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Thread zur Diskussion heute zwischen @c_lindner und @jsuedekum bei @CarenMiosgaTalk , der das oekonomische Problem etwas besser klaeren soll.

Letztlich geht es um Folgendes: wie gestaltet man Transformationspolitik in Zeiten einer voll oder nahezu ausgelasteten Oekonomie?
Darauf insistierte ja Lindner immer wieder, wenn er (1) auf Inflationsbekaempfung und die Rolle der Fiskalpolitik dabei hinwies; (2) auf r>g verwies, was Staatsschulden anders macht; (3) auf die unabgerufenen staatlichen Investitionsmittel aufmerksam machte.
Zwei Bemerkungen vorneweg: (1) Das Problem stellt sich offensichtlich in einer unterausgelasteten Oekonomie anders, denn dann investiert der Staat eben oder setzt private Anreize, es gibt hoehere Beschaeftigung UND einen besseren/neueren oeffentlichen und privaten Kapitalstock.
(2) Wenn ich von vollausgelasteter Oekonomie spreche, dann meine ich damit, dass das BIP durch Nachfragepolitik nicht mehr nennenswert zu erhoehen ist. Nicht, dass es nicht erhoehbar ist! Das ist ein wichtiger Unterschied (dazu unten mehr).
Der oekonomische Grund der Debatte ist die bekannte Januskoepfigkeit von Investitionen: einerseits und zunaechst, bis sie installiert sind, stellen Investitionen, egal ob private oder oeffentliche, gesamtwirtschaftliche Nachfrage dar (und die kann man jetzt eher nicht brauchen);
andererseits und in der Zukunft (je nach Art der Investition kann diese Zukunft naeher oder ferner liegen) sollen sie die Angebotsbedingungen verbessern, das Problem der Ueberauslastung also abmildern. Das ist sicher so bei den anstehenden Investitionen in Digitalisierung,
Bildung (Humankapital), und oeffentliche Infrastruktur wie Bruecken und Bahn. Weniger klar ist das allerdings bei den anstehenden Haupttransformationen: (1) Klimaschutz und (2) Aufruestung.
Bei (1) gibt es zwar unterschiedliche Auffassungen (@Bundeskanzler sprach immer von einem gewaltigen Wachstumsprogramm), ich habe da meine Zweifel, denn was die Klimatransformation letztlich oekonomisch tut, ist der Ersatz eines zwar braunen, aber in der Regel noch sehr gut BIP
produzierenden Kapitalstock mit einem gruenen Kapitalstock, von dem noch nicht klar ist, ob er ebenso gut BIP produziert. Und dennoch ist die Klimatransformation noetig, denn es gibt eben noch andere Ziele der Politik als BIP Produktion.
Bei (2) ist es noch weniger klar, aber auch hier gilt: selbst wenn es nicht zu mehr BIP fuehrt, brauchen wir sie dennoch, um in Freiheit und Sicherheit leben zu koennen.
Man sieht jetzt das Dilemma fuer die Wirtschaftspolitik: man muesste eigentlich investieren, einerseits, um die Angebotsbedingungen der zZ ausgelasteten Wirtschaft zu verbessen, andererseits aus anderen Gruenden, um aber dahin zu kommen, muss man ERST die NACHFRAGE erhoehen.
Es lief dann in der Diskussion von @jsuedekum schon richtig darauf hinaus, dass man halt beides ineinandergreifend braucht: mit Angebotspolitik anfangen, etwa Buerokratieabbau, um sich dadurch dann langsam Freiraeume fuer die Investitionen und die erhoehte Nachfrage zu schaffen.
Andere Massnahmen, wie etwa Anreize zur Erhoehung der Arbeitsstunden von Frauen, gehoeren dazu ebenso wie deutliche verbesserte Migration und Integration sowie bessere Risikokapitalfinanzierung.
ABER: manche dieser Massnahmen teilen die Januskoepfigkeit von physischen Investitionen in dem Sinne, dass sie zunaechst einmal nur Nachfrage generieren. Etwa bei der Integration. Oder in der Bildung. Auch der Buerokratieabbau kann, anders als
@c_lindner das vielleicht meint, auch gerade darin bestehen, mehr Staatsbedienstete zu haben, etwa in der Justiz und der Genehmigungsbuerokratie.
Und dennoch: Ich fuerchte die Wirtschaftspolitik wird nicht umhinkommen, zusaetzlich zu dieser potentialerhoehenden Angebotspolitik auch eine Nachfragestrukturpolitik zu betreiben, und zwar weg von Konsum und Nettoexporten hin zu Investitionen.
Gerade die relative Konsumeindaemmung wird politisch nur moeglich sein, wenn sie die verteilungspolitische Lage nicht verschlechtert. Es wird also Massnahmen brauchen, die den Konsum ab Mittelschicht aufwaerts etwas zurueckdraengt.
Dazu braucht es kreative steuerpolitische Massnahmen (das sollte man in der Tat nicht alles ueber Schulden machen). Ganz sicher einen klugen CO2 Preis.
Nach dieser Diskussion wird hoffentlich ersichtlich, wie @jsuedekum @c_lindner haette besser stellen koennen: "Ja, Herr Minister, es mag ja sein, dass Investitionen zur Zeit nicht abgerufen werden, aber haben Sie denn so wenig Zutrauen in den Erfolg Ihrer angebotspolitischen
Massnahmen, die ich - noch mal - ausdruecklich begruesse, dass sie nicht glauben, dass mit Ihrer Wirkung auch mehr Investitionsnachfrage bedient werden kann, so dass wir eine Reform der Schuldenbremse doch brauchen?"
Denn genau hier lag ja der innere Widerspruch in @c_lindner 's Argumentation.
Schlussbemerkung: @jsuedekum haette den Minister auch bei seiner Aussage zu r>g stellen muessen. Dann haette man naemlich sehr schnell gemerkt, dass das Wissen des Ministers dann doch etwas angelesen und nicht tiefgreifend war.
Ja, r>g bewirkt, dass Staatsschulden keinen free lunch mehr darstellen, wie sie das bei r<g unter bestimmten Bedingungen tun koennen. Das heisst aber NICHT, auch wenn nun Staatsschulden ggf Kosten in Form von hoeheren Steuern morgen haben werden, dass man diese Kosten nicht
eingehen sollte, wenn mit diesen Staatsschulden etwas finanziert wird, was eben noetig ist, wie etwa die Klimatransformation oder Aufruestung. Diese Gegenrechnung muss man dann halt machen.

