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May 29 23 tweets 4 min read Twitter logo Read on Twitter
Ein Thread zur #Tuerkeiwahl, versuche es mal so zusammenzufassen👇🏽
Erdogan ist wiedergewählt & viele bei uns fragen sich „Warum“?
Die Gründe sind vielfältig:
1. Es war eine freie aber keine faire Wahl.
Wenn man den Staatsapparat & fast 90% der Medien auf seiner Seite hat, 👇🏽
wo permanent darüber berichtet wird, wie stark & gut man ist und alles, was schlecht ist (zB die hohe Inflation) von „ausländischen Kräften“ gesteuert ist, weil diese - allen voran der Westen - nicht wollen, dass die Türkei stark ist, verwundert dieses Ergebnis nur insofern, 👇🏽
dass es am Ende NUR 52% für ihn sind. Das Ergebnis hätte bei fairen Wahlen wirklich anders ausfallen können. 👇🏽
2. Manche sagen, er sei ein begnadeter Wahlkämpfer. Mag sein. Richtig ist vor allem, dass wohl sonst kaum einer so instinktgesteuert ist wie er, der es sehr gut versteht, die Menschen emotional abzuholen/ einzufangen.
Wie er es diesmal geschafft hat?
Mit Angst. 👇🏽
Zentrale Themen waren für ihn der Terror und die Religion.
Die Türkei ist ein Land, dass Jahrzehnte unter dem Terror der PKK gelitten hat. Geschickt wie er ist, hat er es geschafft seinen Herausforderer Kilicdaroglu als eine Marionette der PKK zu diffamieren.👇🏽
Hieß: „Wer Kilicdaroglu wählt, wählt die PKK & entscheidet sich somit für den Terror.“ Kaum zu glauben aber: es hat gewirkt. Kilicdaroglu war zwar selbst mal Zielscheibe der PKK, auf den ein Anschlag versucht wurde, aber daran konnte sich anscheinend niemand mehr erinnern 🤷🏽‍♀️👇🏽
Sicherheit war also ein wichtiger Faktor bei der Stimmabgabe und viele meinten: „Wirtschaft ist zwar wichtig, aber Sicherheit ist wichtiger.“ Für viele das wichtigste bei dieser Wahl. 👇🏽
Das andere Thema: die Religion. Kilicdaroglu ist Alevit, was erfreulicherweise für mindestens 48% keine Rolle spielt, für einige aber eben doch. Hinzu kommt Erdogans Narrativ, er sei der Garant dafür, dass die Religion nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden werde, 👇🏽
genau das habe die Opposition vor. Sie wolle die Religion wieder verbannen und zB das Kopftuch aus der Öffentlichkeit verdrängen.
Auch das hat gefruchtet. Die Angst, als religiöser Mensch nicht mehr seine Religion ausleben zu dürfen, wenn Erdogan verliert, war hervorgerufen. 👇🏽
3. Erdogan & seine Nähe zum Volk.
Jeder Wähler möchte bei dem, den er wählt, etwas von sich wiederfinden. Das haben die meisten auch diesmal eher bei Erdogan gefunden, dem nach wie vor nachgesagt wird, es sei „volksnah“, er sei „einer von uns, nicht abgehoben oder elitär.“ 👇🏽
Ist so ein Ruf, den man genießt, einmal zementiert, ist es auch völlig irrelevant, dass man in Palästen wohnt. 👇🏽
4. Es gibt kaum Wechselwähler. Gerade, was Erdogans Stammwählerschaft betrifft, gilt:
In guten wie in schlechten Zeiten.
Viele von ihnen sind überzeugt davon, dass Erdogan der Einzige ist, der die Türkei aus dieser wirtschaftlich schweren Situation wieder rausholen kann. 👇🏽
5. Das breite Bündnis der Opposition.
So positiv das einerseits ist, dass sich unterschiedliche Parteien für das gemeinsame Ziel - zurück zu einer parlamentarischen Demokratie - zusammengetan haben, ist es ihnen nicht gelungen die Wähler davon zu überzeugen,dass sie das Land 👇🏽
stabilisieren werden. Es gab nicht wenige, die die Ansicht vertraten, das Bündnis sei zu unterschiedlich, bestehe aus zu verschiedenen Strömungen, dessen einziger Kitt - Erdogan abzulösen - nach der Wahl verschwinden und so dazu beitragen werde, das Land ins Chaos zu stürzen. 👇🏽
6. Die CHP & Kilicdaroglu.
Zur Wahrheit gehört auch, dass es der CHP nicht gelungen ist, ihren Vorsitzenden davon zu überzeugen, jemand anderen kandidieren zu lassen & Kilicdaroglu selbst die Einsicht dazu gefehlt hat.
Am Ende muss man klar sagen:
Er war der Falsche. 👇🏽
Ein Kandidat, wie zB der Istanbuler Oberbürgermeister Imamoglu, hätte viel mehr Menschen emotional erreichen können,als es Kilicdaroglu gelungen ist. Emotionen sind das Wichtigste in der Türkei. Ohne läuft gar nichts.
Hiermit wird sich die CHP jetzt auseinander setzen müssen. 👇🏽
7. „Sonstiges“:
Zwei Punkte, die noch wichtig für die Einordnung sind:
Erdogan hat diese Wahl nicht den Deutschtürken zu verdanken, wie hier & da schon verbreitet wird. Diese waren nicht ausschlaggebend & fallen im Gesamtergebnis kaum ins Gewicht. 👇🏽
Selbstverständlich sollten wir darüber reden, warum so viele Türken bei uns Erdogan wählen, obwohl sie in einer Demokratie leben, aber bitte ohne dabei
Legenden zu bilden.
Interessant ist noch: Erdogan hat rund 2% mehr als bei der 1. Wahl, dass OBWOHL der dritte,ultranationalistische Kandidat Sinan Ogan in der ersten Runde 5% holte & für die Stichwahl dazu aufrief, Erdogan zu wählen,spiegeln sich diese Stimmen im Ergebnis für Erdogan nicht wieder👇🏽
Es spricht viel dafür, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Stimmen bei Kilicdaroglu gelandet ist. Das hat sicherlich viel mit Kilicdaroglus rassistischen Tönen hinsichtlich der syrischen Flüchtlinge zu tun, was allerdings auch in die andere Richtung Auswirkungen hatte: 👇🏽
Viele Kurden haben Kilicdaroglu nicht mehr gewählt.

Was bedeutet die Wahl jetzt für uns?
Ich denke keine große Veränderung. Ich gehe sogar soweit und behaupte, dass Erdogan sehr bald sein Veto zur NATO Mitgliedschaft Schwedens aufgeben & dem zustimmen wird.👇🏽
Die Wahl ist vorbei & Erdogan braucht den Westen vielleicht mehr denn je, um aus der wirtschaftlichen Krise rauszukommen. Die Frage ist eher: Welche Auswirkungen wird diese Wahl auf Oppositionelle in der Türkei haben?
Die Antwort darauf fällt bei vielen negativer aus.
ENDE - wer es bis hier geschafft hat: Danke fürs Interesse!

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