet ihr Geschwisterchen zu besuchen.

Die Eltern vertrauen uns, wir planen den Besuch.

Kurz vorher nochmal eine telefonische Absprache, ob der Zustand der Patientin stabil genug ist.
Die Familie kommt. Der Junge hat ein wundervolles Bild für seine Schwester gemalt und sein Lieblingskuscheltier dabei.

Zu Beginn sind die Eltern angespannt, ich kümmere mich um den kleinen Besucher. Er hat ein paar technische Fragen aber blendet scheinbar
sehr viel „Drumherum“ aus, wirkt weder erschrocken noch sonderlich irritiert. Er sieht einfach nur seine kranke Schwester & ist ganz sanft und liebevoll, spricht mit ihr, erklärt ihr das Bild und möchte sein Kuscheltier so lange dalassen bis das Mädchen wieder gesund ist.
Und dann merkt man nach circa 10 Minuten: es wird langweilig.

Das Geschwisterchen schläft (medikamentös) so tief, dass sie sie nicht zusammen spielen können. An der Technik darf er nicht herumdrücken und eigentlich weiß er jetzt Bescheid, wo seine Schwester ist, dass wir Alles
versuchen, damit sie wieder gesund wird und alle seine Fragen sind erstmal altersgerecht beantwortet.

Also verlasse ich mit ihm das Zimmer, damit die Eltern bleiben können und bringe ihn vor die Station wo (wie verabredet) seine Tante schon wartet. Die beiden werden nun ein Eis
essen gehen und dann im Park spielen, bevor sie mit den Eltern nach Hause fahren.
Am nächsten Tag erzählen Mama und Papa dass sie erleichtert sind, diesen Besuch gewagt zu haben. Ihr Sohn sei wie ausgewechselt, jetzt da er weiß, wo seine Schwester ist, weil man ihn einbezogen
hat und er nun besser verstehen kann, wo Mama und Papa jeden Tag hinfahren und warum sie manchmal so sehr weinen müssen.

Kinder sind unheimlich klug und empathisch. Und wir helfen ihnen mehr, wenn wir sie ernstnehmen, ehrlich sind und auf sie eingehen, als wenn wir versuchen
ihnen etwas zu verheimlichen - auch wenn das sicherlich aus der besten Absicht heraus passiert.

#kinderintensiv #geschwisterkind

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Dec 12, 2022
Ich bleibe länger, mal wieder.

Weil wir einen Kampf verloren haben.
Weil die Familie jemanden braucht, der sie begleitet.
Weil wir es dem kleinen Kämpfer schuldig sind, liebevoll und in Ruhe von den Schläuchen und Kabeln befreit, gewaschen, eingecremt und ankleidet zu werden.
Weil wir auf Wunsch der Eltern verabredet haben, dass wir noch Fußabdrücke machen und die Sternenkinderfotografen kommen sollen.
Weil die Kollegen der nächsten Schicht keine Zeit haben, da schon wieder ein neuer Notfall versorgt und aufgenommen werden muss.
Weil wir mal wieder unterbesetzt arbeiten.
Weil ich das Kind lange versorgt und so auch eine Bindung aufgebaut habe.
Und weil auch nach dem Tod noch Einiges zu organisieren und der Papierkram zu erledigen ist.

Und ich bin froh, dass meine Freunde und Familie immer wieder
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Nov 18, 2022
Das Notfalltelefon klingelt. Säugling unter laufender Reanimation. Eintreffen in der Klinik in ca. 30 Minuten.
Die Station ist mit 1 Bett überbelegt und eine Kollegin ist krankheitsbedingt ausgefallen.
Wir besprechen uns blitzschnell.
Eine weitere erfahrene Pflegekraft und ich
werden die Station betreuen, denn das restliche Team (Ärzte und Pflege) wird komplett gebraucht.
Wir bekommen kurze Infos zu den Patienten. Welche Medikamente zu geben sind, welche pfleg. Maßnahmen nicht warten können, welche Patiententen häufig kritische Monitoralarme haben.
Die Kollegen richten den Schockraum auf unserer Station her, Notfallmedikamente und Perfusoren werden aufgezogen. Dann machen sie ein kurzes Briefing und warten auf das Eintreffen des Rettungsteams.
Meine Kollegin und ich besprechen uns kurz, teilen die 11 Patienten zwischen uns
Read 14 tweets
Nov 7, 2022
Aus aktuellem & wiederkehrendem Anlass:

