Was passiert eigentlich gerade in der Berliner Verkehrspolitik?
Angesichts der unübersichtlichen Nachrichtenflut im Verkehrsbereich wird es mal wieder Zeit für eine Einordnung.
Es folgt ein längerer Thread:
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Zurück zum Anfang:
Die Berliner CDU setzt im Wahlkampf 2023 neben innerer Sicherheit voll auf das Thema Autoverkehr. Zentrale Botschaft:
„Berlin, lass Dir das Auto nicht verbieten!“
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Hintergrund der Kampagne bildet das 2018 beschlossene Mobilitätsgesetz.
Kerngedanke: für mehr Klimaschutz und Sicherheit im Verkehr braucht es grundlegende Veränderungen.
Dass es im Verkehr mehr Klimaschutz und Sicherheit geben soll, wird sogar von der CDU anerkannt.
3/28
Im Mobilitätsgesetz zeigt sich dieser Grundgedanke im Leitsatz „Vorrang des Umweltverbunds vor dem Auto“.
D.h. konkret: Bei Planungen wird die jahrzehntelang praktizierte Priorisierung des Autoverkehrs erstmals zugunsten des Rad- und Fußverkehrs sowie des ÖPNV umgekehrt.
4/28
Trivial aber zentral:
Die vorhandene Verkehrsfläche ist begrenzt - mehr Platz für Straßenbahnen, Busspuren und Radwege kann es nur durch Umverteilung von Raum geben, der bisher priorisierte Autoverkehr muss Platz abgeben.
Das ist nicht ideologisch, sondern logisch.
5/28
Nun bedeutet weniger Platz für die bisher privilegierten Autos aber ebenso logisch einen Verteilungskonflikt.
Wer viel hat, gibt nun mal nicht gern etwas ab. Für manche fühlt sich also mehr Gleichberechtigung wie Diskriminierung an.
6/28
Genau da setzt die CDU mit ihrer Kampagne an:
Dass Autos etwas von „ihrem“ Platz abgeben sollen, wird als Verlust dargestellt, der Gewinn an Lebensqualität, weniger Lärm und besserer Luft, weniger Verkehrstote bewusst ausgeblendet.
7/28
Stattdessen vermittelt die CDU das Gefühl eines drohenden „Autoverbots“. Funktioniert halt so gut, auch wenn das natürlich gar nicht real zur Debatte steht.
8/28
Nun war die CDU damit im Wahlkampf insofern erfolgreich, dass sie die Wahl deutlich gewonnen, mit Hilfe der Giffey-SPD an die Regierung gekommen ist und das Verkehrsressort übernommen hat.
9/28
Die CDU hat nun also eine Bringschuld und damit @SchreinerManja einen Auftrag: Politik für Autofahrer. Was heißt das aber konkret?
Wer Auto fährt, braucht vor allem zwei Dinge, um entspannt zum Ziel zu kommen: freie Straßen ohne Stau und möglichst überall einen Parkplatz.
10/28
Nun ist es aber so, dass der Hauptfaktor für Stau die Anzahl der fahrenden Autos ist, die gleichzeitig auf einer Straße sind.
Kurz: viele Autos = viel Stau.
Und mehr Parkplätze gibt es nur, wenn man den vorhandenen Raum noch stärker als ohnehin schon den Autos gibt.
11/28
Wie oben gezeigt, ist aber bereits überdurchschnittlich viel Raum für Autos verteilt, für noch mehr Parkplätze fehlt schlicht die Fläche - 70 Jahre autozentrierter Politik sei Dank. Wer also nun im Wort steht, etwas für den Autoverkehr tun zu müssen, bekommt ein Problem:
12/28
Platz für mehr Parkplätze gibt es schlicht nicht, weniger Stau geht im Kern nur mit weniger Autos. Das widerspricht aber dem Wahlkampfschlager „Lass Dir das Auto nicht verbieten!“.
13/28
Also was tun? Als erstes denkt die CDU nun an eine bessere Organisation des bestehenden Verkehrs ohne an den Grundlagen des Systems etwas ändern zu müssen.
14/28
Also kommt man mit dem alten Klassiker „Mehr Grüne Wellen“, dann fließt der Autoverkehr ja besser.
Problem: Die gibt es seit Jahrzehnten und sind schlicht ausgereizt: für mehr Grüne Wellen gibt es keine Möglichkeit.
15/28
Vorrang in eine Richtung der Kreuzung heißt zwangsläufig, dass die Autos auf der anderen Straße warten - freie Fahrt für die einen, bedeutet mehr Stau für die anderen. Das System kommt abseits der großen Straßen, wo es Grüne Wellen ja längst gibt, also schnell an Grenzen.
16/28
Was hilft also noch? Klar: „Tempo 50 statt Tempo 30!“ Blöd nur, dass ein Auto im Stau gar nicht 50 fahren kann, auch wenn es dürfte.
Die wissenschaftliche Erkenntnis ist klar: T30 sorgt für flüssigeren Verkehr und besseres Durchkommen. Passt nur leider nicht zum Gefühl.
17/28
Die CDU steht also vor dem Dilemma, dass sie Vorteile für Autofahrer versprochen hat, die nicht umsetzbar sind.
Und da kommen wir nun zur aktuellen Lage: Die CDU muss etwas tun, ohne ihre Glaubenssätze zu verraten und ohne zuzugeben, dass ihre Annahmen falsch sind.
18/28
Was tut also die CDU?
