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Mar 22 29 tweets 5 min read Read on X
Ich bin @jsuedekum dankbar fuer die Frage, denn viele in Deutschland scheinen mir die positiven Wirkungen der Bidenomics zu ueberschaetzen; Teil der Antwort ist aber auch, dass "It's the economy stupid" vielleicht nicht mehr in dem Masse gilt. Ein Thread:
Ja, die USA haben ein starkes reales BIP Wachstum. Ja, der Arbeitsmarkt in den USA ist nach wie vor stark, wenn man ihn an der Arbeitslosenrate misst. Aber, das ist eben nicht alles.
Beginnen wir mit der wirtschaftlichen Stimmung der Konsumenten, also der normalen Leute in den USA. Die hat sich seit Covid nicht wirklich erholt. Image
Wir haben in den juengsten Daten allerdings einen stark positiven Sprung nach oben gesehen und sollte sich der fortsetzen, dann mache ich mir um Biden weniger Sorgen. Aber das muss man abwarten. Ich werde in den kommenden Monaten diesen Index genau beobachten.
Welche harten oekonomischen Gruende koennte es fuer die gedrueckte Stimmung geben? Ich denke es sind zwei: 1) Zinsen und 2) Realloehne.
Die Hypothekenzinsen sind in den USA nach wie vor hoch, sehr hoch (und viel hoeher als in Deutschland zB), wenn auch etwas niedriger als in der Spitze. Das ist fuer ein Land, in dem das Eigenheim sowohl positiv wie auch normativ die Norm ist und mit einem schlechten Mietmarkt Image
(und schlechtem Mietrecht) schlimm. Zumal die Haeuserpreise trotz der hohen Zinsen nicht wirklich gesunken sind: Image
Mit anderen Worten: der Traum vom Eigenheim ist fuer viele Amerikaner derzeit schlicht nicht erschwinglich.

Des weiteren gilt: auch fuer Leute, die bereits ein Haus besitzen, aber zB wegen einer besseren beruflichen Moeglichkeit umziehen wollen wuerden, ist es mies.
Das liegt an einer massiven nominalen Rigiditaet im US Immobilienmarkt, der sehr lange Hypothekenlaufzeiten kennt. Viele sitzen, weil sie waehrend der Coronakrise umgeschuldet haben, auf 30jaehrigen Hypotheken fuer 2%. Das ist schoen, aber Umziehen, um den neuen Job
mit dem besseren Lohn anzunehmen, ist damit nicht so toll. Denn dann sind halt 7% faellig. Der neue Lohn muesste dann schon sehr viel hoeher ausfallen. Wir haben also wegen dieser nominalen Rigiditaet auch eine reale Rigiditaet im Arbeitsmarkt.
Dazu kommt: wie alle Zinsen, sind auch Kreditkartenzinsen hoch, was dem gerade im unteren Einkommensbereich oft auf Kreditkarten angewiesenen US Konsumenten natuerlich besonders weh tut.
Realloehne: Image
Es stimmt, waehrend der Covidkrise sind die Realloehne gestiegen und wurden durch sehr grosszuegige Transfers noch ergaenzt, so dass die verfuegbaren Realeinkommen wirklich sehr hoch in der Krise waren. Dann aber kam die hohe Inflation, die erst einmal, wie in der Graphik zu
sehen, zu Reallohnverlusten gefuehrt hat, die sich jetzt erst langsam wieder erholen.

Die schlechte Nachricht: die Inflation ist schon seit laengerer Zeit sehr stur um 3%, also 1 PP ueber dem Inflationsziel der FED.
Werden die Nominalloehne dafuer schnell genug und fuer die meisten Bevoelkerungsteile wachsen, und wird die FED Zinsen senken (vor allem vor November)? Alles unklar.
Jetzt du den anderen, eher nichtoekonomischen Gruenden, von denen ich drei hervorheben moechte:

