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Apr 22 21 tweets 4 min read Twitter logo Read on Twitter
Triggerwarnung: Sterben

Wir müssen über den Tod und die Gestaltung des Lebensendes reden...

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Jeder kennt jeden. Konservativ. Man geht in die Kirche und trifft sich viel auf dem Friedhof. Der Tod war für mich als Kind ein normaler Begleiter.
Er gehörte zum Leben dazu. Dadurch, dass man die Großeltern der anderen z.B. kannte, hat man auch mitbekommen, dass jemand gestorben war und was das bedeutete.

Hinzu kommt, dass meine Eltern uns auch immer zu den Toten in unserer Familie gelassen haben, damit wir uns
verabschieden können. Das hat sehr geholfen muss ich retrospektiv sagen. Für mich war auch als Kind immer klar: Der Tod ist endgültig.

Mein Opa hat sich nach dem Krieg in unserem Dorf niedergelassen und viel Sterbebegleitung gemacht, als das Konzept noch nicht bekannt war.
In den 50er und 60er Jahren hat er die Patienten aus dem Krankenhaus nach Hause geholt, damit sie zu Hause in Würde gehen können. Damit sie nicht, so wie damals zum Teil üblich, in einer Abstellkammer sterben. Dafür waren viele Angehörige sehr dankbar.
Das hat mein Vater als Landarzt fortgeführt. Als Kind und Jugenliche bin ich gerne mit ihm auf Hausbesuche gegangen. Dort waren wir auch oft bei sterbenden Patienten und er hat mir viel zum Sterben erklärt. Ich profitiere heute noch davon.
"Die Medizin behandelt, die Natur heilt" ist sein Grundsatz. Aber irgendwann kommen wir alle an dem Punkt, an dem trotz aller Behandlung eine Heilung nicht mehr möglich ist.

Und das ist heute ein Problem. Wir können heute Operationen durchführen an schon sehr kranken Patienten,
die vor Jahren undenkbar waren. Wir haben uns technisch fortentwickelt. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, wie man das Outcome verbessern kann. Trotzdem wird der Kampf irgendwann "verloren". So zumindest habe ich es im Studium in der Lehre empfunden. Wie eine Schmach. Ein Versagen
Dabei ist nichts so sicher im Leben, wie der Tod. Der kommt irgendwann für uns alle.

Für mich als Ärztin ist die Sterbebegleitung ein Privileg und eine der Grundpflichten ärztlichen und pflegerischen Handelns seit jeher & doch ist so viel Unsicherheit & Unwissen damit verbunden
Es ist mein letzter Dienst am Patienten. Ein Privileg

Gestern habe ich jemanden begleitet, wir sassen zu dritt bei dem jungen Patienten und haben die Hand gehalten. Mit ihm geredet. Er ist sehr friedlich eingeschlafen. Vielleicht ein kleiner Trost trotz des viel zu frühen Todes.
Aber viel zu oft muss ich mittlerweile gegen meine eigene ethische Einstellung handeln.

Der Satz "Es gibt keine Therapieeinschränkungen, die Angehörigen wollen alles" ist aus meiner Sicht ein fataler Satz. Was tut man dem jeweiligen Patienten damit teilweise an?
Können tun wir viel aber ist es auch immer sinnvoll?

Ich sage nein. Oftmals, besonders im intensivmedizinischen Setting zögern wir das Leid nur hinaus. Und ein langer intensivmedizinscher Aufenthalt ist auch meist mit eine erhöhten Mortalität in den nächsten Jahren verbunden.
Wenn man sich selbst die Frage stellt, wie man sterben will, würden die meisten doch am liebsten einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen. Zu Hause. Schmerzfrei. Ohne Angst. Im Beisein der Liebsten.

Jeder muss die Frage für sich selbst beantworten aber ist es immer so gut
wenn man auf "Gedeih und Verderb" den Patienten am Leben erhält? Manchmal ist der Tod eine Gnade.

