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May 5, 2023 • 24 tweets • 5 min read • Read on X
Symbolische Gewalt und #MECFS Teil 2 🧵

(Fortsetzung dieses Threads: )
Die Nicht-Anerkennung von ME/CFS durch den Staat und die Medizin führt zur Delegitimation im sozialen Umfeld der Betroffenen. Das bezieht sich auf Familie, Freund*innen, Bekannte, Kolleg*innen und leider auch die Ärzt*innen, zu denen die Betroffenen gehen. 3. Delegitimation Die Nicht-Anerkennung der Erkrankung und der Patienten durch den Staat führt zu deren Delegitimisierung im sozialen Raum. Die Betroffenen befinden sich in einem Zustand von moralischem und logischem Nonkonformismus, da sie nicht die Erwartungen des „gesunden Menschenverstands“ der „gesunden Gesellschaft“ erfüllen. Dadurch fühlen sie sich permanent missverstanden. Manchmal wird die Delegitimation explizit in Form von Beleidigungen und Herabwürdigungen ausgedrückt.  Ein häufiger Ausdruck davon ist, dass die Patienten und ihre Erkrankung andauernd in Frage gestellt werden: Di...
Wir haben die Erfahrung wohl alle in einer Form gemacht: Oft hat man jahrelang gar keine Diagnose, bekommt keine Hilfe und die Schwere der Erkrankung wird permanent heruntergespielt und verkannt.

Es erscheint AuĂźenstehenden unlogisch, dass jemand so schwer krank sein kann,
wenn davon weder der Medizin noch den Institutionen oder dem Staat irgendetwas bekannt ist. Solange diese der Erkrankung die Legitimation durch explizite Anerkennung vorenthalten, steht scheinbar Aussage gegen Aussage, und der mächtigeren Seite wird geglaubt, weil wir alle
grundsätzlich glauben wollen, dass der Staat und die Medizin nicht leichtfertig oder unethisch handeln würden, und damit eine so schwere Krankheit auch anerkennen würden, wenn sie real ist.

Dadurch sind die Betroffenen in der absurden Situation, gleichzeitig schwerste Verluste
an Gesundheit und Lebensqualität ertragen zu müssen, aber dafür keinerlei Unterstützung, Verständnis oder Mitgefühl der Gesellschaft insgesamt zu erhalten, worauf man sich bei vergleichbar schweren Krankheiten meist verlassen kann. Man gilt in den Augen der Gesellschaft als
körperlich nahezu gesund, es wird oft unterstellt, dass man nur alltägliche Befindlichkeitsstörungen und psychosomatische Zipperlein hätte, die andere auch erleben, nur dass die sich dabei nicht so "anstellen".

Dadurch entsteht ein klaffender Spalt zwischen dem eigenen
Krankheitserleben, und der Zuschreibung und Wahrnehmung des sozialen Umfelds, dem Betroffenen wird die GlaubwĂĽrdigkeit als Zeuge seines Erlebens und die Deutungshoheit ĂĽber die eigene Geschichte radikal und unwiderruflich aberkannt.

Man wird dadurch praktisch gezwungen, ständig
in zwei sich völlig widersprechenden Realitäten zu leben - in der eigenen, in der man schwerkrank ist und eigentlich dringend Entlastung und Hilfe braucht, und in der Realität der restlichen Welt, in der man als gesund gilt und ständig aneckt, weil man nicht mithalten kann.
Viele versuchen noch jahrelang verzweifelt, ihrer sozialen Rolle gerecht zu werden (auĂźer natĂĽrlich , man ist sofort schwer oder very severe betroffen, dann kann man das gar nicht).
Das führt meist zu einer stetigen Verschlimmerung, bis man endgütlich erwerbsunfähig wird 4. Desintegration Durch die Erkrankung verliert der Patient die Fähigkeit, dem sozialen Rhythmus Gesunder zu folgen. Dies führt zu Desintegration in der Gesellschaft. Beispiele sind: Scheidungen, Desintegration/Verlust der Arbeitsproduktivität und der Produktivität nichtbezahlter Arbeit/Carearbeit und Ehrenamt, Anpassung des eigenen sozialen Rhythmus an die Einschränkungen durch die Erkrankung und Konflikte zwischen Gesunden und Kranken durch verschiedenen sozialen Rhythmus, Anpassungsschwierigkeiten an die soziale und berufliche Desintegration.
und meist auch im privaten Umfeld die starken krankheitsbedingten Einschränkungen nicht mehr kompensieren kann.

