Gestern wurde von Impfgegnern in Wien eine Veranstaltung gestört - die Verleihung des "Goldenen Bretts vorm Kopf". Gepöbel, Geschrei, Handgemenge - das ist wohl die Stimmung, an die wir uns in Zukunft gewöhnen müssen. Was genau ist passiert? Ein Thread. (Wird lang, aber wichtig.)
Zunächst: Was ist das für eine Veranstaltung? Das Goldene Brett gibt es seit über 10 Jahren. Es ist der Preis für den größten antiwissenschaftlichen Unsinn des Jahres. Die Welt von Esoterik, Pseudowissenschaft und Verschwörungstheorien ist groß und weit. Manches davon ist lustig.
Manche Leute behaupten Falsches, weil sie es nicht besser wissen. Das ist ok. Das Goldene Brett geht nicht an sie, sondern an Leute, die auf ihre Irrtümer ausführlich hingewiesen wurden, trotzdem ihren Kurs nicht ändern, und damit oft eine Menge Geld machen - und anderen schaden.
Natürlich ist es nicht nett, jemandem so einen satirischen Negativpreis zu verleihen. Aber wenn man unwissenschaftlichen Thesen in der Öffentlichkeit steht und daraus ein Geschäftsmodell gemacht hat, dann muss man sich Kritik schon gefallen lassen.
Selbstverständlich ist es legitim, auf diese Kritik zu reagieren - meinetwegen auch scharf. Die Nominierten werden zur Veranstaltung eingeladen, sie können auch eine Botschaft schicken, die je nach Wunsch per Video gezeigt oder verlesen werden würde.
Der erste Gewinner des Bretts (P.A. Straubinger) kam persönlich vorbei, hielt eine Rede und holte sich die Trophäe ab. Man hatte Spaß, ging mit Handschütteln auseinander - auch wenn klar war, dass man sich inhaltlich nicht einigen wird.
Das Goldene Brett soll in erster Linie lustig sein - denn Humor braucht man, um den wissenschaftsfeindlichen Unfug unserer Zeit auszuhalten. Wenn das Goldene Brett also als "Pranger" bezeichnet wird, ist das Unsinn.
Nebenbemerkung: Ich bekam auch schon mal eine solche ironische Auszeichnung, ich war unter den Top3 für die "Goldene Clownnase", vergeben von Schwurblern an Leute, die Wissenschaft in die Öffentlichkeit bringen. Habe ich mich da beklagt? Nein.
Das war allerdings eine reine Beschimpfungsaktion, ich wurde nicht eingeladen, es gab trotz Anfrage keinen Kontakt, keine Diskussion, lustig war daran auch nichts. Ist ok, damit kann ich leben. Aber es soll dann bitte niemand sagen, das Goldene Brett sei gemein und unfreundlich.
Bei der Verleihung gestern war keiner der Nominierten anwesend, es gab auch keine Botschaften. Aber ihre Fans waren da. Sie hatten Karten gekauft, die Galerie und die hinteren Reihen besetzt und störten die Veranstaltung - durch Geschrei, Gejohle, Pöbeleien, Beschimpfungen.
Die Stimmung war feindselig und giftig. Moderator Martin Puntigam versuchte zu entschärfen: Als das Programm wegen des Benehmens der Gegenfraktion nicht mehr fortgeführt werden konnte, machte er das Angebot: Eine Person soll auf die Bühne kommen und ihre Sichtweise vertreten.
Es kam auch jemand - aber völlig ohne Argumente. Man hatte sich offenbar keine überlegt. Sehr schade. Die Abmachung, dass die Veranstaltung dann in Ruhe weitergehen könne, wurde gebrochen. Keine Handschlagqualität bei diesen Leuten.
Aber wer waren die nun? Man hätte auf eine rechtsradikale Organisation tippen können. Das Gejohle und Geschrei machte klar, was die Themen dieser Leute sind: Gegen Impfung, gegen Coronamaßnahmen, gegen Klimaschutz, für Verschwörungstheorien zu 9/11, für Russland, gegen die NATO.
Es war aber ein Verein, der sich selbst ganz anders darstellt: Die "Grünen gegen Impfpflicht und 2G". Wie bitte?
