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Jan 9 14 tweets 3 min read Read on X
Warum ist es vor allem (!) aus christlicher Sicht unsäglich, was die CDU und CSU derzeit in der Bürgergelddebatte abliefern? Einige Grundsätze zur Einordnung des Bürgergelds im Kontext der größeren Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital und zur Position der Kirche dabei🧵
Vorab: Oft wird gesagt, das Bürgergeld wäre „eine Politik gegen die Interessen der Menschen in Arbeit“, da es „unfair“ sei. Dabei braucht es keine großen analytischen Fähigkeiten, um zu verstehen, dass das ursprüngl. Bürgergeld die Verhandlungsposition der Arbeit gestärkt hätte.
Das wissen auch die Konservativen, denn deren Kritik, dass sich „Arbeit nicht mehr lohnt“, geht im Kern genau auf diesen Umstand ein. Wär es nämlich tatsächlich der Fall (was nicht zutrifft), könnte man ohne Probleme kündigen und einfach Bürgergeld beziehen (was niemand tut).
Kurz: man wäre als Arbeitnehmer weniger vom Arbeitgeber abhängig – und wie in jeder Beziehung ist die Verhandlungsmacht bei der Seite größer, der weniger an der Beziehung liegt. Insofern stärkt eine gute Grundsicherung (und Vollbeschäftigung) die Verhandlungsposition der Arbeit.
Deshalb ging es beim Bürgergeld *nie* um eine Politik *gegen* Erwerbstätige, sondern (neben einer menschenwürdigen Teilhabe für Erwerbslose) darum, die Verhandlungsposition der Arbeit ggü. dem Kapital zu stärken, um z.B. bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchsetzen zu können.
„Früher war die SPD Arbeiterpartei, heute ist sie die Partei für Menschen ohne Arbeit“ ist von daher ein armseliges Argument, denn es spielt Arbeiter & Erwerbslose trotz ähnlicher Interessen gegeneinander aus und übergeht die zentrale Frage der Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt.
Die Position der CDU und CSU ist hingegen klar: Sie stehen an der Seite des Kapitals und hetzen deshalb aus allen Rohren gegen das Bürgergeld. Die Verhandlungsposition ihrer Klientel muss geschützt werden und ökonomische Gewalt ist dafür ein wichtiger Hebel.
Und gerade an dieser Stelle machen sie Fundamentalopposition gegen das C. In der Soziallehre heißt es (ich zitiere): „Man [muss] vor allem ein Prinzip in Erinnerung rufen, das die Kirche immer gelehrt hat: das Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital.“
Wie kommt die Kirche dazu? Nun „dieses Prinzip betrifft direkt den Produktionsprozess, für den die Arbeit immer eine der hauptsächlichen Wirkursachen ist, während das Kapital, das ja in der Gesamtheit der Produktionsmittel besteht, bloß Instrument oder instrumentale Ursache ist.“
Weiter heißt es: „Diese Wahrheit, die zum festen Bestand der kirchlichen Lehre gehört, muss im Zusammenhang mit der Frage der Arbeitsordnung und auch des gesamten sozio-ökonomischen Systems immer wieder betont werden. Man muss den Primat des Menschen im Produktionsprozess,…
… den Primat des Menschen gegenüber den Dingen unterstreichen und herausstellen. Alles, was der Begriff ‚Kapital‘ – im engeren Sinn – umfasst, ist nur eine Summe von Dingen. Der Mensch als Subjekt der Arbeit und unabhängig von der Arbeit, der Mensch und er allein ist Person.“
Im Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital ergäbe sich somit für eine christliche Partei eine klare Positionierung an der Seite der Arbeit. Doch gerade das tun weder die CDU noch die CSU. Stattdessen spielen sie Bodyguards für das Kapital - und die Regierung knickt ein.
Letzteres hätte natürlich mit mehr Rückgrat und Durchsetzungswillen nicht sein müssen – und wird vor allem die SPD (aber auch die Grünen) enorm viel Glaubwürdigkeit kosten, denn letztendlich schadet diese Politik nicht nur den Erwerbslosen, sondern den Arbeitern insgesamt.
PS: Diese grundsätzliche Einordnung soll natürlich nicht implizieren, dass mit der ursprünglichen Form des Bürgergelds alles perfekt wäre. Fragen des Lohnabstands und Anreize zur Mehrarbeit allerdings müssen über Lohn- & Abgabenpolitik gelöst werden. Vgl:

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Oct 19, 2023
Wie stand's um die wirtschaftliche Entwicklung Palästinas in der Vergangenheit? Nach der Einschätzung von @adam_tooze zur Entwicklung in Gaza, eine Ergänzung zur Gesamtwirtschaft, die wir zusammen mit Heiner Flassbeck und Michael Paetz pre-COVID ausgearbeitet haben 🧵 1/
Zwar scheinen angesichts des Terrors, des Leids und des Krieges wirtschaftliche Fragen derzeit weniger relevant, doch ein Verständnis ist essenziell für alle, die genuin an einer Zweistaatenlösung interessiert sind und kurzfristig krasse policy Fehler vermeiden wollen. /2
Kontext unserer Arbeit war die Stabilisierung des Kapitalmarkts in Palästina, im Zuge dessen die Einführung einer nationalen Währung bzw. die Finanzierung von Staatsausgaben über eine Ausgabe von Anleihen diskutiert wurde. /3
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Aug 6, 2023
"Man darf nicht mehr ausgeben als man einnimmt."