Das erleben Betroffene von ME/CFS meist zwangsläufig, dennoch ist es unfassbar schwer, sich damit abzufinden.
Man verliert automatisch alle Mechanismen und Möglichkeiten, die man vorher hatte, Anerkennung, Wertschätzung usw. durch die Gesellschaft, das soziale Umfeld und durch persönliche Erfolge oder Leistung zu erlangen. Torrent bezeichnet das als "Verlust des sozialen Kapitals". Je höher der soziale Status vor der Erkrankung war, desto schwerer fällt die Anpassung an den Verlust des sozialen Kapitals (=Anerkennung usw.). Diese Betroffenen weisen die Diagnose oft von sich und neigen zu Selbstvorwürfen und Beschönigungen.  Verlust des Privilegs, eine soziale Funktion zu erfüllen, Verlust von gemeinsamen sozialen Zeithorizonten (Tagesrhythmus?). Keine Zukunft zu haben, keine Erwartungen an das Leben. Gefühl von Wertlosigkeit und Bedeutungslosigkeit.  In einer Gesellschaft, in der Zeit ein rares, wertvolles Gut ist, bedeutet mit anderen Zeit zu verbringen, eine soziale...
Die Verweigerung von Anerkennung fĂĽhrt also regelrecht zur sozialen Ă„chtung, da einen "die Welt nicht mehr versteht", und viele sich deswegen zurĂĽckziehen. Insgesamt fĂĽhrt diese umfassende soziale Desintegration zu starker Isolation und somit zum "sozialen Tod".
Betroffene versuchen oft alles in ihrer Macht stehende, um die Desintegration zu verhindern oder zu verzögern.

Ich finde die Darstellung (Screenshot) etwas vereinfacht, sie trifft auch nicht auf alle zu. Wenn man seine Diagnose kennt, hat man bessere Chancen, sich mit anderen 5. Das Aufzwingen des Diskurses ME-Patienten können nur solche Aspekte ihrer Erkrankung offen zeigen, die auf allgemeine Akzeptanz stoßen und den Mustern der „Normalität“ einer gesunden Gesellschaft entsprechen.   Delegitimation und Nicht-Anerkennung führt zu sozialer Desintegration der Patienten. Diese versuchen, dem entgegenzusteuern, indem sie sich in einer Weise präsentieren, die weniger soziale Ablehnung hervorruft. Die gesunde Gesellschaft soll sich nicht unwohl mit der Erkrankung fühlen.   Das bedeutet, dass den ME-Patienten Normalität aufgezwungen wird. Jedes negative soziale Signal...
Betroffenen zu vernetzen, und für Aufklärung und Anerkennung zu kämpfen. Vor der Pandemie war es oft nicht einmal möglich, selbst die korrekte Diagnose zu erfahren, geschweige denn zu erhalten. Auch durch bessere Forschung und beginnende Anerkennung können Betroffene sich gegen
diese aufgezwungenen Diskurse wehren, ohne sozial komplett isoliert zu sein.

Es ist auch eine Art internalisierter Ableismus, wenn man als chronisch Kranker versucht, die schlimmen Aspekte des Lebens mit ME/CFS zu kaschieren oder die soziale und medizinische Unterversorgung zu
beschönigen. Darunter fällt auch "toxische Positivität" und eine übertriebene Darstellung vorgeblicher Möglichkeiten, die Erkrankung durch eigene Anstrengung, Willenskraft oder eine positive Einstellung selbst zu verbessern oder gar ganz zu heilen. Beispiele für solche Diskurse
sind oft alternative Heilansätze, wie der Lightning Process , das Gupta Programm https://t.co/JOA6HqcRkz oder Ernährung nach Anthony Williams.

Generell sieht man das bei Marginalisierten immer mal, dass sie versuchen,fraudlisting.com/index.php/the-…
me-pedia.org/wiki/Gupta_pro…
sich von anderen aus ihrer Gruppe abzugrenzen, um von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Bei Behinderungen und Erkrankungen ist das eine Form von lateralem Ableismus.

Die Gesellschaft nimmt dies auch gerne in der Form von "inspiration Porn" gerne an.
Die Grenzen dazu sind natürlich fließend, und weder ist etwas gegen Versuche eines positiven Umgangs mit der eigenen Situation zu sagen, noch kann man den schwer diskriminierten Betroffenen vorwerfen, dass sie versuchen, doch noch irgendwie an persönliche Anerkennung zu kommen
(nicht im Sinne von Anerkennung der Krankheit, sondern von positivem sozialen Kapital).

Das Problem ist, dass Betroffene ihre Selbstdarstellung und Außenwirkung so filtern, dass sie möglichst Anerkennung erhalten ("good crip") und Stigmatisierung als
"schwierig, meckernd, wehleidig" vermeiden ("bad crip"). Dadurch wird es aber unmöglich, die Schwere der Erkrankung Außenstehenden sichtbar und begreifbar zu machen und Missstände anzuklagen.

Diese Einteilung in "guter Patient, böser Patient" wird

mssinenomineblog.wordpress.com/2021/07/31/goo…
leider auch oft von Ärztys und Angehörigen befeuert, wenn erwünschte Verhaltensweisen/Diskurse gelobt und unerwünschte Diskurse bestraft werden.

Diese Bestrafung erleben wir zum Beispiel, wenn selbstbewusste, fordernd auftretende Patientys häufig als aggressiv, "militant" und
irrational geframet werden. Bisweilen wird den "Diskursverweigerern" unter uns dann auch unterstellt, wir seien selbst gar nicht erkrankt (vielleicht, weil man die Krankheit als solche nicht mehr leugnen kann, seit die CDC und das NICE sie anerkennen).

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