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May 8, 2023 19 tweets 5 min read Read on X
Symbolische Gewalt und #MECFS Teil 3 ~

Hier geht es zu Teil 1:

Teil 2: https://t.co/GpqPnddUoh

#MEAwarenessMonth
Ich möchte gerne zunächst genauer auf die „aufgezwungenen Diskurse“, oder wie man vielleicht auch sagen kann, die „(vermeintlich) gesellschaftlich akzeptierten Diskurse für chronisch Kranke“ eingehen.
Durch die Krankheit verlieren Betroffene jede Möglichkeit, sich in
Diskurse einzubringen, die zu Anerkennung, ja überhaupt zu Beachtung und Wahrnehmung als wertvoller Gesprächspartner führen. Durch den Ableismus in der Gesellschaft werden automatisch Vorurteile und Abwehr aktiv, wenn bekannt ist, dass das Gegenüber an einer unheilbaren,
komplexen, schlecht erforschten Krankheit wie ME/CFS leidet. Die Betroffenen werden dadurch sofort als inkompetent und nicht vertrauenswürdig wahrgenommen, zudem als „störend“, da sie Bedürfnisse haben und ggf. diese auch äußern, die die Mehrheitsgesellschaft
lieber ignorieren wollen und die Gesunden lästig und unangenehm sind.

Es ist natürlich je nach sozialer Situation unterschiedlich, welchen Aspekt der Krankheit man nach Außen repräsentiert und wie man sich selbst darstellt. Bei einem Arzttermin hat man nicht die Freiheit, „Man wird nicht wegen dem diskriminiert, was man ist (krank), sondern wegen dem, was man nicht ist (nicht-krank)“ (Negatives symbolisches Kapital = Stigma) Gesunde vermeiden diese Inhalte, weil sie Unbehagen auslösen (alles, was mit Krankheit zu tun hat). Deswegen versuchen Kranke ebenfalls, diese Inhalte zu vermeiden. Sie wollen von Nicht-Kranken akzeptiert werden. Die soziale Ordnung spricht den Kranken regelrecht das Existenzrecht ab, die Kranken haben keine andere Wahl, als sich dem vollständig unterzuordnen. Dadurch wird das meiste ihres sozialen Verhaltes bestimmt. Sie ziehen „vorenth...
die aufgezwungenen Diskurse zu verweigern, weil man dann ggf. gar keine/noch weniger Hilfe bekommt oder erneut falsch psychopathologisiert und stigmatisiert wird („hysterisch“, „Hypochonder“, Unglaube, dass man wirklich so schwer krank sein kann, usw.).
Dabei ist es natürlich gerade beim Arzt ungeheuer wichtig, die Krankheit nicht zu beschönigen, damit nötige Renten- und Pflegegradanträge entsprechend formuliert und begründet werden können.

Dennoch ist es unglaublich schwer, einer anderen Person das wahre Ausmaß
der Einschränkungen und qualvollen Symptome offen mitzuteilen. Dazu kommt, dass man dadurch Freunde und sogar nahe Angehörige verlieren kann, die einem einfach nicht glauben und als „toxisch“ wahrnehmen.
Damit haben sie eine Rechtfertigung, einen Schwerkranken „fallen zu lassen“.