1) Die Grenze. Die Bevoelkerung gibt Biden und den Demokraten die Schuld fuer die Probleme an der Grenze und damit fuer die verheerende Drogenkrise im Land.
Diese Drogenkrise ist gerade in den strukturschwachen Gebieten schlimm. Meine Kollegin @Viquibarone hat dazu eine wichtige Arbeit vorgelegt:

viquibarone.github.io/baronevictoria…
2) Die Frustration mit dem Alter. Das betrifft besonders Biden, denn seine Koalition bestand 2020 eben auch aus den Twentysomethings. Die werden nicht Trump waehlen, sondern eventuell schlicht zu Hause bleiben, weil sie sich nichts mehr von dem politischen System versprechen.
Als Hochschullehrer bekomme ich diese Stimmung auf dem Campus direkt mit.
3) Bidens Nahostpolitik. Wir moegen die Bidenadministration dafuer loben, aber bei vielen muslimischen Amerikanern ist sie ueberhaupt nicht populaer. Aufgrund des Wahlsystems in den USA und weil das Land ja ohnehin fast mittig gespalten ist, kann das aber mit entscheidend sein.
Warum? Konzentration. Michigan ist ein Staat, den Biden gewinnen muss, in dem aber muslimische Amerikaner einen grossen Stimmenblock darstellen. Auch da wird man abwarten muessen, wie sich die Situation bis November entwickelt,
Zum Schluss: ich glaube, @jsuedekum , du ueberschaetzt die positiven Wirkungen des IRA.

Selbst das Weisse Haus spricht von 170T Jobs:

whitehouse.gov/briefing-room/…
Wenn man sich die Studien auf Wikipedia anschaut, duerfte das eher zu hoch gegriffen sein:

en.wikipedia.org/wiki/Inflation…
100T zusaetzliche Jobs - naja, das ist im US Arbeitsmarkt eher homoepathisch.
Wer mehr zur oekonomischen und politischen Lage in den USA hoeren will: ich habe mit @thinkBTO dazu gesprochen, die Folge erscheint bald.
Addendum: und all das ist nach wie vor kombiniert mit einem zumindest wahrgenommen generellen Eliteversagen, die eben tendenziell mit den Demokraten verbunden werden. Nehmen wir den Zustand der Universitaeten in den USA:
Es wurde ziemlich eindeutig nachgewiesen, dass Eliteuniversitaeten pro Legacystudenten (oft reiche Weisse) und pro Latinos/Afrian Americans und gegen Asiaten und Weisse aus der Mittelklasse diskriminieren. Das Verfassungsgericht hat dazu geurteilt.
Wie war die Reaktion an diesen Universitaeten? Nicht etwa eine der Einsicht und der Besserung, sondern eine: wie umgehen wir am besten des Urteil des Obersten Gerichts?

Dann kamen die Bilder der Hilflosigkeit angesichts eines grassierenden Antisemitismus an diesen Unis hinzu.
Viele Amerikaner im Land sagen sich: warum regen die sich alle ueber Trump auf, die Demokratischen Eliten sind doch genau so korrupt?

Ich teile das natuerlich nicht, aber es sollte nicht allzu schwer sein zu verstehen, warum man das so sehen kann.

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Jan 7
Thread zur #ASSA2024 Session zu "The Economic and Political Ramifications of the Russian Invasion of Ukraine" von heute morgen mit @YGorodnichenko (Chair) (sprach ueber die Ukraine), @sguriev (zu Russland und Sanktionen), @sgehlbach (politische Situation in den USA) und mir.
Ich brachte die deutsche/(west)europaeische Perspektive ein. Im folgenden ein paar Dinge (ohne persoenliche Attribution) aus der Session bzw. der anschliessenden Diskussion, die ich interessant und mitteilenswert finde.
1) Unsicherheit: die makrooekonomische Unsicherheit in der Ukraine ist massiv. Einer der Gründe dafür ist die Unsicherheit bzgl. Hilfen aus Europa und den USA. Das führt zu Investitions- und Kaufzurückhaltung in der Ukraine. Man sollte der Ukraine durch schnelle Klarheit helfen.
Read 15 tweets
Dec 10, 2023
Ich will mich hier weder auf die Seite von @jsuedekum noch auf die von @GrimmVeronika schlagen, sondern einen kleinen Erklaerthread schreiben, damit man verstehen kann, aus welcher Ecke die beiden argumentieren. Vielleicht hilft das ja dem einen oder anderen zur Einordnung.
Zuerst zu @jsuedekum . Jens hat letztlich ein klassisches keynesianisches Multiplikatorargument im Sinne. Erhoehte (schuldenfinanzierte) Staatsausgaben fuehren zu hoeheren verfuegbaren Einkommen und damit auch zu mehr privaten Konsumausgaben.
Moderner formuliert: diese Einkommen loesen Liquiditaetsbeschraenkungen im privaten Sektor, was auch zu hoeherer privater Nachfrage fuehrt.

