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Bevor ich einen Blick auf die Zukunft der #Schuldenbremse werfe, lohnt es sich die Geschichte der noch ziemlich jungen Regel im #Grundgesetz anzuschauen. Wie kam es dazu? Wie hat sich die Schuldenbremse bisher gehalten? 1/34
Ein Zweck von Fiskalregeln (neben der makroökonomischen Steuerung) ist es die Staatsverschuldung zu begrenzen. Dem liegt vereinfacht gesagt, die Annahme zugrunde, dass Politiker zu starker Verschuldung neigen, um sich damit – besonders vor Wahlen – Wählerstimmen zu kaufen. 2/34
Die Entwicklung der Schuldenquote der Bundesrepublik lässt daran zumindest Zweifel aufkommen. Zwar ist ein Anstieg der Schuldenquote unzweifelhaft aber er erfolgte immer dann, wenn sich Krisen oder unvorhergesehene Ereignisse eintraten. 3/34 Image
Die Ölkrisen der 70er Jahre, die Wiedervereinigung, Massenarbeitslosigkeit Anfang der 00er Jahre, die Finanzkrise, Corona direkt gefolgt vom Krieg in der Ukraine. Zwei Beobachtungen: 1. Die Häufigkeit von Krisen scheint zuzunehmen und …4/34
2. Nach einer Krise geht die Verschuldung nicht zurück oder jedenfalls nicht im gleichen Maß wie sie zuvor anstieg. Die Finanzkrise sticht aber hier als Ausnahme hervor. Letzteres war bei Einführung der Schuldenbremse aber noch unbekannt. 5/34
Die Diskussion begann in der Föderalismuskommission II im Jahr 2007. Die Finanzkrise zeichnete sich am Horizon zwar bereits ab, war aber noch kein Thema. Sorgen bereite vielmehr der Anstieg der Schulden in den Jahren bis 2005 (Wachstumsschwäche, hohe Arbeitslosigkeit). 6/34
Peer #Steinbrück, der Bundesfinanzminister, machte der Kommission im Februar 2008 einen Vorschlag der Bundesregierung für eine Schuldenregel im Grundgesetz. Größtenteils entsprach dieser Vorschlag schon der letztlich verabschiedeten Schuldenbremse. 7/34
Steinbrück wollte, dass eine Notlage nur mit einem hohen Quorum von 3/5 oder 2/3 der Abgeordneten beschlossen werden könne. Man entschied sich aber für die Regierungsmehrheit. Die Zustimmung der CDU/CSU braucht man für die diskutierte Aussetzung also nicht. @nicole_kohnert 8/34
Die Finanzkrise spielte auch zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Die Bundesregierung und die Bundesbank gingen noch von positivem Wachstum aus. Der Finanzminister sprach lange von einer amerikanischen Krise und lehnte später zunächst Konjunkturprogramme ab. 9/34
Bei der Verabschiedung der Schuldenbremse wurde der dann durch die Krise veränderten Finanzsituation durch eine Übergangsfrist Rechnung getragen. Die neue Regel sollte für den Bund erst 2016 und für die Länder erst 2020 gelten. 10/34
In der Zeit von 2011 bis 2015 musste der Bund sein Defizit gleichmäßig abbauen. Dieses Ziel wurde vom Bund übererfüllt. Er machte ab 2014 sogar Überschüsse wofür sich Finanzminister Wolfang Schäuble feiern ließ und die CDU dies zum neuen Ziel (schwarze Null) erklärte. 11/34 Image
Die Schuldenquote sank von 82% in 2010 auf unter 60% in 2019. War dies der neuen Schuldenregel zu verdanken? Nominal sanken die Schulden von 2010 bis 2019 in Maastrich-Abgrenzung um nur 33 Mrd. Euro 12/34
Wäre das BIP nicht gestiegen hätte das ein Abfallen der Schuldenquote auf 80,7% bewirkt. Das zeigt schon, dass das Sinken der Schuldenquote nicht auf sinkende Schulden, sondern ganz überwiegend auf ein Steigen der Wirtschaftsleistung zurückging. 13/34
