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Sep 15 26 tweets 4 min read Twitter logo Read on Twitter
1/24 Seit gestern geistert ein Meinungsstück (mir fällt keine neutralere Bezeichnung für dieses Pamphlet ein) von einem pensionierten Kollegen aus der Sicherheitsforschung in der faz durch twitter und bringt mir jede Menge Kommentare, warum ich mich darüber so aufrege und ob das
2/24 nicht zeige, dass er doch irgendwie recht hat. Darum will ich meinen Ärger jetzt einmal etwas ruhiger erläutern. Den Kern des Textes des Kollegen bildet ein zentrales Argument: Sicherheitsforschung u strategic studies hätten i D keine Chance gehabt, weil bis zum Krieg ein
3/24 institutionell-ideologischer Komplex militanter Pazifist.innen (Wissenschaft und Politik) dies verhindert hätten. Im Besonderen seien die Friedens- und Konfliktforschung, die natürlich alle militante Pazifisten seien, dafür verantwortlich, dass Deutschland Russland falsch
4/24 eingeschätzt habe, bündnispolitisch versagt habe und eigentlich alles in Sachen Sipo und Verteidigung vergeigt habe. Falls Sie sich also auch mal fragen, wer ist schuld an Russlands Krieg: wir waren das! Ich finde es bodenlos und unanständig, wie hier versucht wird, ein
5/24 anderes Forschungsfeld dafür zu nutzen, sich bzw. das Forschungsfeld, das einem nahe steht, zu profilieren und eigene Versäumnisse anderen anzukreiden. Ich kann das grundsätzlich zwar verstehen: alle Fachgebiete leiden unter (und konkurrieren um) knappe/n Budgets. Bislang
6/24 wurden solche Konkurrenzen dennoch eher wissenschaftlich ausgetragen, d.h. durch den Nachweis von impact (hochwertige Publikationen, Drittmittelquoten). Die billige politische Schiene in diesem Stück ist neu, zugleich spielt sie mit Vereinfachungen und Verächtlichmachung
7/24 anderer, die ich generell für symptomatisch für die gegenwärtige Debattenkultur in diesem Land halte. Aber im Einzelnen: Sind die strategie studies wirklich randständig in D wie der Kollege behauptet? Ja, das sind sie. Es gibt zwar immer mal wieder Arbeiten dazu, aber ein
8/24 institutionalisiertes Forschungsfeld ist daraus nicht erwachsen, was insbesondere daran liegen dürfte, dass diese Arbeiten nicht in den höherwertigen Journals erschienen sind, sich deren Qualitätskriterien also gar nicht unterworfen haben, sondern in politiknahen Journalen
9/24 Wie sieht es mit der Sicherheitsforschung aus? Ganz anders. Sicherheitsforschung hat in Deutschland Tradition. Sie wird aber zumeist einem Fach zugeordnet, also etwa Professur für Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt. Davon gibt es einen ganze Reihe in Deutschland.
10/24 Dazu zählen momentan u.a. Carlo Masala, Anna Geis, Thomas Risse, Thomas Jäger, Christopher Daase, Ursula Schröder, Simon Koschut etc. Sind das Marginalisierte? Wohl kaum. Darunter sind einige der bekanntesten Politolog.innen des Landes.
11/24 Haben sie denn keine Förderung erhalten? Hier beginnt die notwendige Differenzierung: Zentren, wie jene in München und Hamburg, oder die entsprechenden Abteilungen an den großen FuK-Instituten sind (in der eigenen Wahrnehmung natürlich nie;-) gut gefördert worden
12/24 und auch politisch immer um Rat gefragt worden. Das liegt daran, dass sie auch akademisch überzeugen konnten. Andere konnten das nicht und mussten daher immer auch um private Förderer kämpfen. Und das ganz unabhängig davon, welche Regierung im Amt war.
