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Schwurbel-Industrie vs Bürgerkrieg im Donbass

Die Schwurbel-Industrie, jene Gruppe aus Journalisten, Politikern und Experten, die zu außenpolitischen Themen Geschwurbel am Fließband produzieren, ist sich einig: Russland habe 2014 den Konflikt im Donbass begonnen, es sei ganz sicher kein Bürgerkrieg, stattdessen sei der Donbass von den Separatisten besetzt, letztere selbstverständlich von Moskau kontrolliert🙄



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Die Leute, die diese und ähnliche Behauptungen aufstellen, haben fast alle eins gemeinsam: Sie wissen so gut wie gar nichts über den Konflikt, der 2014 im Donbass begann. Alles was sie darüber glauben und behaupten beruht auf Hörensagen und darauf, dass die anderen Nasen in ihrer Info-Blase dasselbe sagen. Es gab allerdings eine Zeit, in der auch ich ähnlich wenig über diesen Konflikt wusste, bis ich dieses Buch gelesen habe. Geschrieben wurde es von einem Herrn, der 2014 auf Seiten der Separatisten gekämpft hat. Für sein Buch hat Alexander Zhuchkovsky nicht nur seine eigenen Erlebnisse niedergeschrieben, sondern auch ehemalige Mitstreiter interviewet und darüber hinaus recherchiert. Sogar ukrainische Quellen kommen vereinzelt zu Wort. Da es sich hierbei um die Darstellung einer Seite eines Konfliktes handelt, habe ich alle Behauptungen überprüft, die sich prüfen lassen. Sie haben alle gestimmt. Dieses Buch stellt somit die Grundlage zu meinen Recherchen zum Bürgerkrieg im Donbass dar, aber es ist bei weitem nicht die einzige Quelle, die ich verwendet habe.

Was 2014 im Donbass geschah, passt so gar nicht in die westlichen und ukrainischen Propaganda-Narrative und ist aus genau diesem Grund heute in strategische Vergessenheit geraten. Allerhöchste Zeit, die Erinnerung aufzufrischen. Und jetzt viel Spaß bei der Lektüre.
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Phase 1 – Putsch in Kiew

Die Geschichte des Bürgerkrieges im Donbass beginnt am Morgen des 20. Februar 2014 in Kiew. Unbekannte Schützen eröffneten aus vom Maidan gehaltenen Gebäuden das Feuer auf die Berkut, die Spezialpolizei von Janukovich. Nachdem sie Verluste erlitten hatten, zogen sich die Berkut in eine Seitenstraße des Maidan zurück und die paramilitärisch organisierten Maidan-Trupps rückten in den freigewordenen Raum nach. Dort wurden die Maidan-Protestanten von denselben Schützen aus denselben Gebäuden beschossen, die zuvor auf die Berkut gefeuert hatten. 50 Menschen starben an diesem Tag, Ereignisse die als „Maidan-Massaker“ in die Geschichte eingehen sollten.

Einen Tag später, am 21. Februar, unterzeichnete Janukovich noch wie geplant ein von der EU ausgehandeltes Abkommen zwischen der Regierung und der Opposition in dem Neuwahlen und eine friedliche Machtübergabe beschlossen wurden, doch schon wenige Stunden später überlegte er es sich anders. Noch am selben Abend floh Janukovich aus Kiew, zunächst in den Osten der Ukraine und von dort aus weiter nach Russland. Am 22. Februar beschloss das ukrainische Parlament die Absetzung von Janukovich. Am 25. Februar meldete sich Janukovich aus Russland zu Wort. Er entschuldigte sich bei seinen Anhängern, dass er sie enttäuscht habe. Seine Flucht aus Kiew sei keine Flucht gewesen, aber er habe die Ukraine verlassen müssen, weil er um seine Sicherheit und die seiner Familie habe fürchten müssen. In Kiew habe ein Putsch stattgefunden, trotzdem sehe er sich als rechtmäßigen Präsident, er werden den Kampf fortsetzen.

Janukovich war gestürzt worden.

