Ich studiere seit knapp 25 Jahren Extremismus und seit über 15 Jahren Islamismus -- in all seinen Ausprägungen. Was aktuell passiert, macht mir große Sorgen. Ein Thread 🧵
Seit der schrecklichen Terroroffensive der Hamas vom 7. Oktober ist die Situation im Nahen Osten auf einen Schlag wieder Thema Nummer 1. Israel/Palästina ist der Konflikt, zu dem alle eine Meinung haben, aber von dem wenige verstehen, was passiert. 2/
Seit Wochen erreichen mich Links zu Instagram-, Twitter- oder TikTok-Videos, mit dem sich Bekannte oder Familienmitglieder -- oftmals gebildete Leute -- zum ersten Mal über diesen Konflikt informieren. Sehr wenig davon ist differenziert oder fundiert. 3/
Extremisten profitieren von Polarisierung und betreiben diese mit Absicht und Kalkül. Nichts polarisiert mehr als Mord, Totschlag und ein vermeintlicher Genozid. Und nichts eignet sich besser dafür, als der Konflikt zwischen Juden und Muslimen im Heiligen Land. 4/
Islamisten wissen genau, wie das funktioniert. Sie mobilisieren mit dem Leiden der Palästinenser und bringen dabei ihre eigenen, extremen Botschaften unter. Als gäbe es nur schwarz oder weiss; Juden oder Muslime; Unterwerfung oder Kalifat. So funktioniert Polarisierung. 5/
Dass sie vom Rest der Gesellschaft beschimpft werden, ist kein Problem. Im Gegenteil: Je mehr Leute im Mainstream „den Islam" oder „die Muslime" verantwortlich machen, desto besser. Sehr her, sagen sie: Wer sich für Muslime stark macht, gilt Deutschen als Extremist. 6/
Sie sagen: Die Deutschen hassen nicht nur die Palästinenser, sie hassen Dich, weil Du Muslim bist. Du musst entscheiden: Bist Du Muslim, oder bist Du Deutscher? Beides geht nicht. Und wenn Du Muslim bist, musst Du für Deine Leute kämpfen. So funktioniert Radikalisierung. 7/
Natürlich ist Antisemitismus ein Riesenproblem -- auch und gerade in migrantischen Communitys. Aber nicht jeder, der bei Demos mitmarschiert, palästinensische Fahnen schwenkt oder Videos aus dem Gazastreifen teilt, ist automatisch Antisemit oder Extremist. 8/
Zu argumentieren, „der Islam” oder „die Muslime" seien das Problem, ist keine Antwort. Sollen 5,5 Millionen Muslime in Deutschland eingesperrt oder abgeschoben werden? Wie soll das gehen? Populismus, egal woher, ist fast immer destruktiv, niemals konstruktiv. 9/
Das bedeutet nicht, dass Integrationspolitik in Deutschland erfolgreich ist. Auch wenn sie besser funktioniert als etwa in Frankreich oder Großbritannien, müssen wir fragen, ob Programme sinnvoll sind und die richtigen Leute erreichen. Alles muss auf den Prüfstand. 10/
Was nicht auf den Prüfstand muss: die Idee, dass Menschen verschiedener Herkunft und Religion - Muslime, Juden, Christen - in einer Gesellschaft zusammenleben können. Die aktuelle Situation ist dafür ein Test. Beweisen wir den Feinden der offenen Gesellschaft, dass es möglich ist
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Warum ich eine neue dschihadistische Terrorwelle befürchte. Ein Thread🧵👇
Vor etwas mehr als 10 Jahren führte der syrische Bürgerkrieg zu einer noch nie dagewesenen dschihadistischen Mobilisierung -- auch hier in Europa. Tausende von jungen Männern (und Frauen), die nach Syrien zogen und sich dem IS anschlossen. Ab 2014 dann auch Terror hierzulande. 2/
Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und Hamas, der mit der schrecklichen Terroroffensive der Hamas begann, ist damit nicht identisch. Aber es gibt Ähnlichkeiten. Und einige Faktoren, die -- wenn überhaupt -- noch Schlimmeres befürchten lassen. 3/
Meine Gedanken zur Bodenoffensive: Ich kann mir gut vorstellen, dass die Hamas der israelischen Bodenoffensive erstmal gar nicht so viel Widerstand entgegen bringen wird. 1/
Ähnlich wie Irak 2003 überlässt man dem Feind erstmal freies Feld, und erst, wenn er auf fixen Positionen tief in feindlichem Territorium sitzt, beginnt die klassische Aufstandsstrategie, mit der Hamas ihre Stärken ggü. einem konventionell massiv überlegenen Feind maximiert. 2/
Um zu „gewinnen", muss Hamas die israelische Armee nicht komplett niederzwingen, sondern lediglich verhindern, dass sie selbst besiegt wird. 3/
Trotz aller Spekulation (auch von mir) tappen wir weiterhin im Dunkeln, was Motivation und Ziele der Hamas-Offensive angeht. Es gibt 3 plausible Theorien: 👇 1/
(1) Hamas plante eine seiner alle zwei oder drei Jahre üblichen Eskalationen, die aber wegen des Versagens der israelischen Sicherheitsbehörden „erfolgreicher” war als erwartet. (Überraschungsthese) 2/
(2) Hamas wollte mit einem harten Schlag eine starke Überreaktion Israels provozieren, die nicht nur die „arabische Straße" (von Kairo bis nach Neukölln) mobilisiert, sondern arabische Staaten und v.a. den Iran zum Einschreiten veranlasst. (Provokationsthese) 3/
Eine "schmutzige Bombe" ist *keine* Nuklearwaffe, sondern ein konventioneller Sprengsatz, dem radioaktives Material hinzugefügt wurde. Es findet keine nukleare Reaktion statt. Hierzu ein kurzer THREAD 🧵👇 1/ 👇 t-online.de/nachrichten/uk…
Weil keine nukleare Reaktion stattfindet, ist die unmittelbare Zerstörungskraft einer "schmutzigen Bombe" nicht größer als die des konventionellen Sprengsatz, mit dem sie gezündet wird. Es gibt aber zwei zusätzliche Effekte: 2/ 👇
1. Das betroffene Gebiet wird radioaktiv verseucht. Je nachdem, wieviel radioaktives Material dem Sprengsatz hinzugefügt wurde, kann dies dazu führen, dass ein bestimmtes Gebiet unbewohnbar wird.
Es gibt verschiedene kritische Infrastrukturen, nicht alle gleichermaßen "kritisch". Am kritischsten für das Funktionieren einer Gesellschaft: Energie, Cyber, Wasser, Gesundheit (Krankenhäuser) -- mit Einschränkungen auch Verkehr. 1/
Der entscheidende Punkt: 80% der kritischen Infrastrukturen sind in nicht-staatlicher Hand. Der Staat *alleine* kann nicht für deren Sicherheit sorgen. Es bedarf einer *Partnerschaft* mit nicht-staatlichen, oft privaten Akteuren. 2/
Meine Position zur westlichen Politik im Ukrainekrieg ist relativ einfach, aber in der deutschen Debatte unterrepräsentiert. Let me explain. 📜👇 spiegel.de/politik/deutsc… via @derspiegel
Es gibt nicht einen, sondern *zwei* realpolitische Imperative. Der ERSTE ist, dass Putin nicht für seine Aggression belohnt werden darf und ihm Kosten und Konsequenzen vor Augen geführt werden müssen, um weitere Aggressionen zu verhindern. 2/
Der ZWEITE ist, dass wir eine globale Eskalation des Konflikts, möglicherweise unter Einsatz nuklearer Waffen, verhindern müssen. Das Risiko hierfür ist schwer einschätzbar, aber deutlich höher als null. 3/