Ich würde mir wünschen, dass viele sich rechtzeitig mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen. Sich Gedanken machen, was sie für sich persönlich als "lebenswert" erachten.
Für den einen mag es eine Rollstuhlpflichtigkeit nach Schlaganfall sein, für den anderen ist das schon zu viel. Wichtig ist, dass man sich vorher schon damit auseinander setzt & dies auch mit den Angehörigen kommuniziert, wenn man es noch kann und nicht, wenn es schon zu spät ist
Ich würde mir von der Gesellschaft einen offeneren Umgang wünschen. Palliativ heisst nicht, man macht "nix mehr" und lässt die Patienten "einfach sterben". Das bedeutet auch, dass man versucht den letzten Lebensabschnitt mit der verbliebenen Zeit so würdevoll wie möglich zu
gestalten und so viel Lebensqualität wie möglich rauszuholen. Es ist eine Therapiezieländerung zur qualitativ hochwertigen wenn auch unter Umständen verkürzten Lebenszeit.
Ich würde mir ausserdem einen offeneren Umgang der Kolleg*innen mit diesem Thema wünschen. Eine offene Kommunikation mit Angehörigen. Was bedeutet Maßnahme XY. Manchmal wird die Gesprächsführung so geführt, dass man als Arzt ein gewisses Resultat bekommt. Dabei sollte man
im Endeffekt immer den Patienten im Auge behalten. Was bedeutet für den Patienten "wir machen alles"? Man muss sich für solche Gespräche Zeit nehmen und ich sage den Angehörigen immer "Es geht nicht darum, dass Sie entscheiden, dass etwas unterlassen wird. Ihre Aufgabe ist es,
uns zu sagen, das Pat XY gewollt hätte. Sie kennen ihn besser als wir. Wie hat er gelebt? Wie sind seine Vorstellungen? Was war ihm wichtig? Wir müssen jetzt zusammen seinen Willen ermitteln und unsere Aufgabe ist, seinen Willen dann umzusetzen. Das ist das oberste Ziel"
Bislang hat das immer sehr geholfen, den Druck rauszunehmen.

Vielleicht kommen wir ja irgendwann mal an einen Punkt, wo das Sterben nicht mehr tabuisiert wird sondern wir wieder offen damit umgehen können. Es würde uns allen helfen, denn es betrifft alle... Irgendwann...
(Geschrieben nach einer Woche mit vielen sehr fragwürdigen, fremdbestimmten ethischen Entscheidungen und Moral Distress)

#moraldistress
#moralinjury
#PalliativeCare
#palliativmedizin

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Apr 1
Ich habe Angst und bin frustriert.

Angst davor, wie es mit der gesundheitlichen Versorgung im Gesundheitssystem weiter geht.

Angst davor, dass auch noch die letzten guten und kompetenten Kollegen gehen und die Arbeit dann noch mühsamer wird.
Angst davor, dass die Arbeit nicht mehr schaffbar ist.

Angst davor, dass ich es nicht bis zur Rente so schaffe, obwohl ich diesen Beruf so sehr liebe.

Ich habe Angst davor, selbst pflegebedürftig zu werden, weil ich weiss, dass eine adäquate Versorgung kaum noch möglich ist...
Ich habe Angst, dass mir ein Fehler aufgrund von Zeitmangel, Quantität statt Qualität-Mentalität, schlechter Ausbildung und/oder Überarbeitung passiert, den ich nicht wieder gut machen kann.

Ich habe Angst davor, dass mich der Beruf, diese Leidenschaft, irgendwann ausbrennt...
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Nov 19, 2022
Ich habe gekündigt. Meine persönliche Reißleine... Ich liebe mein jetziges Haus, liebe meine ärztlichen und pflegerischen Kollegen und arbeite sehr gerne mit den anderen Abteilungen zusammen. Es macht einfach Spass. Aber...

Ein Thread 🗣️🧵
Seit einiger Zeit merkt man: wir können nicht mehr. Wir sind ausgebrannt. Die Wochenpläne sind spätestens Montagmittag über den Haufen geworfen. Alle sind erschöpft. Da hilft noch so viel gute Laune nicht. Viele haben durch das ständige Einspringen Eheprobleme.
Wir haben uns mit AÄ, FÄ und sogar einigen OÄ zusammengetan und bei Leitung auf Situation aufmerksam gemacht. Einfach nur frustran.

Leasing 🙅‍♀️
Saal sperren 🙅‍♀️ (2 Säle mehr seit 3 Monaten ohne mehr Leute!)
Mit Leitung mits GF reden, um auf die Situation aufmerksam zu machen 🙅‍♀️
Read 7 tweets
Nov 17, 2022
Weinen. Es ist nur noch zum Heulen. Gestern gehört, dass man bei uns zu Assistenten der chirg. Fächer sagt, sie sollen nach einem durchgemachtem 24h BD halt bleiben, wenn sie Weiterbildung wollen. Das sei schliesslich die "gute alte Art" so hat man es "doch früher auch gemacht"
Das ist aus zwei Gründen nicht rechtens:

a) laut Arbeitszeitschutzgesetz beträgt die max. zulässige Arbeitszeit 24h. Wer dann noch länger bleibt ist nicht versichert bei Schadensfall - just saying. Abgesehen davon will niemand von einem quasi betrunkenen Arzt operiert werden
b) laut WBO hat die Weiterbildung (ich sags nochmal lauter für die hinteren Plätze) im TAGESGESCHÄFT, wenn die Weiterbildungsbefugten auch DA SIND stattzufinden. Die Tageseinteilung sollte nach den INDIVIDUELLEN WEITERBILDUNGSBEDÜRFNISSEN DER WEITERZUBILDENDEN erfolgen. Mic drop.
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