Es hilft ja nichts, widmen wir uns also diesem Video.
Der Bundeskanzler der Republik Österreich hat also inmitten der Vielfachkrise nichts anderes zu tun, als ei Abhandlung über "normal" einzusprechen. Na gut. Schauen wir uns das mal an.
Gleich vorweg: Bemerkenswert ist das Setting. Das ist ganz offensichtlich das Bundeskanzleramt. Hier spricht der Kanzler, nicht der ÖVP-Vorsitzende. Die Fahnen im Hintergrund vermitteln Gravitas und wollen staatstragend sein. Die hochgekrempelten Ärmeln Kumpelhaftigkeit.
Dann werden wir gleich mit "du" angesprochen. Das ist alles etwas holprig. Was soll es denn sein? Lässiges Rebellentum gegen das woke System oder die Macht des Amtes und der Institutionen? Hier gibt es unterschiedliche Signale. Besser man hätte sich fürs eins entschieden.
Immer wieder bemerkenswert, wenn sich die mächtigsten Menschen in einem Staat die heuchleriche Frage stellen, ob man irgendwas noch sagen darf. Wer verbietet es denn? Wer unterdrückt euch? Das ist durchschaubare Emotionalisierung im Kulturkampf. Fiktive Gegner, fiktive Probleme.
Dann bekommen wir eine Aufzählung was alles nicht normal ist. Diese Wertung findet politisch-moralisch statt und nicht anhand von nachvollziehbaren (zb sozioökonomischen Kriterien). Die "Extreme" sind nicht normal. Und diese Extreme werden beliebig befüllt.
Die Extremismustheorie ist ein Problem, sowie Nehammer sie anwendet ist sie haarsträubend, er erfindet eine eigene Definition. Extrem ist "wer seine Meinung über eine andere stellt". Was für 0-Aussage. Die ET hantiert immerhin noch mit Grundgesetz.
"Meinung über andere stellt" ist kein objektives Kriterium. Jede_r macht das irgendwann, auch die ÖVP, die selbstverständlich davon überzeugt ist, dass ihr Zugang der Beste ist. Was denn sonst? Das ist kein messbares Kriterium für irgendetwas, schon gar nicht für "Extremismus".
Der zweite Teil der eigenwilligen Extremismusdefinition lautet "sich nicht an Gesetze halten und glauben sie gelten für einen nicht". Den Treppenwitz haben hier wohl alle erkannt. Aber White-collar-crime ist hier wohl nicht gemeint. derstandard.de/consent/tcf/st…
Die Aufzählung beginnt mit "Klimaklebern oder Linksradikalen" erst danach folgen "Rechtsradikale und Identitäre" (Pleonasmus, Identitäre sind "Rechtsradikale"), danach kommt Vandalen (um was geht es hier? Graffiti?), Islamisten und sonstige Extremsiten. Wer kommt nicht vor?
Es kommen zum Beispiel nicht die christlichen Extremisten vor, die sitzen nämlich für die ÖVP im Parlament.
Eigene Meinung über andere stellen - check
Gegen bestehende Gesetze agitieren - check
Frau Kugler erfüllt Nehammers Extremismusdefinition zu 100%
Es ist also eine rein moralische Wertung - die Bösen sind die Anderen, unsere sind die Guten, auch wenn sie die selbe schwammige Definition erfüllen. Das war schon immer das Problem der ET, bei Nehammers patscherte Definition zeigt sich das sehr gut. Reiner Moralismus.
Bemerkenswert folgender Kniff: "Auch nicht normal ist, dafür kritisiert zu werden..." Das ist eine direkte Replik auf den Bundespräsidenten, den er damit sprachlich in eine Reihe mit den zuvor genannten "Extremen" stellt. Den Bundespräsidenten! Auf einer Stufe mit Identitären.
Der Bundeskanzler richtet Bundespräsidenten aus, dass er nicht normal ist. Er erhebt implizit wie explizit einen Alleinvertretungsanspruch des Normalen. In seiner Rolle als Kanzler. Ungarische Verhältnisse. Exekutive als Akteurin des Kulturkampfs gegen staatliche Institutionen.
Danach Aneinanderreihung schöner Stock-Videos. Naturschutz wird mit Jäger bebildert, Ehrenamt mit hauptamtlichen Altenpflegerin, holperholper. Immer wieder lustig, dass die, die Gendern verbieten wollen sich gegen Verbote aussprechen, aber Kulturkampf muss nicht kohärent sein.
Niemand erinnert sich an die Rede 2030. Es ist ein Strohmann und ein sehr durchschaubarer Versuch diese jetzt als kontrovers darzustellen, original niemand redet oder denkt mehr an diese Rede.
Es geht um etwas ganz anderes, und es gibt ein paar Hinweise:
Nehammer meint mehrfach, dass er Politik für eine Mehrheit "für die Vielen" machen will. Kommt das bekannt vor? Das ist der Claim von Corbyn (basierend auf einem Shelley-Gedicht): For the many not the few. Ist natürlich im Sinne der Arbeiterklasse gemeint.