Quellen:

ARD Monitor Recherchen zum Maidan Massaker:


Janukovich meldet sich nach dem Sturz aus Russland:
Phase 2 – Demonstrationen im Südosten und russische Einmischung

Janukovich war durch die Stimmen der Leute im Südosten der Ukraine an die Macht gekommen, in manchen Teilen des Donbass hatten über 90% für ihn gestimmt. Es war der Präsident dieser Menschen, der soeben gestürzt worden war.
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Daraufhin kam es im gesamten Südosten zu Demonstrationen und separatistischen Aktivitäten, die teilweise organisch und teilweise von Russland orchestriert waren. Dies lässt sich beweisen durch die sog. Glazyev Tapes, bei denen es sich um vom ukrainischen Geheimdienst abgehörte Gespräche zwischen Putin Berater Sergei Glazyev und seinen Mitarbeitern handelt. Diese Gespräche, in denen Glazyev und seine Leute die Ereignisse im Donbass besprechen, werden von ukrainischer Seite als Beweis dafür präsentiert, dass Russland 2014 den Donbass überfallen habe, doch das ist eine stark verzerrte Darstellung. Einerseits sprechen Glazyev & Co. davon wie sie Proteste in Odessa und Kharkiv finanziert haben und dass Glazyev den Befehl erhalten habe, in der Ukraine so viele Menschen wie möglich auf die Straße zu bringen. Andererseits beschreiben sie aber auch, wie sie von lokalen Aktivisten kontaktiert wurden oder wie Menschen sich ohne das Zutun Moskaus zu Revolutionsräten zusammenschlossen. Seht selbst.




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Diese durchwachsene Stimmung, irgendwo zwischen organischer Revolution und russischer Einmischung, finden wir auch in einer Meinungsumfrage wieder, welche das Kyiv international Institute of Sociology Anfang April 2014 im Südostens der Ukraine durchführte. Einerseits sprach zu diesem Zeitpunkt nur eine Minderheit Zustimmung zu einer bewaffneten Revolution und einem Anschluss an Russland aus. Andererseits war eine große Mehrheit der Bewohner des Südostens der Ansicht, dass Russland die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung schütze. Außerdem hielt bereits zu diesem Zeitpunkt eine Mehrheit einen Bürgerkrieg für möglich. Last but not least sprachen nur eine Minderheit von knapp 20% Zufriedenheit mit dem politischen Ist-Zustand aus, wogegen sich die meisten Menschen mehr Föderalisierung und Dezentralisierung wünschten.




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Phase 3 – Igor Girkin und der Krieg

Am 12. April 2014, zwei Monate nach dem Sturz von Janukovich und während das Kyiv international Institute of Sociology gerade dabei war die oben zitierte Umfrage durchzuführen, betrat eine Gruppe bewaffneter, russischer Nationalisten, angeführt von Igor Girkin, von der Krim aus die Ukraine und begann in Slowjansk Regierungsgebäude zu besetzen. Ihr Ziel war es, eine Wiederholung des Krim Szenarios, d.h. Referendum und blutlose Annexion, für den Südosten der Ukraine zu erreichen. Russische Nationalisten nennen dieses Gebiet bis heute „Novorossiya“ und betrachten es als Teil Russlands. Dieses Gebiet wurde unter Katharina der Großen erschlossen, Städte wie Mariupol, Odessa, Kherson usw. wurden damals gegründet oder ausgebaut. Wie ich im Folgenden beweisen werde, fand die Operation unter Girkins Führung nicht auf Geheiß der russischen Regierung statt, finanziert wurde sie mutmaßlich vom Krim Oligarchen Konstantin Malofeyew.

Girkins Ankunft nebst Besetzung von Regierungsgebäuden wurde auch in Kiew registriert. Einen Tag später, am 13. April 2014, löste die ukrainische Übergangsregierung die sog. „Anti Terror Operation“ aus.

Was dann folgte schildert Alexander Zhuchkovsky, der Autor von „85 days in Slavyansk“, ungefähr folgendermaßen: Die ersten Kontakte zwischen der ukrainischen Armee und der Donbass Miliz, wie sich die Nationalisten nannten, verliefen gewaltfrei ab. Die ukrainischen Soldaten kamen selbst aus der Region, sie waren russischsprachige Ukrainer und es war auch ihr Präsident, der vor kurzem gestürzt worden war. Dazu versuchte die Donbass Miliz am Anfang Blutvergießen zu vermeiden, da ihr Ziel, wie bereits erwähnt, eine Wiederholung des Krim Szenarios war. Statt zu kämpfen gaben bei ersten Begegnungen ukrainische Soldaten oft ihre Waffen ab oder schlossen sich gar der Donbass Miliz an. So kamen Girkin und seine Leute an zusätzliche Kämpfer und Waffen, darunter auch mehrere BTR Schützenpanzer und ein Nona, ein Panzermörser ähnlich der Panzerhaubitze 2000.