Sie zündet Nebelkerzen – ohne fachliche Grundlage in die Debatte eingebrachte Vorschläge, die Aktivität vorgaukeln, ohne dass sich etwas ändert:
- Magnetschwebebahn! Kommt zwar nicht, aber es gibt eine Debatte, die von den echten Problemen ablenkt.
19/28
- U-Bahnausbau: dauert zwar 30 Jahre und ist nicht finanzierbar, aber egal, wir vermitteln die Illusion einer Lösung.
- Tramstopp! Würde ja dem Autoverkehr etwas Platz wegnehmen.
- Radwegestopp! Ja, bloß keine Umverteilung von Parkplätzen.
20/28
- Spielstraßenstopp! Natürlich, sonst dürften die Autos ja drei Stunden pro Woche in winzigen Nebenstraßen nicht mehr parken und fahren.
- Tempo 50 statt 30! s.o., nützt niemandem etwas, der nun immer noch im Stau steht, aber es klingt so schön.
21/28
Es geht also bei der aktuellen Politik in erster Linie um das Gefühl, etwas für das Auto zu tun, nicht um praktische Verbesserungen oder gar grundsätzliche Veränderungen. Denn das wäre ja ein „Autoverbot“…
22/28
Die CDU braucht genau diese Mischung aus wirkungsloser Symbolpolitik und Nebelkerzen, Tempo 50 und Magnetbahn, um von ihrer selbstgeschaffenen Sackgasse abzulenken und zu verschleiern, dass sie jenseits der Überschrift „Autos first“ kein verkehrspolitisches Konzept hat.
23/28
Würde sie wirklich Politik für Leute machen, die ihr Auto brauchen, um zügig durch die Stadt zu kommen (Hebammen, Handwerk, Pflegekräfte!), ginge das nur, wenn insgesamt weniger Autos unterwegs wären. Dann stehen die Autos nicht mehr im Stau und würden Parkplätze finden.
24/28
Aber dafür braucht es Mut. Mut, ehrlich zu sagen, dass nicht jeder jederzeit überall mit dem eigenen Auto hinfahren kann. Dass es mehr Rad- und Fußwege, mehr Straßenbahnen und Busse, die auf eigenen Spuren gut durchkommen, braucht.
25/28
Diesen Mut kann die CDU aber nicht aufbringen, da dann ihre ganze Kampagne, das Fundament ihrer verkehrspolitischen Ideologie zusammenbricht.
Es darf sich also nichts ändern, damit die CDU ihre Macht zementieren kann.
26/28
Die Auswirkungen dieses Dilemmas sehen wir täglich auf unseren Straßen:
Stau, Lärm, schlechte Luft und Tote, Menschen, die nicht oder nur mit Angst auf dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind, gestresste Autofahrer, die ebenfalls unter der Verweigerung von Veränderung leiden.
27/28
Es wird Zeit, die CDU aus ihrem Dilemma zu erlösen und ihr wieder die Verantwortung für die Berliner Verkehrspolitik zu entziehen!
28/28
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Unfassbare Aussagen von @SchreinerManja - ein verkehrspolitischer Offenbarungseid ohne jegliche fachliche Grundlage. Das sind ideologische Stammtischparolen - einer Senatorin unwürdig.
Aber schauen wir uns das mal im Detail an:
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Schreiner nährt die Illusion, man könnte im Verkehr allen alles versprechen. Das ist völlig ausgeschlossen, wenn man nur einen begrenzten Raum in der Stadt hat. Wo Autos fahren, kann kein Radweg sein, wo Parkplätze sind, ist kein Platz für Fußgänger usw. So einfach.
2/16
Mit dem Radweg Unter den Eichen wählt Schreiner gleich ein perfektes Beispiel:
Der alte Radweg war praktisch unbenutzbar und der Gehweg daneben so schmal, dass eine Verlagerung des Radwegs dahin nicht möglich ist. Das Bild spricht für sich…
Das Chaos um #Radwege-Stopp und die Verkehrspolitik von Schwarz-Rot insgesamt hat mittlerweile Ausmaße angenommen, dass es schwer fällt, überhaupt noch den Überblick zu behalten.
Eine Zusammenfassung der größten Widersprüche des anhaltenden Kommunikationsdesasters im Thread 🧵
Die ganze Misere begann am 15. Juni mit dem bekanntwerden einer Mail an einige Bezirke, laut der alle laufenden #Radwege-Planungen gestoppt werden sollten, bei denen auch nur ein einziger Parkplatz oder Fahrstreifen umgewandelt würde. Die Empörung war zurecht riesig.
Nach großen Protesten dann eine eilig zusammengeschusterte Pressemitteilung der Senatsverwaltung, die wohl beruhigen sollte, dass alles nur ein Missverständnis sei. Plötzlich ist die Rede von 10 Parkplätzen auf 500 Metern, die nicht überschritten werden dürfen.
Wegner und Schreiner verstehen die ganze Aufregung um die #Radwege nicht. Wie kann das sein?
Ich versuche mal eine Einordnung im Thread 🧵:
Die Lebensrealität der CDU ist so fernab der Menschen, die auf sichere Radwege angewiesen sind, dass sie es wohl tatsächlich nicht verstehen können. Wer täglich von Spandau mit dem Dienstwagen in die Innenstadt fährt, kann den Wunsch nach sicheren Wegen natürlich nicht verstehen.
Kein Wunder, dass sich eine gerechte Aufteilung der Straßen also wie Kulturkampf und Ideologie anfühlt. Aus Sicht der Privilegierten (also Autofahrer) fühlt sich Gleichberechtigung nach Diskriminierung an, schließlich gibt niemand gern etwas ab.