Nehmen wir an, Beate Beispiel kritisiert den Tweet einer Organisation. Sie retweetet ihn und kritisiert höflich, dass die Orga die Antwortoption eingeschränkt hat. 3 Tweets gehen zwischen ihr und der Orga hin und her, unaufgeregt, verschiedene Standpunkte werden getauscht.
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Vielleicht ändert eine Seite ihre Sichtweise. Vielleicht bleiben auch die diversen Sichtweisen nebeneinander einfach bestehen. Es gibt für beide Seiten ein paar Likes, vielleicht kommentieren noch ein paar Leute. Alles keine große Sache.
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Die Kritik bekommt den Raum, den sie braucht. Und es geht um genau den einen Fakt, der offen zu sehen ist, nämlich die eingeschränkte Option des Antwortens, aber nicht um mehr als die Tatsachen. Und dafür wird niemand geteert und gefedert.
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Stellen wir uns diese Kritik von Beate Beispiel in einem anderen Szenario vor:
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Nehmen wir an, mehrere Leute, die vor allem Hass auf bestimmte Gruppen verbreiten, dabei vielleicht noch geschickt ihr Publikum manipulieren und sehr wohl wissen, was sie tun, streuen Gerüchte, bringen eine oder mehrere Orgas oder Einzelpersonen in Verruf.
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Stück für Stück werden Narrative verbreitet, aus Indizien werden Kartenhäuser gebaut, es werden Zusammenhänge erfunden. Beweise für irgendein unlauteres Verhalten gibt es keine oder nur für marginal relevante Dinge. Jedoch nichts Wildes.
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Aber ein paar größere Accounts geben sich, als hätten sie die Verschwörung des Jahrhunderts aufgetan. Und eine breite Masse spekuliert sensationshungrig in immer krasseren Fantasien, welche bösen Dinge wohl vorgefallen sein könnten.
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Ein Shitstorm breitet sich immer weiter aus. Jede*r will mitreden bei diesem großen Thema. Über die Organisation ergießen sich kübelweise Falschbeschuldigungen, es landen Beleidigungen und Drohungen in ihren DMs.
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Das wäre eine Situation, in der die kleine Kritik von Beate Beispiel, einen Post in der Antwortoption einzuschränken, evtl. hunderte Likes bekommt und plötzlich der aufgebrachten Masse als weiterer Beleg gilt, dass hier irgendwelche bösen Machenschaften zugange sind.
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Irgendwer verwechselt das quasi digitale Hausrecht, die Diskussion auf dem eigenen Account zu beschränken in grotesker Weise mit der Beschränkung, sich selbst zu äußern und ruft: "Meinungsfreiheit!“. Irgendjemand bringt einen sehr unpassenden Vergleich mit einer Diktatur.
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Alles eskaliert unter diesem einen, ursprünglich sachlich-kritischen Tweet. Die Orga verwehrt sich etwas ungehalten gegen den unpassenden Vergleich und – Schwupp! - dreht sich diese völlig diskursverschobene Diskussion darum, wer schlimmer ist,
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Diktatoren oder eine Orga, die - vielleicht aus Zeit- oder Kräftemangel, vielleicht, um etwas mehr Kontrolle über Kommentare auf ihrem Account zu haben - die Antwortoption beschränkt hat, wozu sie auf dem eigenen Profil absolut das Recht hat.
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Da ist nichts mehr mit sachlicher Diskussion, da geht bei vielen der Respekt für andere Sichtweisen und Meinungen verloren, kommuniziert wird von zu vielen auf eine recht schäbige Art. So wird keine Verständigung stattfinden. Das Ganze ist nur noch destruktiv.
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Was bleibt davon in manchen Köpfen übrig? - "Schlimm, was diese Orga gemacht hat! Die schränken ja sogar die freie Rede ein! Die sind ja diktatorisch! Und sich dann auch noch gegen entsprechende Vergleiche positionieren! Diese Heuchler!"
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Dabei ist nichts von diesen Vorwürfen – freie Rede beschränken, „diktatorisch“ sein - faktisch passiert, nur eine Verwehrung des entspr Vergleichs und eine eingeschränkte Antwortoption.