Dennoch beweist, dass noch nicht die Unwichtigkeit der Bremse. Möglicherweise hätte die Politik sich ja sonst anders verhalten. Stutzig macht aber die Übererfüllung. Warum überhaupt eine Regel, wenn die Politik sowieso ambitionierter ist? 14/34
Eine Möglichkeit wäre, dass Politik sich nur wegen der Schuldenbremse so verhalten hat. Ich finde das wenig überzeugend. Es gab andere Gründe: 1. Die öffentliche Meinung war nach Finanz- und Eurokrise noch mehr gegen Verschuldung eingestellt als ohnehin schon. 15/34
Natürlich kann es auch politische Gründe für mehr Schulden geben. Wenn die Begrenzung des Defizits schmerzhafte Einschnitte erfordert kann sich die öffentliche Stimmung auch rasch drehen. Keineswegs haben die Deutschen eine generelle Schuldenphobie. 16/34
Solche Einschnitte waren aber bis 2019 im Regime der Schuldenbremse überhaupt nicht nötig. Vielmehr konnte sie anstrengungslos übererfüllt werden. Das zeigt auch ein Vergleich mit Italien, das hierzulande oft als Beispiel einer unsoliden Finanzpolitik herhalten muss. 17/34
Zwischen 2010 und 2019 stagnierten die italienischen Staatsausgaben ohne Zinsen real, während die deutschen um fast 13% wuchsen. Deutschland hatte auch einen stärkeren Anstieg der realen Staatsausgaben als der europäische Durchschnitt (+8%). 18/34
Dennoch sank die deutsche Schuldenquote von 82% auf knapp 60%, während die Italiens von 119 auf 134% anstieg. Im internationalen und historischen Vergleich ist dieses scheinbare Paradox eher die Regel als die Ausnahme und es ist auch leicht zu erklären. 19/34 Image
Bei guter wirtschaftlicher Entwicklung sinkt die Schuldenquote schon allein deswegen, weil der Nenner also die Wirtschaftsleistung stark wächst. Die Staaten müssen dafür nicht sparen, sondern sie geben die dann ebenfalls steigenden Steuereinnahmen auch wieder aus. 20/34
Vor allem das Wirtschaftswachstum war entscheidend für die relative Konsolidierung der Staatsfinanzen Deutschlands. Nominal (also der Nenner der Schuldenquote) wuchs Deutschland um 35% der EU-Durchschnitt nur um 27% und Italien nur um 11,5%. 21/34
Die Ausgaben folgten den Einnahmen. Deutschlands Primärausgaben (Staatsausgaben ohne Zinsen) stiegen von 2010 bis 2019 um über 33%, der Durchschnitt der EU lag nur bei 20%. Italien gar nur mit einem Wachstum von wenig mehr als 10% (reales Sinken). 22/34
Die öffentlichen Zinsausgaben sanken in Deutschland um über 50%, im EU-Durchschnitt nur um die Hälfte dessen und in Italien nur um 12%. Es verstärkten sich 3 Effekte gegenseitig: 1. Die Niedrigzinsphase 2. Deutschlands Zinsvorteil innerhalb Europas 23/34
3. Die auch dadurch sinkende Schuldenquote. Keine Gefahr für die langfristige Tragfähigkeit von Staatsfinanzen besteht, wenn das Wachstum langfristig höher ist als der Zins. Für Deutschland war das im betrachteten Zeitraum durchgehend gegeben. 24/34
Andere Länder hatten weit weniger Glück. Italien beispielsweise versuchte einer Krise quasi hinterher zu sparen und verschlimmerte damit seine ökonomische Misere weiter. Auch die italienische Schuldenquote stieg so weiter an (Keynesiansisches Sparparadoxon). 25/34
Das geringe Wachstum und die steigende Schuldenquote ließ die Risikoprämie auf Italiens Zins steigen und verschärfte die Situation weiter. Italien steckt(e) in einem Teufelskreislauf. In Deutschland war das Gegenteil der Fall. 26/34 Image