Es ist keine offizielle Gruppe der grünen Partei, aber es gibt starke Verbindungen: Die ehemalige Parteichefin Petrovic (bekannt für esoterische Ansichten) ist dabei.
Aber laut Webseite ist auch ein aktiver grüner Vizebürgermeister unter den Führungsfiguren. @diegruenen wären gut beraten, sich zu distanzieren und solche Leute aus der Partei auszuschließen.
Es ist völlig legitim, gegen Corona-Maßnahmen zu sein (auch wenn ich das aus wissenschaftlicher Sicht niemals unterstützen kann). Aber darum geht es ja gar nicht, denn dieses Thema ist vorbei. Diese Gruppierung wirkt wie eine Propagandagruppe gegen wissenschaftliches Denken.
Hier ist eine schräge Allianz entstanden - von dem, was früher öko-linke Esoterik war, mit dem, was heute weit rechts stehende Fake-News sind. "Grün" ist daran schon lange nichts mehr. Aber dieses Label saugt natürlich Leute in diese Bewegung, die man sonst nicht erreicht hätte.
Und diese Leute wollen nicht diskutieren, keine Argumente vorbringen. Die Chance hätten sie gehabt. Stattdessen inszeniert man sich als Opfer von "Lügenpresse" oder "Meinungselite" und fühlt sich unterdrückt. Und mit diesem Gefühl legitimiert man Hass und Gewalt.
Ich bin in der Sache pessimistisch: Das ist wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt. Ein Kulturbruch hat sich ereignet. Man hat keinen Respekt mehr vor Fakten, vor simplen Regeln des menschlichen Umgangs.
Das Herausbrüllen von bauchgefühlten Wahrheiten, der Glaube, sie seien genauso wertvoll wie wissenschaftliche Fakten - das ist jetzt unsere neue Realität. Das kann nicht gut gehen. Schon gar nicht, wenn Esos und radikal Rechte zusammen marschieren.
Ich wollte immer mithelfen, dass die Gesellschaft aufgeklärter, freier, rationaler wird. Der Traum ist vorbei. Stattdessen geht es jetzt um ein Rückzugsgefecht: Wir dürfen uns Wissenschaft, gut recherchierten Journalismus und faktenbasierte Diskussion nicht ganz zerstören lassen.
Wir werden immer mehr Dinge diskutieren müssen, die in Wahrheit längst geklärt sind. Heute müssen wir erklären, dass es Viren wirklich gibt. Morgen vielleicht, dass Hexenverbrennungen eher schlecht sind? Dass die Erde ganz ehrlich keine Scheibe ist? Es wird schmerzhaft.
Aber es nützt ja nichts. Wenn wir einen Rückfall in ein antiwissenschaftliches Mittelalter verhindern wollen, müssen wir uns jetzt nach Kräften bemühen, Fakten auf den Tisch zu legen, die besseren Argumente zu haben, ehrlich zu kommunizieren. Auch wenn der Trend gegen uns läuft.
Unser großer Vorteil ist, dass die Gegenseite eines nicht kann: Wissenschaftliche Fakten ändern. Sie können die öffentliche Debatte an sich reißen. In die Regierung einziehen. Aber falsche Aussagen bleiben trotzdem falsch. Und Fakten bleiben wahr. Also nur Mut!
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Wie schön! Auch der Chemie-Nobelpreis hat dieses Jahr sehr viel mit Quantenphysik zu tun. Es geht um "Quanten-Dots". Was ist denn das nun schon wieder? Ein Thread.
Wenn ein Elektron einsam durch den Weltraum fliegt, kann es beliebige Geschwindigkeiten haben, beliebige Energie-Werte sind erlaubt. Genau wie ich einen Fußball mit beliebiger Geschwindigkeit herumschießen kann. Alles ganz normal. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.
Anders wird die Sache aber, wenn ein Elektron im Atom sitzt. Dort wird es vom Atomkern festgehalten (weil der positiv geladen ist) und gewissermaßen eingesperrt. Und dann passiert nach den Regeln der Quantenphysik etwas Seltsames:
Hurra! Ein Nobelpreis für Attosekundenphysik! Was heißt das nun eigentlich? Was passiert da? Und wozu braucht man das? Ein Thread.