Erst als nach und nach Mitglieder des rechten Sektors und der Nationalgarde (Asow) im Donbass ankamen, kam es zu Kampfhandlungen und ersten Toten. Am 20. April 2014 griff ein Konvoi mit Kämpfern des rechten Sektors, unter ihnen der rechtsextreme Politiker und Milizenführer Dimitri Yarosh, einen Checkpoint der Donbass Miliz an, was zu Toten und Verwundeten auf beiden Seiten führte. Der Bürgerkrieg hatte begonnen.

In den ersten Tagen und Wochen der Kampfhandlungen war die ukrainische Armee noch unterbesetzt und mit der Situation heillos überfordert. Dazu versuchten die Donbass Miliz und reguläre ukrainische Streitkräfte weiterhin sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Dies führte anfänglich zu militärischen Erfolgen der Separatisten, darunter gewonnene Gefechte am Boden und sogar ein paar Abschüsse von ukrainischen Kampfjets und Helikoptern. Außerdem schaffte es Igor Girkin nach und nach, die verschiedenen, lokalen Rebellengruppen zu einer einheitlichen Fraktion zu vereinen. Diese Erfolge, die in Russland nicht unbemerkt blieben und das Massaker von Odessa am 2. Mai, bescherten der Donbass Miliz einen regen Zustrom von Kämpfern (die berühmten russischen Urlauber) und privat organisierter Unterstützung in Form von Geld und Waffen.
Die Stimmung unter den Rebellen war in den ersten Wochen des Krieges euphorisch. Der Milizionär Vitaly „Afrikaner“ Fedorov beschreibt die Stimmung in seinem Buch „The Freedom Fighter“ folgendermaßen (Ich habe dieses Buch nicht gelesen, der folgende Ausschnitt wird in „85 Days in Slavyansk“ referenziert):

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Mir ist allgemein bei meinen Recherchen aufgefallen, dass die Mainstream Medien damals, als noch nicht klar war in welche Richtung sich der Konflikt entwickeln würde, ehrlicher berichtet haben als sie das heute tun. Auch bei ukrainischen Politikern waren damals die Propaganda-Floskeln nicht so eingespielt wie sie das heute sind. Heutzutage reden ukrainische Politiker von den „temporär besetzten Gebieten“, die sie „befreien“ möchten und auch die Mainstream Medien können sich nicht mehr an ihre Artikel von damals erinnern. Im Gegensatz dazu berichtet der Spiegel Anfang Mai 2014 von den Ereignissen in Slowjansk und bezeichnete die Separatisten als „prorussische Volksmiliz“. Außerdem wird in diesem Artikel der damalige ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow mit den Aussagen zitiert, dass es im Donbass viele Anhänger einer Abspaltung von der Ukraine gebe und die Bürger der Region die Separatisten unterstützen.

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Am 11. Mai fanden in den kürzlich ausgerufenen Donbass Republiken Referenden statt. Laut den Separatisten lag die Wahlbeteiligung in Donezk bei 75%, von denen 89% für eine Unabhängigkeit von der Ukraine stimmten. In Luhansk wurde ebenfalls eine Wahlbeteiligung von 75% gemeldet und ein Ergebnis von 96% zugunsten einer Unabhängigkeit. Zum Vergleich: In der eingangs erwähnten Umfrage des Kyiv international Institute of Sociology hatten nur 10,6% der Bewohner in Donezk und 12,4% der Bewohner von Luhansk Zufriedenheit mit der politischen Ist-Situation ausgedrückt, wogegen sich eine große Mehrheit für eine Föderalisierung bzw. Dezentralisierung ausgesprochen hatten. In der Zwischenzeit hatte die Ukraine die Armee in den Südosten geschickt und dies als „Anti Terror Operation“ betitelt und außerdem waren 48 pro-russische Aktivisten in Odessa getötet worden, manche von ihnen verbrannten bei lebendigen Leibe.