(WLAN leider ganz schlecht im ICE, sorry braucht alles länger)
Dieses "für die Vielen" haben Linke und Sozialdemokrat_innen weltweit übernommen, in Österreich etwas die SPÖ, das Moment-Institut oder die Arbeiterkammer. Alle in der selben Tradition wie Corbyn und Shelley "Ye are many, they are few". Sozioökonomische Einteilung.
Nehammer versucht jetzt diesen klar linken Claim umzudeuten und daraus eine normativ-moralische Einteilung zu machen. Und holpert doch wieder. "Minderheitenrechte" werden angeführt, aber klar gemacht, dass die die "Ausnahme" (?) sind.
Klar, wenn man das normativ-kulturell einteilt, dann müssen die, die nicht die Norm sind, die "Anderen" sein. Ganz abschreiben kann man sie nicht, aber Minderheitenrechte werden hier zur generösen Ausnahme, etwas was die normale Mehrheit der abnormalen Minderheit schenkt.
Von allen Beispiel, die er bringen könnte greift er Radfahren heraus. Radfahren als Minderheitenschutzprogramm? Kulturkampf versteigt sich wirklich in absurde Höhen. Radfahren hat nichts mit Minderheit oder Minderheitsrechten zu tun. Gar nichts.
Hier sieht man schon wie abstrus d moralische Take wird "Es ist in Ordnung radzufahren". Es braucht doch keinen Sanktus (oder irgendein Kommentar) des Bundeskanzlers (!), um Radzufahren. Wieso sollte es nicht in Ordnung sein? Es braucht keine Erlaubnis für soetwas Normales. (ha)
Radfahren (!) wird zur generösen Ausnahme, die man aber auch immer wieder wegnehmen könnte, schließlich ist das nur eine Ausnahme. Vielmehr sind Radfahrer_innen ja sogar die Bösen, weil sie Autofahrer_innen etwas vorschreiben wollen. Diese Geschichte wird immer bizarrer.
Dieses Beispiel korrespondiert schon gar nicht mehr mit der Realität. Autofahrer_innen und Radfahrer_innen können übrigens die selben Personen sein, es geht nicht um Gefühle und Erlaubnis, sondern Möglichkeiten und Bedingungen.
Die "Vielen" sind also zB die Autofahrer_innen, die mutig gegen das Diktat der "Wenigen", der Radfahrer_innen, kämpfen Kulturkampf galore. Genauso wie die "Wenigen", die "den Vielen" (dem Kanzler?) die Meinung verbieten wollen. (Wer?)
Danach natürlich die Heldenpose, das man sich mutig diesen ominösen Kräften entgegenstellt und sich nicht das Wort verbieten lässt. Das muss natürlich sein. Ein fiktiver Kampf gegen fiktive Gegner braucht auch einen fiktiven Helden, der immer gewinnt und/oder bedroht ist.
Ganz kurzer Exkurs: Diese "vielen Normalen" gab es übrigens auch in der Sozialdemokratie. Max Lercher war da ein sehr offensiver Proponent. Auch er forderte eine Politik für die Normalen. Lerchers "Normale" sind aber nah an Bablers "unsere Leit"
Ich war dem "normal"-Begriff immer sehr reserviert gegenüber, weil er sehr viele Abgleitflächen Richtung Kulturkampf hat, siehe Wagenknecht. Trotzdem ist Lerchers Definition auch eine klar soziökonomische. Es geht um jene, die arbeiten gehen, kein Vermögen haben.
Nehammers "normale Viele" sind hingegen eine Kulturkampf-Kategorie, die schwammig bleibt (bleiben muss) - Radfahrer, Transpersonen, Muslime, Arbeitslose, Klimakleber, das lässt sich beliebig füllen und erweitern, wie man es eben braucht.
Es ist ein direkter Versuch Bablers "unsere Leit" oder "für die Vielen" zu konterkarieren und umzudeuten, die inklusiv, weil sozioökonomisch definiert sind und keine moralische Wertung beinhalten. Es geht um eine Verbesserung der Leben der Vielen, egal, ob das gute Menschen sind.
Und dann gibt es noch die "unseren Leit" der FPÖ, die klar kulturalistisch bis völkisch definiert sind und eine rassistische Abgrenzung nach innen und nach außen hat.
Wir haben es hier also mit ganz vielen Gemeinschaftskonstruktionen zu tun, die teilweise gleich klingen oder versucht werden umzudeuten, aber nach unterschiedlichen Kriterien gebildet werden. Seien wir doch nicht so denkfaul das einfach gleichzusetzen.
Die Frage danach wer "reich" ist und wer nicht und ob man dann bei "unsere Leit" noch dabei ist wird komplett verzehrt geführt.
Nähern wir uns der Frage nach Reichtum doch mal an und jede_r kann eine Selbsteinschätzung anhand von Zahlen vornehmen:
Das mittlere Vermögen liegt bei ca 83.000 Euro. Das bedeutet, dass 50% der Österreicher_innen weniger und 50% mehr haben. Es liegt genau in der Mitte. Das sind Ersparnisse, Immobilien, Aktien usw. Alles was kein Einkommen ist.