Die Grundidee ist simpel: Wenn ich etwas sehr Schnelles abbilden will, muss ich auf kurzen Zeitskalen messen. Um den Flügelschlag einer Libelle zu fotografieren, brauche ich extrem kurze Belichtungszeit. In der Quantenphysik ist das so ähnlich.
Viele wichtige Prozesse - zum Beispiel die Bewegung eines Elektrons im Atom - finden auf extrem kurzer Zeitskala statt. Um das zu messen braucht man extrem kurze Laserpulse. Nur wie bekommt man die?
Hat Glyphosat schädliche Auswirkungen? Sicher, alles hat schädliche Auswirkungen. Trinken würde ich es auch nicht. Das ist aber nicht der Punkt. Die Frage ist: Haben wir etwas Besseres, Umweltfreundlicheres? Das ist überhaupt nicht klar. (Thread)
Glyphosat wurde ja eigentlich entwickelt, um zwar Unkraut zu vernichten, Tiere aber zu schonen. Gute Sache. Doch Ökologie ist kompliziert, und so kann es natürlich sein, dass es trotzdem indirekte Einwirkung auf Tiere / da Ökosystem gibt. Klar. Was tun?
Andere Herbizide verwenden? Viele sind schädlicher als Glyphosat. Das kann's ja wohl nicht sein. Ohne Herbizide auskommen? Dann geht der Ertrag zurück, wir brauchen mehr Fläche, das schadet erst recht der Artenvielfalt.
Was ist bloß los mit der Welt? Überall Fake News, Wissenschaftsfeindlichkeit, Trend zu autoritären Demagogen - gibt es da einen Zusammenhang?
Ich vermute schon: Den Wunsch, sich selbst nicht bessern zu müssen. (Thread)
Ich bin weder Soziologe noch Politologe, das hier stellt nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit. Es sind bloß ein paar Gedanken, mit denen ich mir die Verrücktheit unserer Zeit selbst etwas zu ordnen versuche.
Wir alle wollen (zumindest vor uns selbst) halbwegs anständig und klug erscheinen. Vielleicht wendet jemand bewusst andere moralische Prinzipien an als die üblichen - aber nach irgendeinem Schema wollen wir doch irgendwie die Guten, Anständigen, Klugen sein.
Wenn Politiker sagen, man könne das bestehende Erdgasnetz einfach mit Wasserstoff befüllen, ist das eine Lüge. Ja, Wasserstoff kann dem Erdgas beigemischt werden, aber wir können nicht die bestehende Infrastruktur einfach auf 100% Wasserstoff umstellen.
Wasserstoff entweicht sehr leicht, außerdem macht er die Rohre spröde. Man muss daher sehr genau überprüfen, welche Leitungen für welche Menge Wasserstoff geeignet sind. Ja, vielleicht haben wir eines Tages 30% Wasserstoff in den Rohren. Macht noch immer 70% Erdgas.
Man kann Wasserstoff und Erdgas dann trennen, bevor man es nutzt, und mit dem Wasserstoff-Anteil dann eine Gasheizung antreiben - allerdings eine spezielle, neu eingebaute, die mit 100% Wasserstoff arbeitet. Nicht die, die heute eingebaut ist.
Ich schrieb gestern, die Erde sei eine Kugel. Und natürlich kam dann wieder: "Stimmt doch nicht! Wie kannst du nur! Die Erde ist ein Geoid, ein Rotationsellipsoid, kartoffelförmig!"
Ein paar Zeilen dazu, weil ich das wirklich für ein problematisches Missverständnis halte: (🧵)
Natürlich ist die Erde keine perfekte Kugel. Das ist aber eine banale Aussage. Denn perfekte Kugeln gibt es nun einmal in der realen Welt nicht. Wenn jede Kugel Abweichungen von der perfekten Kugelform hat, muss ich das nicht dazusagen.
Man könnte sagen: Der Begriff "Kugel" hat zwei Bedeutungen: eine mathematische, klar definierte. Sie bezieht sich ausschließlich auf gedachte Objekte. Und eine, die sich auf reale Dinge bezieht.