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Apr 21 • 18 tweets • 4 min read Twitter logo Read on Twitter
🧵zum Mythos(?) "Lehrer-Echo" (#twlz #twittercampus)

Im Kern geht es beim „Lehrer-Echo“ um das (vermeintlich) schadhafte Wiederholen von Schüleräußerungen.
Dem "Lehrer-Echo" bin ich das erste Mal in meiner eigenen Studienzeit und später, während der Betreuung der Schulpraktika
an der Uni Hildesheim recht regelmäßig begegnet. In der Regel haben die Praktikumsmentoren darauf hingewiesen, dass ein (zu häufiges) Lehrer-Echo problematisch sei, da die Schüler dann nicht mehr richtig zuhören.
Auch in dem von mir bereits kritisch eingeordnetem Praxishandbuch „Erfolgreich unterrichten kompakt“ von Marco Ringel aus dem Klett-Verlag findet sich ein Kapitel dazu, mit der vielsagenden Überschrift „Lehrerecho vermeiden“. Ringel hält dort fest auf etwas über einer Seite
u.a. fest, dass Schüler sich durch „Lehrer-Echo“ nicht wertgeschätzt fühlen, wegen der permanenten Verbesserung und dass sie den Klassenkameraden nicht mehr zuhören, weil die Lehrkraft ja ohnehin alles nochmal sagt. Als (einzige) Quelle für seine Ausführungen greift
Ringel auf Stefan Bittners „Das Unterrichtsgespräch“ (2006) zurück. Dort findet sich ca. eine halbe Seite zu dem Phänomen, in dem das „Lehrer-Echo“ gar als Unsitte verpönt wird (siehe Screenshot) mit noch etwas weitergehenden Argumenten und in einer m.E. für eine
wissenschaftliche Abhandlung unsäglichen Diktion. Bittner nun wiederum führt als Quellen Geisslers Analyse des Unterrichts (1973) sowie „How to use the Fine Art of Questioning“ von P. Groisser (1969) auf. Image
Ich kenne beide Werke nicht bzw. konnte erstmal keinen Online-Zugriff erhalten, vermute aber aus dem Stehgreif einmal, dass in beiden Werken keinerlei empirische Untersuchung zur tatsächlichen Wirkungsweise des Lehrer-Echos stattfindet. Denn – hier wird es spannend –
diese zu finden ist eine Herausforderung. So greift meine ehemalige Hildesheimer Kollegin Peggy Richert in ihrer Diss von 2005 auch die Ausführungen Geisslers auf, hält aber gleichsam fest, dass die Empirie hierzu defizitär ist (eine Recherche bei FIS-Bildung bestätigt dieses).
Und so stellt sich nun die Frage, woher kommt eigentlich dieses Wissen über ein (vermeintlich) problematisches „Lehrer-Echo“. In einer eigenen Erhebung zum Thema bei Lehramtsstudis und Lehrkräften im Beruf (deren Daten ich aus irgendwann mal publizieren muss) zeigt sich Image
dabei für mich erwartungskonformes: Wie in Hildesheim selbst erlebt, sind es in erster Linie Praktikumsmentoren oder andere Mentoren/erfahrene Lehrkräfte, die diesen Hinweis weitergeben.
Und so entsteht nach und nach ein Wissen, über das sich Lehrkräfte einig sind, wie Wipperfürth (2016) in ihrer Arbeit festhält. Image
Nun aber haben wir bei all dem gesichteten immer noch keine Studie dabei, die tatsächlich einmal Auswirkungen des „Lehrer-Echos“ in den Blick genommen hätte. Mir persönlich ist neben Urhahne et al. (2019) zu dem Thema wenig bekannt, aber das Fazit (hier mal die deutschsprachige
Variante aus einem Tagungsband, zur Lesefreundlichkeit, die Studie ist egtl. auf Englisch erschienen) dort fällt deutlich anders als die bisherigen Einschätzungen aus, Zitat: "Auch wenn das Lehrerecho keine Verhaltensweise ist, die
den roten Faden des Unterrichts weiterspinnt, scheint der begrenzte Einsatz mehr Nutzen als Schaden zu stiften. Das Lehrerecho a priori zu verteufeln, wie viele Seminarlehrer es tun, ist aufgrund der empirischen Befunde nicht gerecht fertigt."
Dieses Beispiel habe ich in meiner Einführungssitzung einer Vorlesung zum „Lehren“ den Studierenden präsentiert. In der Vorlesung sind auch einige bereits sehr weit fortgeschrittene Studis mit drin. Zwei Tage später erreichte mich eine Mail mit der Bitte um die Weiterleitung der
der Studie von Urhahne et al., da ein Student im Praktikum in der Schweiz genau diese Rückmeldung von seiner Praktikumslehrperson bekommen hat, er solle sein „Lehrer-Echo“ vermeiden. Wobei, stimmt nicht ganz – anscheinend firmiert das „Lehrer-Echo“ bei den Schweizer Mentoren
unter dem Stichwort Papagei – der unbelegte inhaltliche Vorwurf bleibt derselbe.
P.S.:
Ich habe selber nicht zum Thema geforscht und aufgrund der dĂĽnnen Empirie wĂĽrd ich mich auch keinesfalls hinreiĂźen lassen, hier eine endgĂĽltige Aussage zu treffen. Mein Appell ist eher: Es lohnt sich, die Quellen vermeintlich gesicherten Wissens zu hinterfragen.

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