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In der Findungskommission zur nächsten #documenta „sitzt nun ein BDS-Sympathisant“, schreibt @NRPollatschek in der @SZ (). Es geht um Ranjit Hoskoté. Er hatte 2019 diese von BDS India ausgehende Petition unterschrieben: 1/
indianculturalforum.in/2019/08/26/sta…
Darin werden Zionismus und Hindutva als „spiegelbildliche“ Überlegenheits-Ideologien dargestellt und formuliert: „Zionism is a racist ideology calling for a settler-colonial, apartheid state where non-Jews have unequal rights, 2/
and in practice, has been premised on the ethnic cleansing of Palestinians for the last seven decades.”
Die Petition mündet in den Aufruf: “The largest coalition of the Palestinian civil society has called for boycotts, divestment and sanctions against the state of Israel 3/
until it respects their rights. Increasingly, we can see that our oppressors are united… our struggles must unite too”.
An dieser Darstellung „des“ Zionismus und seiner Auswirkungen ist sehr viel falsch. Hier wird Real- und Ideengeschichte ideologisch verkürzt und verzerrt. 4/
Es wird dämonisiert. Es wird delegitimiert: die verschiedenen zionistischen Ideen hatten, wie Nele Pollatschek schreibt, den Impuls gemeinsam, „dem eliminatorischen rassistischen Antisemitismus Europas (und spätestens ab den 1920ern auch der arabischen Welt) zu entfliehen“ – 5/
eben den Impuls, der zum Staat Israel führte, dessen Existenzrecht in Teilen der BDS-Bewegung verneint wird. Ähnlich verkürzt ist übrigens die Darstellung in dem mit Ilija Trojanow herausgebrachten Band „Confluences“: 6/
Dort Israel erscheint der Staat Israel als „a British ploy to move in a permanent ally in the region while keeping the nascent Arab states in a permanent condition of unease”.
Also: Verzerrung, Verkürzung, Delegitimierung, Dämonisierung, und doppelte Standards: 7/
Bspw. gehören historische & rezente Vertreibungen von Juden mit ins Gesamtbild, wenn von „ethnischen Säuberungen“ gesprochen wird, ebenso wie umgekehrte Rechtsungleichheiten.
Die Zusammenschau mit Unrecht und nationalreligiöser Hindutva-Ideologie schwächt das nur scheinbar ab. 8
Die Darstellung ist gerade dann selbstwidersprüchlich, wenn man das zugrundeliegende Motiv voraussetzt, damit gegen illiberale Ideologien, Rassifizierungen und Ungerechtigkeiten einzutreten. 9/
Wer einer Findungskommission angehören soll zu einer documenta, die es besser machen soll als die vorige, auf der auch die ggw. wieder zu hörende Parole „Free Palestine from German guilt!“ popularisiert wurde (), hätte das nicht unterschreiben dürfen.
Es wurde übrigens auch zu Confluences reklamiert, zB von Michael Jeismann, dass hier Kultur essentialisiert und „politisch-historische Pragmatik“ und der „Zusammenhang von Kultur und Machtpolitik nicht berücksichtigt oder als bloße Ideologie vernachlässigt“ werde (FAZ 19.11.07).
2021 hat sich Hoskoté etwas differenzierter positioniert. Damals ging es um eine Übersetzung eines Buchs von Sally Rooney ins Hebräische, die sie verweigert hatte, weil sie „gegen Apartheid, nicht gegen das jüdische Volk oder die hebräische Sprache“ - und aufseiten von BDS stehe.
Über eine solche pauschale Boykotthaltung hat Hoskoté sich „besorgt und traurig“ erklärt (), denn damit werde die „liberal resistance“ in einem Land isoliert und geschwächt. 13/news9live.com/art-culture/sa…
„While I empathise with and support the Palestinian cause, I cannot and will not support a cultural boycott of Israel. Imagine if the same logic were applied to India…” Man dürfe nicht die “liberal, critical and resistant intelligentsia and readership” bestrafen 14/
“for the sins of the nation-state of which they happen to be citizens. The correct sanctions-based approach to calling the Israeli State and the ... IDF ... to order is a macro-scale economic one – to hit the hegemonic political interests within that country where it hurts.“ 15
Das will die BDS-Programmatik auf erhoffte wirtschaftliche und mittelbar liberalisierende Wirkungen begrenzen unter Ausnahme der Kultur. Eine solche Begrenzung funktioniert aber nicht in einem Kontext, der nicht nur Israel, sondern in seiner Funktionsweise 16/
und in seinen Auswirkungen gerade auch jüdische Kultur und jüdisches Leben delegitimiert und dämonisiert. Dazu steht Hoskotés begründete (m.E. aber auch darin ergänzungsbedürftige) Ablehnung von Pauschalisierungen, Mitbestrafungen und Repression im Widerspruch. 17
2003 schrieb Rijat Hoskoté, dass die Gründung des Staates Israel den Gipfelpunkt darstelle im Prozess westlicher Mächte, innerhalb des „Hauses des Islams“ politische Arrangements zu diktieren. Und zwar sei hier eine „Übertragung von Sühne“ erfolgt: 18
die „Asiaten“ seien damit gezwungen worden, „für die Sünden der Europäer“ zu „zahlen“, und zwar „in Land und Unabhängigkeit“ ().
Das vereinfacht den historischen Kontext: Die Geschichte und die vielfältigen Motive des Zionismus und die jüdische Präsenz 19counterpunch.org/2003/02/15/the…
im Mandatsgebiet Palästina werden übergangen. Damit entfallen intrinsische Motive, die Bestrebungen des jüdischen Volkes um Selbstbestimmung, Selbsterhalt und Sicherheit – Juden werden zu passiven Empfängern des Handelns europäischer Westmächte. 20
Erzählt wird eine lineare Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen „europäischen“ Politiken und der Gründung Israels. Diese Reduktion muss das Zusammenspiel einer Vielzahl internationaler Faktoren (UN, USA, arabische Staaten, etc) ignorieren. 21
Ebenso erhebliche Ausmaße der Vorgeschichte (Balfour, Völkerbundmandat, Peel-Kommission, Resolution 181, etc). Nicht zuletzt den Gesamtbereich des außereuropäischen eliminatorischen Antisemitismus, der Pogrome und Vertreibungen von Juden. 22
Das Ganze fügt sich in ein transkontinentales Erzählmuster, das europäischen Kolonialismus den Auswirkungen in „Asien“ gegenüberstellt. Das deckt die nationalen, ethnischen, historischen Identitäten zu, die für das palästinensische Volk & den Nahost-Kontext entscheidend sind. 23
Richtig und wichtig bleibt an Hoskotés Zuspitzung, was sich gerade im Umkehrschluss ausdrückt: dass nämlich die historische Schuld insbesondere Deutschlands keineswegs „übertragen“ werden kann. Vielmehr begründet sie u.a. eine Mitverantwortung für den bedrohten Frieden 24
im Nahen Osten und vieles, was damit zusammenhängt.
Wenn man aber Hoskotés Erzählmuster folgt, ist schwer zu sehen, wie von dort aus ein Weg zur begründeten Anerkennung des Existenzrechts Israels führt. Kurz dagegen der Weg zu Parolen wie „free palestine from German guilt“. 25
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