Das Durchschnittsvermögen liegt weit höher, nämlich bei ca 270.000 Euro. Was heißt das? Eine sehr ungleiche Verteilung. Es müssen sehr wenige sehr viel und sehr viele sehr wenig haben, um so ein Auseinanderklaffen zu erklären. Durchnitt verzerrt die Realität bei sowas.
Das ist nicht nur gegen jeden Forschungsstand und verkehrt Ursache und Wirkung, es ist vor allem unehrlich.
In jedem Land werden die selben Sinnlosigkeiten zeitversetzt wieder gekäut und immer war es falsch.
1. Wird Rechtsextremismus verwischt. Rechtsextremismus ist eine sehr klare Haltung, die man auch so benennen muss. Es ist einer der aller größten Fehler Rechtsextremismus als „Stimme des Volkes“ abzutun. Das ist genau das was Rechtsextreme sein möchten, sie sind es aber nicht.
Ohne Not gibt eine Liberale ihnen diese Stellung. Warum? Das ist komplett unnotwendig. Es ist eine rechtsextreme Partei, auch wenn sie von vielen oder sogar einer Mehrheir gewählt wird. Das muss man akzeptieren und auch so sagen.
Alle haben wahrscheinlich schon diesen exzellenten Thread gelesen.
Die Frage nach dem „Warum“ bleibt und ich möchte ein paar Gedanken über eine Form des politischen Denkens hinzufügen, die zunehmend hegemonial wird: (kulturkämpferischer) Rechtslibertarismus
Die politische Rechte differenziert sich ja zunehmend aus und gleichzeitig finden Allianzprozesse statt. Deswegen ist es so schwer sowas wie die Corona-Demos usw gut einzuordnen. Ein Spektrum davon ist der Rechtslibertarismus, der zunehmend ins Kulturkämpferische geht.
Libertarismus ist, klar die Ablehnung von staatlicher Intervention auf allen Ebenen. Nicht gesellschaftspolitisch (weswegen es zb traditionell auf pro-Choice-Ansätze gibt), aber auf keinen Fall im Business. Das wird als Beschränkung von Innovation und Genie gesehen.
Das Profil hat Herbert Kickl interviewt und hätte es fast geschafft ihm nicht in die Falle zu tappen. Nur um im entscheidenden Moment nicht nachzuhaken. Der Reihe nach. Ihr seht schon wo das Problem ist:
Man übernimmt die zentrale Propaganda-Botschaft und macht sie zur Zitat-Headline. Könnte man aus Provokations-Gründen so machen (ist aber halt bisl gähn), wenn es wenigstens eine kritische Nachfrage dazu gegeben hätte. Die volle Passage hier:
Was sagt uns Kickl hier? Die Botschaft ist: Ich bin der Kanzler, der vom Volk erwählt ist und aus seiner Mitte kommt. Auch ohne lästige Wahlen und repräsentative Demokratie.
Es gibt also einen formalen Kanzler - das ist Systemkanzler.
Und es gibt gefühlten Kanzler - Volkskanzler
Nocheinmal ein kurzer Recap für Alle, die wissen wollen wie epochal diese Wahl, trotz allen Chaos ist: Andi Babler ist der Bürgermeister eines Industriestädtchens bei Wien - Traiskirchen. Unter normalen Umständen wird er nie Vorsitzender der SPÖ. Aber…
Es sind keine normalen Umstände. Jahrelang tobt in der SPÖ ein Machtkampf um Ausrichtung, Strategie und viele Befindlichkeiten. Die Strukturen der SPÖ sind so, dass es keine „Überraschungen“ bei Vorsitzwahlen gibt. Und dann die unverhoffte Demokratisierung u der Antritt Bablers.
Dieser Bürgermeister, der nichtmal im Nationalrat sitzt und keine wichtige Rolle in den hohen Funktionen spielt, tritt an und versammelt eine Bewegung hinter sich. Und das mit einer dezidiert linken Haltung. Keine Kompromisse weder sozioökonomisch noch gesellschaftspolitisch.
Ok, liebe Leute aus Deutschland folgendes: Andi Babler ist der neue Parteivorsitzende der SPÖ. Das ist der Kandidat, den ich euch hier die ganze Zeit vorstelle. Der Weg dorthin war unfassbar und hat eine noch unglaublichere Schlusspointe bekommen. Sie haben d Stimmen vertauscht.
Doskozil, der Landeshauptmann des Burgenlandes, stichelt seit Jahren gegen die gewählte Vorsitzende. Alles kommt zu einem Höhepunkt und er fordert sie heraus. Aber nicht, wie üblich, am Parteitag, sondern in einer Mitgliederbefragung als "Stimmungsbild." Gut.
Alles ist auf Duell gepolt, da meldet sich mit Niki Kowall ein dritter Kandidat und sagt: So nicht. Rendi-Wagner steht für den zentristischen Flügel, Doskozil für den rechts-sozialdemokratischen Weg ala Dänemark. Kowall macht einen linken Weg auf.