In diesem Bsp werden Aussagen offensichtlich falsch verstanden und fehlinterpretiert.
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Derselbe Tweet kann also verschiedene Auswirkungen haben. Je nach umliegender Meinung, Lesart dieses Tweets, aktueller Einstellung oder verbreiteten Emotionen.
Das passiert mit Tweets unterschiedlich stark, mit manchen mehr, mit manchen weniger.
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Auch weniger beachtete Tweets, die alle in dasselbe aufgebrachte Horn stoßen, sind relevant. Sie bekommen in Summe Gewicht, bilden einen Trend, formen öffentl Wahrnehmung.
Rezipienten nehmen so subjektiv immer mehr an „Beweis“ oder scheinbar berechtigtem Verdacht wahr.
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Und viele lesen mit selektiver Wahrnehmung auf der Suche nach Dingen, die ihre Meinung nähren. Gegenteilige Infos werden ausgeblendet oder durch Twitter-Algorithmen gar nicht erst angezeigt, Beschwichtigendes nicht gehört oder durch aufgeregte Emotion weggefegt.
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- An einem Shitstorm beteiligen sich viele, durch Spekulationen, Retweets und Likes. Sie halten so den Ball am Laufen. Wie Wellen um einen Stein, der in einen See geworfen wird, vergrößern sie den Sturm.
Auch ohne einen einzigen Beweis für etwas Schlimmes.
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Wer in so einer Lage twittert, muss sich fragen: Welchen Trend unterstützt mein Tweet? Welche öffentl Wahrnehmung vergrößert er? Wem schadet und wem nutzt er?
(Zu diesem Thread sagen sicher einige: „Aber was ist, wenn Vorwürfe stimmen?“ Dazu später in folgenden Teilen.)
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Weiter geht es nach der nächsten Mau... äh... mit dem nächsten Thread-Teil dieser Reihe. 😉🙂
Diskussionen auf Twitter können sich stark auf die Entscheidung auswirken, ob oder wohin gespendet wird, denn sie können sich auf den Ruf von Spendensammelnden auswirken.
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Das beeinflusst Dinge wie Vertrauen, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und somit letztlich die Spendenbereitschaft.
Was auf Twitter abläuft, hat dabei verschiedene Facetten, die gar nicht so leicht zu überblicken sind:
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Spenden, Shitstorms und Rufschädigung, Armutsbetroffene 🧵
Sehr lange Threadreihe. Zur besseren Lesbarkeit in 8 Teilen. Ja, acht. Kürzer kriege ich das gerade nicht. Sie hängen alle inhaltlich zusammen. Ich tweete sie über die nächsten Tage. #Spenden#Shitstorm#Armut
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Thread 1 von 8: Spenden
Menschen, die Geld spenden, wollen sich sicher sein können, wo dieses Geld hingeht. Sicher, dass sie damit echt Bedürftige unterstützen und nicht Leute, die nur bedürftig tun.
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Und sie wollen oft auch, dass sie damit keine Person oder Intention unterstützen, deren Ziele sie nicht teilen oder die sie als unmoralisch einschätzen.
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#IchBinArmutsbetroffen und habe lange verinnerlicht, dass ich mich darüber nicht beklagen darf, weil ich #Student|in bin. Ich war schon froh, wenn mir jemand nicht unterstellte, Studentenleben wäre immer leicht, S seien alle faul, partysüchtig, reich, unreif, Snobs.
1/12
Hinzu kam auch wiederholt #Ableismus, da ich chronisch krank bin.
Ich wollte also die Vorurteile beschränken und nicht noch #Klassismus hören.
Aber wir müssen klarstellen, dass #IchBinArmutsbetroffen für keine Gruppe normal und okay gefunden werden darf!
2/12
Studieren ist nicht für alle so günstig möglich, wie viele meinen. Wie viel es kostet und wie es finanzierbar ist, ist komplex, hängt v vielen Faktoren ab, u.a. örtliche Miethöhe, Alter, Zugang zum BAföG (bisher eher schlecht, dazu findet ihr viel via google).