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Jun 25 19 tweets 2 min read Twitter logo Read on Twitter
Ein paar längerfristige Gedanken zum Ukraine-Krieg: 1/
Putin hin, Prigoschin her, die russische Front ist nach der Meuterei des Wagner-Bosses nirgendwo kollabiert. 2/
Die Bedeutung der ukrainischen Gegenoffensive mag durch die internen Machtkämpfe in Russland noch einmal zugenommen haben. Aber an den Grundkonstanten hat sich nichts geändert. 3/
Ein rascher und umfassender ukrainischer Erfolg - etwa ein Durchstoß zum Asowschen Meer oder sogar die Befreiung des gesamten Donbass und der Krim ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich. 4/
Und selbst wenn er gelingen würde wäre völlig offen, ob im Anschluss Verhandlungen möglich sind. Mit einem
Putin, der so viel Schwäche gezeigt hat wie gestern, ist das vermutlich noch unwahrscheinlicher als zuvor. 5/
Was passiert also, wenn der Krieg mach der ukrainischen Offensive nicht zu Ende ist? Ein kurzer Blick auf Mensch und Material 6/
Beim Personal verfügt Russland aufgrund der Größe seiner Bevölkerung über ungefähr das dreifache Potential. 7/
Allerdings hat die russische Armee bereits sehr viele militärische Führer und Ausbilder verloren bzw. im Einsatz. Das bedeutet, sie kann qualitativ nicht den Truppenkörper regenerieren, den sie vor dem Krieg zur Verfügung hatte. 8/
Setzt Russland (bei neuen Offensiven) weiterhin auf die klassische Zermürbungstaktik (viel Artillerie, Infanterieangriffe) mag das funktionieren. Große Geländegewinne lassen sich so aber (vermutlich) weiterhin kaum erzielen, geschweige denn die Ukraine besiegen. 9/
Die Ukraine ihrerseits verfügt zwar ebenfalls über dezimierte eigene, aber Dank des Westens über nahezu unbegrenzte Ausbildungsmöglichkeiten befreundeter Staaten. Zudem wird die Armee immer stärker zu einer, die nach westlichen Taktiken agiert, die eigene Verluste minimieren. 10/
Verluste lassen sich nicht vorhersagen. Aber grob gesagt und ceteris paribus müsste die Ukraine den russischen Streitkräften dauerhaft dreifach so hohe Verluste zufügen wie umgekehrt, um ein „Ausbluten“ zu verhindern. 11/
Durch den Kriegseinritt anderer Staaten (Belarus als wahrscheinlichster, wenn gerade nicht wahrscheinlicher Kandidat) würde sich das Verhältnis verschieben. 12/
Zum Material. Kurz: Die russische Industrie schafft es (mit Unterstützung aus China und Iran u.a.) offenbar, trotz westlicher Sanktionen, ausreichend herzustellen, um den Krieg weiterzuführen. Selbst wenn Hightech-Waffen nur noch in geringerer Zahl verfügbar sind. 13/
Treibstoff, Munition und Ersatzteile für die Land-Triade (Artillerie/Panzer/Infanterie) werden ebenso weiter geliefert wie Drohnen und Raketen produziert. WIn welchen Stückzahlen das auf Dauer möglich bleibt - schwer zu sagen. Aber vermutlich genug, um weiterzukämpfen. 14/
Bei den Ukrainern hängt auch hier - trotz gewisser eigener Kapazitäten - langfristig das Gros der Einsatzfähigkeit am Westen. 15/
Weil Krieg nunmal verschleißt und die Versorgung mit sowjetischen Altbeständen endlich ist, wird die Ukraine früher oder später so gut wie alle Waffensysteme aus dem Ausland beziehen müssen, die sie nicht selbst produzieren kann. Inklusive Kampfflugzeugen. 16/
Die kontinuierliche Versorgung der Ukraine mit einem stetem und umfassenden Strom an Waffensystemen, Ersatzteilen und Munition ist darum zwingend, um ihr militärisch zum Erfolg zu verhelfen. 17/
Etappendenken hingegen, das auf einzelne Offensiven fokussiert ist läuft Gefahr, wiederkehrend die Erfolge zu verspielen, die die Ukrainer zuvor erfochten haben. 18/
Das verlängert das Leid auf allen Kriegsseiten, und es gefährdet die Sicherheit Europas. 19/

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More from @hemicker

Feb 15
Ein paar Gedanken zur Hoffnung auf ein „Einfrieren des Konflikts“. 1/
Es würde voraussetzen, dass beide Kriegsparteien zum gleichen Zeitpunkt daran ein Interesse hätten, größere militärische Operationen zu stoppen. 2/
Das ist aktuell weder bei Russland noch der Ukraine der Fall. Sie glauben, ihre Ziele militärisch besser erreichen zu können. 3/
Read 7 tweets
Feb 14
Wer die deutsche Debatte über den Ukraine-Krieg verstehen will, dem sei jede einzelne Minute dieser Diskussion zwischen @CarloMasala1 und @JohannesVarwick empfohlen, fachkundig moderiert von @NDeitelhoff und Michel Friedman. Warum? 1/ youtube.com/live/NeP5NpCeS…
Weil Team Vorsicht (Varwick) und Team Freiheit (Masala) ihre Argumente entwickeln konnten und miteinander messen mussten. Es gab keinen übermäßigen Zeitdruck durch Formatzwang, aber auch kein zu großes Ausschweifen Dank der straffen Moderation. 2/
Dass es zwischendurch mal hitziger wurde, geht voll in Ordnung. Worüber sollen Menschen engagiert streiten, wenn nicht über Krieg und Frieden? 3/
Read 11 tweets
Sep 16, 2022
Der ukrainische Außenminister @DmytroKuleba
beklagt im Gespräch mit @Gerhard_Gnauck
eine deutsche "Waffenmauer". 1/
Sein Land benötige Kampf- und Schützenpanzer. "Dingos sind nicht das, was wir am meisten brauchen." 2/
Für ihn sei es ein Rätsel, warum Berlin Dingos liefere, wo Kiew nach Leoparden und Mardern gefragt habe. "Warum können wir nicht das bekommen, was wir brauche und worüber Deutschland verfügt?" 3/
Read 5 tweets
Sep 13, 2022
Ein paar Gedanken zur Debatte um einer möglichen Lieferung deutscher Leopard-2-Kampfpanzer.
Weder an Feuerkraft noch an Reichweite würde Deutschland sich übertreffen. Die Panzerhaubitze 2000 verfügt über ein größeres Kaliber und über eine größere Reichweite.
Die Panzer übertreffen die Haubitzen an Panzerung und Beweglichkeit. Sie greifen direkt in die Kämpfe ein und dienen nicht "nur" der Feuerunterstützung. Tödlich sind sie aber beide.
Read 7 tweets
Sep 12, 2022
Die intellektuelle Herausforderung bei der #Zeitenwende liegt nicht darin zu erkennen, dass der Westen sich verteidigen können muss.
Sie liegt auch nicht darin zu erkennen, dass die Ukraine so gut es geht mit Waffen versorgt werden muss, damit sie die Russen zurückdrängt auf den Status quo ante 24.2. - oder darüber hinaus.
Die Herausforderung liegt darin, die Zeitwende zu vollziehen, und zwar so, das sie gelingt.
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