13/24 Aber ging das nicht eher alles an die Friedensforschung? Nein, auch hier muss man differenzieren. Die Friedens- und Konfliktforschung umfasst in Deutschland auch Sicherheitsforschung. Teils wird das explizit im Namen gemacht, wie am ifsh, teils gibt es sehr große
14/24 und international renommierte Abteilung dazu, wie etwa im Bereich Sicherheit und Rüstungskontrolle an der HSFK. An den Universitäten, etwa in Mannheim oder Konstanz gibt es darüber hinaus bedeutende Zentren quantitative Gewalt- und Kriegsforschung.
15/24 Aber sind das nicht alles militante Pazifist.innen in der FuK? Das ist der Bereich von Vereinfachung und Verächtlichungmachung, der so typisch für die deutsche Debattenkultur der Gegenwart ist: Die institutionelle FuK ist in ihren Ursprüngen eng mit der Friedensbewegung
16/24 verwoben. Das bestreitet niemand und wir sind stolz auf diese Ursprünge. Nur: hat sich die FuK seit diesen Ursprüngen weiter entwickelt. Die Friedensbewegung bedauert das u sagt, die FuK hätte ihr nichts mehr zu geben. Das liegt daran, dass die FuK auch um ihr Überleben zu
17/24 sichern (nein, sie war nicht das geliebte Kind der Politik, ganz im Gegenteil), sich teilweise entnormativiert und professionalisiert hat (natürlich bleiben wir einem normativen Ziel verhaftet: die Bedingungen von Frieden zu erforschen). Mit anderen Worten: seit den 1990er
18/24 Jahren sind sozialwissenschaftliche Standards eingezogen worden, Drittmittel und peer-reviewed Publikationen zum Standard geworden. Das hat dazu geführt, wie auch der Bericht des Wissenschaftsrats feststellt, dass die FuK heute ein relevantes und innovatives Forschungsfeld
19/24 geworden ist. Aber es stimmt doch, dass Sicherheitsforschung angefeindet wurde? Differenzierung: Studierende sind seit langem sehr kritisch gegenüber jeglicher Forrschung zu Rüstung und Militär und haben gegen entsprechende Zentren und Projekte protestiert. Das betraf auch
20/24 die Friedens- und Konfliktforschungsinstitute. Akademisch und politisch sah das aber anders aus. Hier ging es um wissenschaftlichen Erfolg. Schwierige Fälle waren die, die auch an den Hochschulen insgesamt sehr kritisch diskutiert wurden: Forschung für Rüstungsunternehmen
21/24 oder Verteidigungs-ministerien/ Geheimdienste anderer Länder. Ich muss gestehen, ich finde es in Ordnung, wenn da sehr genau hingeschaut wird. Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Bleibt noch: war die FuK nicht doch schuld, dass die Deutsche Politik Russland falsch
22/23 eingeschätzt hat etc.? Sorry, aber da muss ich kurz lachen. Das gibt ihr einen politischen Einfluss, den sie überhaupt nie hatte! FuK waren auch nicht alles Russlandapologeten. Was ein ….Nichts davon heißt, dass wir nicht mehr Sicherheitsforschung benötigen. Doch das tun
23/24 wir, aber nicht im Ausspielen benachbarter Felder, sondern in Kooperation, um mehr und verlässlicheres Wissen zu erzeugen!
Abschließend, lieber Kollege, ich bedaure sehr, dass Ihr An-Institut nie die Aufmerksamkeit bekommen hat, die Sie sich gewünscht haben. Das ist nicht
24/24 schön und schmerzt, aber vielleicht hätten Sie es auf den „old school“ akademischen Weg versuchen sollen statt politisch. Das ist sehr anstrengend, aber es lohnt und am Ende können Sie gewiss sein, dass Sie sich den Erfolg auch selbstständig erarbeitet haben
Hier sind viele großartige Forscher.innen nicht genannt, wie Frank Sauer oder Elvira Robert und noch mehr. Sorry, aber es waren schon so viele tweets
*Rosert, Entschuldigung

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