Kurz vor dem Referendum war der damalige Schweizer Außenminister und OSZE Vorsitzende Didier Burghalter zu Besuch in Moskau gewesen und hatte erfolgreich vermittelt. Um Deeskalation bemüht, forderte Putin die Rebellen daraufhin auf das Referendum nicht abzuhalten. Die Separatisten hielten es trotzdem ab. Putin revanchierte sich später, indem er das Votum nach Unabhängigkeit nicht akzeptierte und im Rahmen der Minsker Abkommen einen Verbleib der Donbass Republiken in der Ukraine aushandelte. Dies ist nur einer von vielen Beweisen, dass die Donbass Miliz nicht unter dem Befehl Moskaus stand, sondern eine eigene Agenda hatte.
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Während es auf dem Schlachtfeld zu Beginn noch gut gelaufen war für die Rebellen, sollte sich das Blatt bald wenden. Nachdem die Ukraine in den ersten Wochen des Kriegs nicht in der Lage gewesen war, die Verteidigung der Donbass Miliz zu durchbrechen, folgte eine Phase relativer Ruhe, in der die ukrainische Armee zusätzliche Einheiten in den Donbass verlegte und damit begann, einen Belagerungsring um Slowjansk zu ziehen. Alexander Zhuchkovsky und Igor Girkin beschreiben die Situation folgendermaßen:
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Die Ruhephase sollte nur zwei Wochen anhalten. Nachdem die Verstärkung im Donbass angekommen war, begann die ukrainische Armee Slowjansk sturmreif zu schießen und die Zivilbevölkerung mit Artillerie zu vertreiben. Alexander Zhuchkovsky beschreibt die Situation folgendermaßen: Image
Man könnte dies für eine einseitige Darstellung halten, aber das ist es nicht. Wie bereits erwähnt, berichteten die Mainstream Medien in den ersten Monaten des Ukraine Konfliktes noch ehrlicher, als sie das heute tun. Dieser Reuters Artikel bestätigt die Darstellung von Alexander Zhuchkovsky, es lohnt sich ihn komplett zu lesen. Am Ende wird erwähnt, dass die ukrainische Armee damals behauptete, die Rebellen würden sich in Slowjansk selbst beschießen.
Acht Jahre später hatte Reuters diese Ehrlichkeit abgelegt und gab die ukrainische Behauptung, Russland beschieße sich bei Saporischschja selbst, brühwarm und quasi im Indikativ an seine Leser weiter. Image
Zurück zum Krieg im Donbass. Der Juni 2014 war gekennzeichnet von schweren Kämpfen. Durch die Intensivierung der Kampfhandlungen war es auch zunehmend zu Zusammenstößen zwischen den Rebellen und regulären Einheiten der ukrainischen Armee gekommen, was zu Toten auf beiden Seiten geführt hatte. Dazu waren die Ukrainer frustriert darüber, dass die örtlichen Zivilisten der Donbass Miliz Unterschlupf gewährten und diese unterstützten. Ihre anfängliche Zurückhaltung hatten die regulären ukrainischen Truppen zu diesem Zeitpunkt aufgegeben.

Die Kapazitäten der Donbass Miliz reichten gerade so aus um Slowjansk zu halten, in allen anderen Teilen des Donbass waren die Rebellen der ukrainischen Übermacht an Mensch und Material nicht gewachsen. Stadt für Stadt und Dorf für Dorf konnten die ukrainischen Truppen zurückerobern. Es gelang der Ukraine sogar, die russische Grenze zu erreichen und die Versorgungslinien der Separatisten zu unterbrechen. Von der anfänglichen Euphorie unter den Rebellen war jetzt nichts mehr zu spüren. Stattdessen wurden die Hilferufe nach einer russischen Intervention immer lauter, doch im Kreml hatte man andere Pläne. Putin setzt zu diesem Zeitpunkt auf eine diplomatische Lösung und so kam Russland einer Forderung nach, die der neue ukrainische Präsident Poroshenko gemacht hatte, kurz nachdem er am 7. Juni ins Amt gekommen war. Am 25. Juni entzog sich Russland das zuvor selbst erteilte Recht auf eine Militärintervention in der Ukraine. Ein weiterer Beweis, dass der Kreml eine andere Agenda hatte als die Separatisten.
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Von Russland alleine gelassen und den ukrainischen Truppen haushoch unterlegen, gab es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr viel, was die Donbass Miliz tun konnte. In einer Nacht- und Nebelaktion verließen die Rebellen am 5. Juli 2014 Slowjansk und flohen durch die letzte Lücke im ukrainischen Belagerungsring. Slowjansk war gefallen.

