Positionen müssen sich argumentativ im Diskurs behaupten. Die "Verhandlungen jetzt"-Position ist eine Position des Auslassens, Ausweichens, Implizierens. Sie muss besser als bisher dechiffriert werden. Deshalb: 10 Fragen an die Protagonist*innen, die ich gern öfter hören würde.
1. Mit welchem Ziel hat Russland die Ukraine angegriffen? Aus welchen Hinweisen schließen Sie auf dieses Ziel? Gibt es auch Hinweise auf anderslautende Ziele? Nach welchen Kriterien gewichten Sie die Hinweise, sodass Ihnen Ihre Interpretation zutreffender scheint?
2. Vor der erneuten Invasion am 24. Februar '22 wurde mehrere Monate lang in Verhandlungen versucht, Russland von einem Angriff abzubringen. Woran sind diese Verhandlungen aus Ihrer Sicht gescheitert? Weshalb glauben Sie, dass erneute Verhandlungen mehr Aussicht auf Erfolg haben?
3. Welche und wieviele bewaffnete Konflikte, die Russland unter Putin geführt hat, wurden durch Verhandlungen beigelegt?
4. Worauf stützt sich Ihre Annahme, Russland sei aktuell verhandlungsbereit? Sehen Sie auch Hinweise auf fehlende Verhandlungsbereitschaft bei Russland? Warum wiegen diese aus Ihrer Sicht weniger als erstere?
5. Was halten Sie für ein Verhandlungsergebnis, dass Russland akzeptieren würde? Was müsste die Ukraine dafür aus Ihrer Sicht abgeben? Welche Lehre folgt daraus für mögliche weitere Konflikte, die Russland beginnt?
6. Welche Maßnahmen zur Absicherung des Verhandlungsergebnisses und der Verhinderung eines erneuten Kriegsausbruchs müsste Russland aus Ihrer Sicht akzeptieren? Wie wahrscheinlich ist es, dass Russland diese tatsächlich akzeptiert?
7. Wie beurteilen Sie bisher die russische Kriegsführung? Ist Ihr Eindruck, dass Russland bestrebt ist, humanitärvölkerrechtliche Normen einzuhalten? Wenn ja, woran machen Sie das fest? Wenn nein, warum führt Russland diesen Krieg auf diese Weise?
8. Was wissen Sie über das Leben unter einer Besatzung? Wenn ukr Gebiete unter russ Besatzung verbleiben, welche Folgen hätte das für die ukr Bevölkerung? Glauben Sie, der Zustand wäre anders als in den bisher von der russischen Armee besetzten Gebieten und wenn ja, warum?
9. Nachdem es einem mächtigen Staat gelungen ist, Teile des Territoriums eines anderen souveränen Staates zu erobern und diese nach Verhandlungen zu behalten - wäre ein solcher Frieden stabil? Lebt die Bevölkerung in dem besiegten und besetzten Land dann auch im Frieden?
10. Halten Sie es für möglich, dass Sie sich irren? Welche Hinweise müssten Sie sehen / welche Argumente hören, um Ihre Position zu überdenken? Wenn Sie merken würden, sie hätten sich geirrt, würden Sie die Position noch verlassen können, nachdem Sie sich so exponiert haben? /end
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Late to the party, aber die Ehre der Disziplin IB (Internationale Beziehungen) will verteidigt werden. Deswegen will ich zwei Punkte ergänzen, um die es in dieser Debatte auch geht: 1) Verhältnis Theorie und Empirie ("kleinteilige Regionalexpertise); 2) Kategorienfehler. 🧵 1/7
1) Wir brauchen selbstverständlich *abstraktes* theoretisches Wissen und auch unterschiedliche Perspektiven, die uns insbesondere für die Bereiche, über die wir zu wenig *konkretes* wissen, als Heuristiken für die Annäherung an den Gegenstand dienen können. ABER
2/7
1a) Theorie muss sich immer an der Empirie bewähren und wenn sie es nicht tut, passen wir die Theorie an und biegen uns nicht die Empirie zurecht.
1b) Der Fall des Ukrainekrieges ist kein Fall, in dem wir zu wenig wissen und uns mit grobschlächtigen Theorien behelfen müssen.
3/7
Eine dubiose Elterninitiative fordert mich auf, mich von der Stellungnahme „Kinder in der Pandemie“ (@JSchmitzLeipzig) zu distanzieren, die die Covid-19-Impfung für Kinder empfiehlt.
Drollig.
Lieber verrate ich, was ich für die 3 größten Fehler in der Pandemiebekämpfung halte.
1. Am Anfang nicht zu erkennen, dass es nur eine richtige Option im Umgang mit Sars-CoV-2 gab, für welche sich das Handlungsfenster rapide schloss, nämlich: Ausrottung.
2. Solange zu behaupten, man müsse nichts tun bis man behaupten konnte, man könne nichts mehr tun.
Zwei klarstellende Punkte zum Krieg gegen die Ukraine betreffend 1) die Rechtmäßigkeit der ukrainischen Angriffe auf militärische Ziele auf russischem Territorium 2) die Kriegsführung der NATO und der USA in der Vergangenheit. 🧵
ad 1) Ob sich UKR Angriffe auf militärische Ziele in RUS unter Selbstverteidigung fassen lassen, ist in dem Fall nicht relevant; Selbstverteidigung ist eine Kategorie aus dem ius ad bellum (bzw ius contra bellum), relevant ist aber das ius in bello.
Weil: Nachdem RUS völkerrechtswidrig den Krieg begonnen hat, sind beide Staaten miteinander im Krieg und das ius in bello = das Recht des bewaffneten Konflikts greift automatisch. Es unterscheidet nicht zwischen Aggressor und Verteidiger, sondern gilt für alle Konfliktparteien.
Ich stimme nicht allem zu, was Herr Gärditz im @verfassungsblog zur Wissenschaftsfreiheit schreibt, aber für ein paar Feststellungen - die leider mitnichten nur auf den Fall Ulrike Guérot anwendbar sind - bin ich dankbar: 🧵 aus 5 Snippets.
TL;DR: Die @UniBonn sollte sich äußern.
1a. "Hiernach fallen dann auch Verschwörungstheorien, extremistische Positionen oder krude Verirrungen, soweit sie nicht vorsätzlich unwahr sind, unter den Schutz der Meinungsfreiheit."
1b. "Mit wissenschaftlichen Aussagen verbindet sich hingegen ein – stets relativer und vorläufiger – RICHTIGKEITSANSPRUCH, der sich auf qualifizierte Gründe stützt. „Free speech makes no distinction about quality; academic freedom does“." (meine Hervorhebung)