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Jun 8 15 tweets 3 min read Twitter logo Read on Twitter
#Rammstein 🧵, lang

Ich bin eine Frau, fand Rammstein schon immer furchtbar und habe mich entsprechend mit denen nie beschäftigt, auch nicht mit Till Lindemann.
Was man jetzt lesen kann, ist widerlich.
Aber.
Ich hatte nie große Angst vor Männern, aber ich bewege mich in vielen Situationen auch vorsichtig, hatte aber trotzdem schon mal k.o.-Tropfen im Glas. Ich lebe auch damit, dass man irgendwo im Hinterkopf vor Männern Angst haben muss.
Dieses Phänomen in unserem angeblich aufgeklärten Zeitalter ist verstörend, zumal sich offensichtlich daran nichts ändert. Woran das liegt, ist weiterhin dringend zu erforschen und zu verbessern, denn das hat, anders als Alice Schwarzer es sieht, nie damit zu tun, dass sich das
weibliche Opfer falsch verhalten hat.

Diese ganze Sache ist ein Überbau der Lindemann-Sache, hat aber im konkreten Fall erstmal nichts damit zu tun.

Ich bin keine Juristin, nur eine medizinische Gutachterin, aber ich möchte trotzdem etwas dazu sagen, denn einige Punkte sind
meines Erachtens wichtig.

Wenn ich ein Gutachten erstelle, lese ich schnell drüber und habe sofort eine Meinung dazu. Dagegen kann man nichts machen, denn Emotionen gehen eben ganz schnell und sortieren vor.

Diese Emotionen haben aber nichts mit dem eigentlichen Sachverhalt zu
tun.
Sie kommen zu schnell, sind oft unsachlich, und man darf nie in die Gefahr geraten, ihnen zu trauen. Es ist meine Sorgfaltspflicht, in vollkommen pedantischer Manier alles zu sichten, was es an Informationen gibt, um dann konkrete Fragestellungen zu beantworten.
Es wäre eine Katastrophe, wenn ich Entscheidungen aufgrund eines Bauchgefühls treffen würde. Das geht bei meinen Gutachten nicht, und noch viel weniger geht es, wenn es um juristische Sachverhalte geht.

Im Moment wird in Social Media unkonkretes, diffuses Sichten irgendwelcher
Informationen betrieben, und entsprechend ist die Reaktion hochemotional und ungenau.

Das ist gefährlich. Im Netz ist es Stimmungsmache (die selbstverständlich auch Menschen zerstören kann), im echten Leben, ie im juristischen Bereich, darf das nicht vorkommen.
Rein emotional würde ich sofort beipflichten, dass der Unsympath Lindemann bestimmt junge Frauen missbraucht hat und würde mir sofortige Gerechtigkeit wünschen.

Ganz konkret weiß ich annähernd nichts über diese Vorfälle. Anschuldigungen im Internet, so plausibel sie mir er-
scheinen mögen, dürfen niemals ein Grund für irgendwelche Bestrafungen sein (sind sie auch nicht). Und auch von mir abgrundtief verachtete Menschen haben Rechtsmittel zur Verfügung, die sie benutzen dürfen.

Und Menschen, die solche Meinungen wie ich jetzt äußern, sind auch
nicht automatisch „rechts“ oder nehmen irgendwen in Schutz.
Wahrscheinlich ist es nicht zu erreichen, aber ich möchte gerne daran erinnern, dass man nach der ersten Emotion am besten einen Schritt zurückgeht und sehr nerdig danach guckt, was für
Informationen man hat, welche Sachverhalte man kennt, und ob man sich damit überhaupt ein Urteil erlauben kann.

Das gilt nicht nur fürs Netz, sondern auch fürs richtige Leben.
Ein weiteres Problem ist mE, dass juristische Vorgehensweisen den meisten Menschen nicht bekannt sind
(mir auch nicht), und dass man nicht sofort ausrasten muss, wenn einem auf den ersten Blick wieder irgendwas ganz ungerecht erscheint.
Ich bin sehr froh, dass wir ein Rechtssystem haben, das völlig anders funktioniert als das, was wir an diffuser Meinungsbildung in
Social Media sehen.

Und trotz allem hege ich keinerlei Sympathien für Rammstein und viel Sympathie für die betroffenen Frauen.

Das ist aber vollkommen irrelevant.
Zum Glück.
Schalte stumm, Schwägerin ist wegen der ganzen toten Familienmitglieder da. Arbeitet Euch nicht zu sehr ab.
Schönen Abend!

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