Mit dem Ende der Belagerung von Slowjansk endet auch das Buch „85 Days in Slavyansk“. Dieses Buch war beim Recherchieren von unschätzbarem Wert und mir sind die Ereignisse, die auf den Abzug der Rebellen folgten, nicht in dem Detailgrad bekannt wie das, was davor passierte. Die Kurzversion von dem was nach dem 5. Juli passierte lautet ungefähr so: Der Fall von Slowjansk, sowie Poroshenkos Weigerung, sich auf eine diplomatische Lösung einzulassen, muss in Moskau zu einem Umdenken geführt haben. Die Donbass Miliz war zuvor nur mit leichten Waffen und ein paar erbeuteten Panzerfahrzeugen bewaffnet gewesen. Die Abschüsse von ukrainischen Helikoptern und Kampfjets waren ihnen mit MANPADs und schweren Maschinengewehren gelungen, das einzige echte Artilleriegeschütz, das ihnen zur Verfügung gestanden hatte, war der oben erwähnte Nona. Am 17. Juli jedoch, knappe zwei Wochen nach dem Fall von Slowjansk, wurde der Flug MH17 der Malysia Airlines mit einer BUK abgeschossen, eine Tragödie, die 298 Menschen das Leben kostete. Über eine solche Waffe hatten die Separatisten noch kurz zuvor nicht verfügt, weder im Bereich Luftabwehr, noch in einer anderen Waffengattung. Außerdem begann die russische Armee erstmalig direkt einzugreifen und schoss mit Artillerie von Russland aus auf ukrainische Einheiten. Doch selbst diese direkte Unterstützung aus Moskau konnte den Vormarsch der Ukraine nicht stoppen. Anfang August stand die ukrainische Armee vor Donezk und Luhansk und begann auch dort Belagerungsringe aufzubauen. Am 18. August war die ukrainische Armee bis in das Stadtgebiet von Luhansk vorgedrungen. Am 23. August, als Donezk und Luhansk kurz vor dem Fall standen, intervenierte die russische Armee. Innerhalb von zwei Wochen wurde die ukrainische Armee aufgerieben und zurückgeschlagen. Im Rahmen der Minsk Vereinbarungen einigten sich alle Parteien am 5. September auf einen Waffenstillstand. Damit endete 2014 die Hauptphase des Krieges im Donbass.
Abschließend möchte ich noch auf dieses Interview mit Igor Girkin hinweisen, in dem er so ziemlich alles bestätigt, was auch ich in diesem Thread beschreibe, mit nur einer Ausnahme. Girkin datiert die Ankunft der „russischen Urlauber“ auf Anfang August 2014. Ich denke nicht, dass das stimmt. Alexander Zhuchkovsky schreibt in seinem Buch, dass die Donbass Miliz im Mai 2014 noch zu 90% aus lokalen Kämpfern und nur zu 10% aus russischen Staatsbürgern bestand. Durch den Zustrom an Freiwilligen aus Russland habe sich dieses Verhältnis bereits bis Ende Juni 2014 zu 60% lokale Kämpfer und 40% russische Staatsbürger verschoben.Ich empfehle trotzdem, das Interview komplett zu lesen.
Die „Beweisführung“ der Schwurbel-Industrie

Schauen wir uns nun, im krassen Kontrast zu den in diesem Thread gesammelten Informationen, die „Beweisführung“ der Schwurbel-Industrie an, beginnend mit den schlechtesten Beiträgen.