Damit das allerdings voll wirkt braucht man irgendeine Form der keynesianischen Unterbeschaeftigung.
Read 19 tweets
Dec 7, 2023
Wir erleben einen Krise der/mancher Wissenschaften, die nicht nur (aber auch) eine moralische Krise, vor allem aber eine intellektuelle Krise ist.

Zunächst in der Ukrainekrise, als wir die intellektuellen Verrenkungen der sogenannten Realisten in der politikwissenschaftlichen
Subdisziplin Internationale Beziehungen erlebten. Das Tat mir zT körperlich weh.

Und jetzt nach dem 7. Oktober die Pseudoargumente mancher Philosophen und Kulturwissenschaftler, die unklare Abgrenzungen gegenüber Antisemitismus zumindest in Kauf nehmen.
In beiden Fällen erlebten wir, dass moralisch und intellektuell unhaltbar gewordene Ideen oder Aussagen oder Verhalten verteidigt wurden aus rein akademischen Gründen, um Paradigmen zu retten. Man glaubt sich, beinahe verschwörungstheoretisch, unter Beschuss und schließt Reihen.
Read 4 tweets
Nov 21, 2023
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer Gerne, aber erst nach dem Frühstück!
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer OK, seid ihr bereit?

Lieber Herr Kazim, als Vorbemerkung: ich schaetze Sie ausserordentlich, gerade Ihre Kommentierung zu Israel, etc.
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer Sie beschreiben die Kreditaufnahme bei Privathaushalten korrekt. 2., die Sicherheit, dient dabei letztlich 1., der Schuldentragfaehigkeit.

Man muss aber auch die Unterschiede zwischen Staaten und Privatleuten sehen.

Fangen wir bei der Schuldentragfaehigkeit an.
Read 12 tweets
Nov 8, 2023
War die Wahlnacht #Election2023 in den USA eine gute Nacht für die Demokraten? Ich würde sagen: Ja, aber… Vor allem könnte das Ergebnis sein: es gibt zunehmend eine Entkopplung zwischen der Partei und Präsident Biden. Ein kurzer 🧵:
Vielleicht noch wichtiger für 2024 als die beeindruckende Wiederwahl eines Demokraten in das Gouverneurshaus in Kentucky, ist die Tatsache, dass das Parlament in Virginia wieder in beiden Kammern demokratische Mehrheiten hat. Das zeigt, dass der Sieg eines Republikaners bei der
letzten Gouverneurswahl dort doch eher eine Abweichung war, und der blaue Trend in Virginia nach wie vor gilt. Die Mehrheiten werden knapp sein, aber die Idee, dass dort selbst eine Nicht-MAGA Republikanische Partei wieder übernehmen könnte, ist erst Mal abgewehrt.
Read 16 tweets
Oct 30, 2023
Heute Morgen auf der Ueberfahrt nach @nd_econ @JungNaiv mit @MauSteffen gehoert. Folge ist ganz interessant (vor allem auch das Biographische), aber beim Thema Ungleichheit und warum es so schwer ist, was dagegen politisch zu tun, haette ich mir mehr Tiefe gewuenscht. Thread.
Zunaechst wirft Tilo oft Arten von Ungleichheit zusammen. Redet man von Einkommens- oder Vermoegensungleichheit? Bei ersterer kommt es auf Ungleichheit vor Staat (Primaerverteilung) und nach Staat an (Sekundaerverteilung). Und sollte es nicht ohnehin um Konsumungleichheit gehen?
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