Wie bei einer Schallplatte mit Sprung wurde dieser Satz zuletzt vor allem aus konservativer und liberaler Ecke endlos wiederholt 😵‍💫

Eine kurze Einordnung🧵, warum das absoluter Quatsch ist - und Schumpeter sich im Grabe dreht. /1
Also gaaanz grundsätzlich kann es allein von der Logik ja bereits nicht aufgehen: Wo bestimmte Sektoren, wie bspw. Haushalte, mehr einnehmen als ausgeben, also sparen wollen, müssen die anderen Sektoren (Unternehmen, Staat oder das Ausland) mehr ausgeben als sie einnehmen. /2
In 🇩🇪 waren es während des Wirtschaftswunders die Unternehmen, die sich jedes Jahr netto verschuldeten. Seit 1999 übernahm das Ausland diese Rolle. Diese Zshg sind unstrittig und nicht schwer zu begreifen, aber wir können in der Argumentation gerne einen Schritt weitergehen. /3
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Jul 13, 2023
Linnemann behauptet, das C sei die DNA der CDU. Da gibt es m.E. nur zwei Erklärungen: Entweder er kennt die Politik seiner Partei nicht oder er hat keine Ahnung, was das C mit sich bringt.

Ein 🧵 in Sachen Wirtschaftspolitik, der zeigt, wie weit weg die CDU vom C ist. /1
Beginnen wir mit der Rolle des Privateigentums: In der katholischen Soziallehre, die die wirtschaftspolitischen Grundprinzipien aus der Bibel ableitet, ist das Privateigentum einerseits zwar ein Naturrecht, eine «Art Verlängerung menschlicher Freiheit». /2
Allerdings: die Kirche macht deutlich, dass das Recht auf Privateigentum nicht von dessen Gebrauch zu trennen ist. Das Recht auf den Privatbesitz wird der sogenannten «allgemeinen Bestimmung der Güter» (Gemeinwohl) und der «vorrangigen Option für die Armen» untergeordnet. /3
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Feb 21, 2023
„Der Kapitalismus hat dazu geführt, dass die extreme Armut merklich zurückging.“

Der Satz gehört zum Standardrepertoire vieler Verfechter eines marktradikalen Kapitalismus. Doch schauen wir hinter die goldene Fassade, finden wir ziemlich viel Rost. Ein 🧵 zur Einordnung /1
Zunächst: worauf beruht das Argument? Für gewöhnlich wird dazu die internationale Armutslinie herangezogen. Extreme Armut wird definiert als (kaufkraftbereinigtes) Einkommen von < PPP-$ 2,15 / Tag. Lebten 1990 noch 38 % der Menschen in extremer Armut, sind wir heute bei 8,4 %. /2
Kürzlich, im Herbst 2022, wurde die Linie auf $ 2,15 gesetzt. Real, so die Theorie, entsprechen die verschiedenen Werte jeweils demselben Einkommen. Gemessen an der Definition sieht der Fortschritt beeindrucken aus. Fast so, als wäre die globale Armut beinahe besiegt. /3
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Nov 8, 2022
Der @SVR_Wirtschaft plädiert für eine Reichensteuer. Auch, wenn der Bericht erst morgen veröffentlicht wird, zeigt es, wie sehr sich die Arbeit so mancher Mainstream-Institution gewandelt hat.

Ein Thread mit besonderen Leckerbissen der letzten Jahre (gerne ergänzen!) 🧵
2016 - der IWF hinterfragt seine neoliberale Politik: imf.org/external/pubs/… Image
Ebenfalls 2016 - der IWF rät Japan zu einer aktiveren Mindestlohnpolitik, um die Inflation auf das 2-Prozent-Ziel zu bekommen: imf.org/en/Publication… Image
Read 11 tweets
Oct 15, 2022
Die Tage kam mit dem Nobel-Gedächtnispreis und dem exzellenten Chartbook von @adam_tooze die Frage nach systemischer Instabilität und Minsky auf.

Seine Theorie ist m.E. der wichtigste Ansatz, um systemische Instabilität zu verstehen & zu regulieren. Von daher ein ergänzender🧵/1
Was besagt Minskys "financial instability hypothesis"? Die Kernaussage ist, dass Finanzmärkte *inhärent* instabil sind. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Stabilität (also Produktion, Konsum, Beschäftigung usw.) /2
Wie kommt Minsky zu der These? Ausgangspunkt ist, dass wir in einer fundamental unsicheren Welt leben und unsere Einschätzungen über die Zukunft nur aus Erfahrungswerten der Vergangenheit und gegenwärtigen 'market sentiments' treffen können. /3
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