2016 behaupteten die ZEIT und Frontal21, an über 10.000 angeblich geleakte Emails der Separatisten gelangt zu sein. Mit diesen ließe sich nachweisen, dass die Separatisten unter der Kontrolle Moskaus stünden. Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich denke, dass das gelogen ist und die Mails nicht geleakt sondern von ukrainischen, amerikanischen oder britischen Geheimdiensten gehackt und an die Medien weitergegeben wurden. Vor allem die ZEIT ist das deutsche Haus- und Hofblatt der US Regierung. Definitiv im schlechten Glauben wird dann aus über 10.000 Emails gerade mal ein einziges Dokument präsentiert, in dem russische PR-Berater den Separatisten Propaganda-Tipps geben. Dies wird als Beweis für die Steuerung aus Moskau präsentiert. Dabei geben über 10.000 Emails natürlich ein detailliertes Bild vom Innenleben der Separatisten. Dass die Mainstream Journalisten aus einem derart reichhaltigen Fundus nur ein einziges Dokument präsentieren, bedeutet im Umkehrschluss, dass der ganze Rest propagandistisch nicht verwertbar war.
Hier behauptet der selbsternannt Desinformationsanalyst @DietmarPichler1, dass es nie einen Bürgerkrieg im Donbass gegeben habe, denn viele Führungsfiguren der Donbass Miliz seien schließlich russische Nationalisten gewesen. Zum Beweis verlinkt er die Wikipedia Artikel von Igor Girkin und Alexander Borodai, dem damaligen Premierminister der Donbass Republiken. An einer anderen Stelle verlinkt er noch auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung, in dem das oben verlinkte Interview mit Igor Girkin tendenziös verzerrt wiedergegeben wird. Damit ist die Beweisführung dann auch schon abgeschlossen. Na dann ist ja alles klar.

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Apropos Wikipedia. Den Leuten, die Wikipedia für ihre professionelle oder private Agenda missbrauchen, ist es immer eine Herzensangelegenheit, dass gleich in der Einleitung steht, wer der Terrorist, Verschwörungstheoretiker etc. ist. Auch der Artikel zum Bürgerkrieg im Donbass stellt hier keine Ausnahme dar. Inflationär ist in der Einleitung von „Russian-backed separatists“ die Rede, aber die dafür angeführten Beweise sind mehr als dünn. Es werden Artikel verlinkt, in denen Putin lediglich zugibt, ein paar Spezialisten in den Donbass geschickt zu haben. Als finaler Beweis für die Behauptung, Russland habe die Rebellen von Beginn an mit Truppen und Waffen unterstützt, wird ein Artikel von 2023 verlinkt, laut dem Russland nach der Annexion der vier ukrainischen Oblaste im September 2022, Separatisten-Kämpfern einen Veteranen Status gewährte (Quelle 21 im Wiki Artikel). Das bedeutet nur, dass Russland nach der Annexion 2022 die Gebiete als eigenes Staatsgebiet behandelt und hat mit den Ereignissen von 2014 nichts zu tun. Die Aussagen sind geschickt so formuliert, dass man nicht sofort bemerkt, dass sie keinen Sinn ergeben.

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Dieses illustre Pamphlet wurde von Mitgliedern des Atlantic Council verfasst, darunter Eliot Higgins und der ehemalige amerikanische Botschafter in der Ukraine. Es handelt sich um Leute mit einem stramm transatlantischen Weltbild, die selbst an ihren besten Tagen bei einem Thema mit Russland Bezug keine sachliche Darstellung hinbekommen würden. Ich denke, daher nicht, dass es im schlechten Glauben verfasst wurde. In dem Dokument werden die gängigen Verschwörungsmythen bedient vom russischen Überfall auf den Donbass, von grünen Männchen, die sich als Separatisten verkleidet hätten etc. An einigen Stellen musste ich beim Lesen laut lachen😂Am Ende habe ich das Dokument dann aber doch einmalig als Quelle verwendet. Die Erkenntnis, dass Moskau nach dem Fall von Slowjansk begann, den Rebellen hochentwickelte Waffen zu liefern, habe ich mir daraus abgeschaut. Immerhin.
Diese Buch habe ich nicht gelesen, ich kenne nur die Zusammenfassung. Der Titel ist zwar tendenziös und der Putsch in Kiew fehlt, aber ansonsten sieht es nach einer recht sachlichen Beschreibung der Ereignisse von 2014 aus. Explizit wird erwähnt, dass Igor Girkin und Konstantin Malofeyew die treibenden Kräfte waren und der Kreml am Anfand selbst nicht wusste, was man mit den Rebellen anfangen sollte. Ironischerweise macht es gerade der tendenziöse Titel möglich, dass solche Informationen in die ansonsten hermetisch abgeriegelte Mainstream-Blase eindringen können.
Damit ist dieser Thread zu Ende. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, sind hier viele Stunden Arbeit rein geflossen. Euch mit einem Like oder noch besser, einem Retweet zu revanchieren, dauert dagegen nur wenige Sekunden. Damit helft ihr auch, dass strategische Vergessen dieser Ereignisse ein wenig zu durchbrechen. Vielen Dank.
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