Stell dir vor Du bist ein Kind. Deine Eltern erzählen dir, dass man bei dir Blut abnehmen oder dir eine Impfung geben muss. Sie sagen, dass das auch wirklich garnicht wehtut. Und Du seist doch so ein tapferes Kind.
Und dann bekommst Du in der Arztpraxis, im RTW oder in der Kinderklinik diesen Pieks - und es tut eben doch weh. Du erschrickst und versuchst den Arm wegzuziehen. Vielleicht musst Du jetzt sogar festgehalten werden und man versucht es nochmal.
Dabei haben deine Eltern dir doch erzählt, dass das garnicht wehtut. Du bekommst Panik und brüllst. Und dir wird klar: sie haben dich angelogen.
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Nov 4, 2022
Wenn ich an den Winter 20/21 zurückdenke, gefriert mir noch immer das Blut in den Adern.

Damals kamen die Impfstoffe gerade erst auf den Markt, die Empfehlungen für Schwangere erst deutlich später.

Alle Schwangeren mit Covid19 kamen aus einem großen Einzugsgebiet zu uns.
Die Logistik war enorm. Wenn eine positiv getestete Frau sectioniert werden musste - egal wie reif das Kind war,
fand das in einem dafür
geblockten OP-Saal statt, recht weit entfernt von unserer KinderIntensiv.

Deshalb haben wir eine Extra-Neugeborenen-
Erstversorgungseinheit hergerichtet, mit allen evtl benötigten Utensilien bestückt, und mit einem Beatmungsgerät versehen.

Es gab einige Gebärende, die nur milde Symptome hatten und bei denen es auch bei den reifen Neugeborenen keine Probleme gab.
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Nov 1, 2022
So, ich lass das jetzt.

Hab in der Küche angefangen, die ist nämlich winzig - ziemlich winzig und deshalb steht auch das Fensterbrett hinter der Spüle komplett voll.
Alles abgeräumt, gewischt, sortiert. Nachdem jedes Teil wieder sauber an seinem Platz in kleinen Weidetabletts
stand, ich die Spülmaschine ausgeräumt und den Teppich gesaugt hatte, dachte ich mir „Hey, der Wasserkocher (auf dem Fensterbrett positioniert) könnte noch eine Entkalkungsaktion vertragen“ also Wasser rein, einen Schwups Zitronensäure und weil das grad noch herumlag etwas
Natronpulver (viel hilft ja bekanntlich viel). Habe mir einen Kaffee gemacht und wollte, während ich den trinke die Einwirkzeit in Ruhe abwarten. Tja…Pustekuchen. Plötzlich höre ich aus dem Wohnzimmer wie es in der Küche zischt und brodelt.

Ich habe soeben ALLES nochmal
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Oct 22, 2022
Und ja, man darf zornig sein, wenn im Krankenhaus beim eigenen Kind ein Fehler unterläuft.

Man kann natürlich auf die Pflegekraft schimpfen. Aber was denkt ihr, was das Alles mit uns macht?

Wir arbeiten seit Jahren am Limit, machen Überstunden, haben regelmäßig
keine Pause, springen an unseren wenigen freien Tagen ein und versuchen mit letzten Kräften das kaputte System zu kompensieren um mit großer Mühe die Kinder wieder gesund zu machen.

Nicht selten haben wir deshalb sogar noch Streit mit unseren Partnern, Familien, Freunden, mit
denen wir eigentlich verabredet waren, als das Telefon mal wieder klingelte, ob wir einspringen können und sie müssen wiederholt zurückstecken.

Es wird seit Jahren mit argwöhnisch verschrenkten Armen und einem süffisanten Lächeln auf den Lippen dabei zugesehen, wie wir
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