Die deutschen staatlichen Bruttoinvestitionen stiegen um über 38%. Aber auch das wirkt erfolgreicher als es ist. Deutschland lag auch 2022 noch mit 2,6% am BIP bei den staatlichen Investitionen unter dem-EU Durchschnitt (3,2%). Die Differenz sind ca. 20 Milliarden/Jahr. 27/34
Aber die die Schuldenbremse galt in diesem Zeitraum nur für den Bund (Übergangszeitraum seit 2011 und volle Gültigkeit ab 2016). Deswegen ist es fairer die Schuldenbremse am Verhalten des Bundes in diesen guten Jahren zu beurteilen. 28/34
Seine Ausgaben stiegen nur um etwas mehr als 17%. Allerdings sanken die Zinsausgaben des Bundeshaushalts um über 60%. Seine Ausgaben ohne Zinsen stiegen daher um über 27%. Ein guter Teil der Konsolidierung geht also auf die Niedrigzinsphase und die Geldpolitik zurück. 29/34
Auch bei anderen Ausgaben profitierte der Bund stark. So sanken die Ausgaben für Arbeitslosigkeit (Kapitel 1112) um 25%. Die Steuereinnahmen stiegen sogar noch stärker als die Wirtschaftsleistung (was aber auch am Basisjahr liegt). 30/34
Ich lasse es mal dahingestellt, ob diese Politik makroökonomisch angemessen war. Man könnte auch argumentieren, dass sie prozyklisch war. Eines ist für mich aber klar: Es war nicht die Schuldenbremse, die handlungsleitend für die deutsche Finanzpolitik war! 31/34
Die ökonomische Situation war viel zu gut damit diese Regel eine Bindungswirkung hätte entfalten können. Die sogenannte Konjunkturkomponente ist schon für eine neutrale Fiskalpolitik zu schwach. Schon gar nicht wirkt sie antizyklisch. 32/34
Fazit: 1. Staatsverschuldung ist KEINE Entscheidungsgröße der Politik. Sie ist größtenteils von ökonomischen Entwicklungen getrieben. 2. Einschränkend war die Schuldenbremse erstmals 2020. Sie wurde dann sofort ausgesetzt (die striktere schwarze Null sogar final beerdigt). 33/34
Die wirkliche Bewährungsprobe erlebt diese Fiskalregel daher erst jetzt und in den kommenden Jahren und ich werde in einer Fortsetzung erläutern warum sie diese, meiner Meinung nach, ohne eine grundlegende Reform nicht bestehen wird. 34/34
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Nov 23
#Merz und die #CDUCSU haben das #Buergergeld als Kürzungsmöglichkeit entdeckt. In der Tat wirkt eine Steigerung von 502 auf 563 bzw. um über 12% sehr üppig. Ich habe mir angeschaut wie diese Steigerung zustande kommt. 🧵1/16
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Aber nur auf den ersten Blick. Im folgenden Jahr wird dann als Ausgangspunkt nicht das Bürgergeld des letzten Jahres genommen, sondern das was zustande gekommen wäre hätte man die tatsächlich eingetretene Inflation verwendet. Fehler werden also nach einem Jahr korrigiert. 3/16
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Nov 17
Eine erste vorläufige Einschätzung des #Urteil des #Bundesverfassungsgericht. Einige erwecken den Eindruck, dass vorher klar gewesen sei, wie das Verfassungsgericht urteilen werde. Ein Volk von 80 Millionen Verfassungsrichtern also. 1/25
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Sep 22
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Aug 29
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Jul 11
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