Allein durch solche Erfahrungen versuchen Betroffene alles, um von Gesunden akzeptiert zu werden. Eine häufige Taktik dazu ist die "Beschönigung". 6. Beschönigung „Aus der Not eine Tugend machen“, ME-Pat. wollen tapfer wahrgenommen werden (präsentieren ein gefälliges Bild von sich), verschweigen schwerwiegende Aspekte ihrer Erkrankung, um nicht abgelehnt zu werden. Verwenden einen Diskurs der Selbst-Kenntnis, ähnlich wie Positive Psychologie, die gesellschaftlich breit akzeptiert ist.
Aus der Aufzwingung des Diskurses (bzw. soziale Ächtung der Diskurse, die die Lebensrealität der Betroffenen von ME/CFS widerspiegeln) folgt auf diese Weise "Silencing", also die Unterdrückung der Stimmen Betroffener als ehrliche und vollständige Zeugen ihrer Erfahrungen. 7. Silencing und Unsichtbar-Machung Aus den oben beschriebenen Gründen sprechen viele ME-Pat. nicht über ihre Erkrankung (Silencing). Durch die Tatsache, dass ME nicht als Krankheit anerkannt und ME-Pat. nicht als Patienten identifiziert werden, wird die Erkrankung und werden die Erkrankten unsichtbar gemacht.
Dass diese Mechanismen eine sich immer weiter verschärfende Isolation bewirken, erklärt sich von selbst. Man beginnt, soziale Kontakte und auch Arztkontakte zu vermeiden, um sich vor weiteren Verurteilungen und Verächtlichmachungen zu schützen. 8. Isolation Pat. versuchen, sich zu schützen, und gehen nicht mehr zu Ärzten. Ein Mechanismus gegen andauernde Verurteilung und Angriffe auf die eigene Persönlichkeit, Zurechtweisung, da man von der „Normalität“ abweicht, Unverständnis, usw. oder als Folge von extremer Desintegration. Meistens ist es beides.
Isolation und Stigmatisierung schneiden die Betroffenen von Kommunikation mit ihrem sozialen Umfeld immer weiter ab. Man zieht sich zurück, weil man sowieso nicht verstanden wird.

Ein Ausweg hieraus sind Selbsthilfegruppen und Internet-Communities mit ebenfalls Betroffenen. 9. Nicht-Kommunikation Der Pat. verliert die Fähigkeit/Möglichkeit, mit anderen zu kommunizieren (weil die ihm nicht glauben und ihn nicht verstehen).
Internalisierte symbolische Gewalt drückt sich in Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln aus. Habe ich doch etwas falsch gemacht? Bin ich wirklich so schwer krank, wie ich glaube?

Diesem Verhalten wohnt auch eine Reaktion auf den Kontrollverlust durch die schwere Erkrankung inne. 10. Selbst-Vorwürfe Die symbolische Gewalt wird vom Patienten internalisiert, indem er sich selbst (und seinen Selbstrespekt) stark entwertet, als symbolische Unterordnung, wodurch er sich selbst ebenfalls symbolische Gewalt zufügt. Die Patienten suchen die Ursache für ihre fehlende Gesundheit in eigenem Fehlverhalten (schlechter Lebensstil, Faulheit, Inkompetenz, Fehler in der Persönlichkeit). Das wird durch Ärzte noch befeuert, die solche symbolische Gewalt ebenfalls ausüben. Es wirkt als selbsterfüllende Prophezeiung.  Diese Art von symbolischer Gewalt ist hierarchisch in drei Ebenen str...
Wenn ich "selbst schuld" wäre, könnte ich es ja auch anders machen. Es ist leichter auszuhalten, wenn man sich selbst vor anderen die "Schuld" gibt, als ständig von Gesunden gut gemeinte Ratschläge und unterschwellige Vorwürfe zu bekommen.
Soweit zu dem Konzept "Symbolische Gewalt" nach Bourdieu und Bunge in Bezug auf #MECFS. Hier noch meine Notizen/ lose Übersetzung als Dokument:

Und der Link zur Studie von Torrent als vollständiges Dokument: https://t.co/aq3F4XdOs7docs.google.com/document/d/14C…
xaviergimeno.net/files/CFS_symb…
Ich finde das Konzept wahnsinnig hilfreich und auch relativ leicht verständlich. Es kann helfen, die eigene Situation als Betroffener besser zu verstehen, aber auch Allys können damit besser verstehen, wogegen wir seit Jahrzehnten ankämpfen.
Anfeindungen gegen Patientengruppen (ME/CFS und Long Covid/ PostVac), die sich für bessere Versorgung, Anerkennung und Forschung einsetzen, sind ebenfalls eine Form von symbolischer Gewalt, durch die der Status Quo erhalten werden soll.

Symbolische Gewalt zu erkennen und zu
benennen, kann uns vielleicht helfen, besser zu verstehen und auch Nichtbetroffenen zu vermitteln, welches Unrecht uns fortlaufend angetan wird. Ein Aspekt von symbolischer Gewalt ist ja gerade, wie schwer man darüber sprechen und sie in Worte fassen kann.
Insofern hoffe ich, mit diesen Threads zu unserem Empowerment beizutragen ✊💙🤝

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