End Thread. Ich hoffe, er war hilfreich.
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Mar 22
Ich bin @jsuedekum dankbar fuer die Frage, denn viele in Deutschland scheinen mir die positiven Wirkungen der Bidenomics zu ueberschaetzen; Teil der Antwort ist aber auch, dass "It's the economy stupid" vielleicht nicht mehr in dem Masse gilt. Ein Thread:
Ja, die USA haben ein starkes reales BIP Wachstum. Ja, der Arbeitsmarkt in den USA ist nach wie vor stark, wenn man ihn an der Arbeitslosenrate misst. Aber, das ist eben nicht alles.
Beginnen wir mit der wirtschaftlichen Stimmung der Konsumenten, also der normalen Leute in den USA. Die hat sich seit Covid nicht wirklich erholt. Image
Read 29 tweets
Jan 7
Thread zur #ASSA2024 Session zu "The Economic and Political Ramifications of the Russian Invasion of Ukraine" von heute morgen mit @YGorodnichenko (Chair) (sprach ueber die Ukraine), @sguriev (zu Russland und Sanktionen), @sgehlbach (politische Situation in den USA) und mir.
Ich brachte die deutsche/(west)europaeische Perspektive ein. Im folgenden ein paar Dinge (ohne persoenliche Attribution) aus der Session bzw. der anschliessenden Diskussion, die ich interessant und mitteilenswert finde.
1) Unsicherheit: die makrooekonomische Unsicherheit in der Ukraine ist massiv. Einer der Gründe dafür ist die Unsicherheit bzgl. Hilfen aus Europa und den USA. Das führt zu Investitions- und Kaufzurückhaltung in der Ukraine. Man sollte der Ukraine durch schnelle Klarheit helfen.
Read 15 tweets
Dec 10, 2023
Ich will mich hier weder auf die Seite von @jsuedekum noch auf die von @GrimmVeronika schlagen, sondern einen kleinen Erklaerthread schreiben, damit man verstehen kann, aus welcher Ecke die beiden argumentieren. Vielleicht hilft das ja dem einen oder anderen zur Einordnung.
Zuerst zu @jsuedekum . Jens hat letztlich ein klassisches keynesianisches Multiplikatorargument im Sinne. Erhoehte (schuldenfinanzierte) Staatsausgaben fuehren zu hoeheren verfuegbaren Einkommen und damit auch zu mehr privaten Konsumausgaben.
Moderner formuliert: diese Einkommen loesen Liquiditaetsbeschraenkungen im privaten Sektor, was auch zu hoeherer privater Nachfrage fuehrt.

Damit das allerdings voll wirkt braucht man irgendeine Form der keynesianischen Unterbeschaeftigung.
Read 19 tweets
Dec 7, 2023
Wir erleben einen Krise der/mancher Wissenschaften, die nicht nur (aber auch) eine moralische Krise, vor allem aber eine intellektuelle Krise ist.

Zunächst in der Ukrainekrise, als wir die intellektuellen Verrenkungen der sogenannten Realisten in der politikwissenschaftlichen
Subdisziplin Internationale Beziehungen erlebten. Das Tat mir zT körperlich weh.

Und jetzt nach dem 7. Oktober die Pseudoargumente mancher Philosophen und Kulturwissenschaftler, die unklare Abgrenzungen gegenüber Antisemitismus zumindest in Kauf nehmen.
In beiden Fällen erlebten wir, dass moralisch und intellektuell unhaltbar gewordene Ideen oder Aussagen oder Verhalten verteidigt wurden aus rein akademischen Gründen, um Paradigmen zu retten. Man glaubt sich, beinahe verschwörungstheoretisch, unter Beschuss und schließt Reihen.
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Nov 21, 2023
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer Gerne, aber erst nach dem Frühstück!
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer OK, seid ihr bereit?

Lieber Herr Kazim, als Vorbemerkung: ich schaetze Sie ausserordentlich, gerade Ihre Kommentierung zu Israel, etc.
@social_sth @HasnainKazim @FuestClemens @GrimmVeronika @MonikaSchnitzer Sie beschreiben die Kreditaufnahme bei Privathaushalten korrekt. 2., die Sicherheit, dient dabei letztlich 1., der Schuldentragfaehigkeit.

Man muss aber auch die Unterschiede zwischen Staaten und Privatleuten sehen.

Fangen wir bei der Schuldentragfaehigkeit an.
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Nov 8, 2023
War die Wahlnacht #Election2023 in den USA eine gute Nacht für die Demokraten? Ich würde sagen: Ja, aber… Vor allem könnte das Ergebnis sein: es gibt zunehmend eine Entkopplung zwischen der Partei und Präsident Biden. Ein kurzer 🧵:
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