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Mörder-Thread zu @maithi_nk's neuem Video über das #Gendern mut Timecodes


3:00 "Der Glottisschlag macht den Uterschied zwischen dem Spiegel-Ri und der Spiegelei." Man merkt schon hier, dass ungenügend linguistische Quellen herangezogen
@maithi_nk wurden, geschweige denn Linguisten beteiligt gewesen wären an diesem Video. Den Unterschied zwischen Spiegel-Ei und Spiegelei machen viele Muttersprachler ohne Glottis deutlich, nämlich über die Wortprosodie, also die Betonung verschiedener Silben ( Spígelei vs. Spiegeléi
@maithi_nk ). Das Standardwerk zur deutschen Phonologie von Richard Wiese stellt darum auch fest, dass der Glottisschlag kein Phonem des Deutschen ist, also keinen bedeutungsunterscheidenden Charakter hat. Jüngere Einführungen wie die von Becker bekräftigen dies nochmal.

8:14
@maithi_nk "Statistisch nicht signifikant" dahinter verbirgt sich in jedem der Experimente ein subjektiv angesetzter Maßstab der Forscher. Denn: Was Millisekunden mehr Lese-, Sprech- und Verständnisaufwand verursacht, kann man beim Lesen eines einzigen Textes wohlwollend als
@maithi_nk insignigikant bezeichnen, sowas schlägt im Kontext 1000er gesprochener Sätze pro Person pro Tag sprachhistorisch dann aber trotzdem große Wellen: nicht zu Unrecht werden kleinste Wortpartikel in Dialekten ausgelassen, wie z.B. die Endungen -ch und -e in der 1. Person
@maithi_nk Singular und das Präfix ge- im Partizip Perfekt des Bayrischen, wodurch aus "Ich habe gesungen" "I hob sunga" wird. Dialekte sind die Petrischalen des Sprachwandels. Wenn Dialekte also etwas abbauen, wird es der Sprachwandel vermutlich auch abbauen, und wenn der es
@maithi_nk abbaut, ist es statistisch signifikant. Und beim Genderstern mit *innen reden wir nicht einmal von einer sondern gleich zwei redundanten Silben im Wort. Zudem erklärt die Zeitmessung in diesen Millisekunden nicht hinreichend den neurologischen Mehraufwand, der sich in
@maithi_nk erhöhtem Kalorienverbrauch niederschlagen kann und nicht in längerer Lesezeit. Will heißen: Gendersternchen erschöpfen bei gleicher Lesezeit mehr. Dafür spräche z.B. das subjektive Leseempfinden, das ihr allerdings als persönlichen Bias abtut - in meinen Augen vorschnell.
@maithi_nk Erneut vermisse ich auch hier einfach linguistische scientific literacy bzw. höhere Ergebnisoffenheit.

13:29 "Studien mit größerer Testgruppe" die gibt es. 'Per aspera ad astra – Eine politikwissenschaftliche
Analyse der Akzeptanz des Gendersterns[...]" von Sebastian
@maithi_nk Jäckle von der Universität Freiburg von 2022. Unter dem Vorwand eines ganz anderen Studiengegenstandes konnten die Probanden entscheiden, ob sie gegenderte Texte lesen wollen oder Texte im generischen Maskulinum. Jäckle rechtfertigt das Studiendesign so: "Ein generelles
@maithi_nk Problem von Studien, die die Akzeptanz des Genderns untersuchen, ist, dass diese die Befragten i. d. R. sehr direkt fragen. [...] Dadurch, dass die Debatte zum Thema Gendern in der Öffentlichkeit jedoch mit wenig Grautönen geführt wird, fühlen sich diejenigen, die an
@maithi_nk diesen Studien teilnehmen, durch die direkte Frage nach dem Gendern eventuell dem Druck der sozialen Erwünschtheit ausgesetzt." Jede Kohorte in Jäckles Versuch - also Frauen, Männer, Linke, Rechte, sogar Diverse - wählte dann tatsächlich mit mit statistisch teils extremer
@maithi_nk Signifikanz häufiger das generische Maskulinum - weil die sich unbeobachtet fühlten. Analysiert wurden >10.000 Fälle. Die Studie ist online komplett frei verfügbar.

14:18 "Sprache ist etwas dass sich dauernd verändert und Änderungen sind Gewohnheitssache." Das ist ein
@maithi_nk sehr naives Bild von Sprachwandel, das linguistische nicht haktbar ist. Alle Beispiele für umfassenden Sprachwandel (Genitivschwund, Präteritumsschwund, Konjunktivschwund, die Entstehung der Genera in indogermanischer Zeit) sind Wandlungsprozesse der unsichtbaren Hand,
@maithi_nk die stark mit innersystemischen Aspekten der Sprache zu tun haben, wie Phonologie (Lautsystem), Syntax (Satzbau) und Prosodie (Rhythmus und Betonung). Die gehen so gut wie immer von kollektiven, unterbewussten, Generationen umspannenden Verschiebungen aus, vergleichbar
@maithi_nk mit der Plattentektonik. Das Gendern mit Sprachwandel erklären zu wollen, ist, als würde man mittels Kontinentalverschiebung nach Amerika reisen wollen. Das Anglizismus-Beispiel, das du bringst, ist zudem auch interessant, einmal weil es vor allem das Vokabular der
@maithi_nk Sprache betrifft, Gendern betrifft aber vornehmlich WortBILDUNG, einen Bereich der Grammatik, der sprachhistorisch wesentlich wandlungsresistenter ist. Vokabular ist zudem wesentlich wandlungsfreudiger, aber darum auch anfällig für Moden und Rückfälle. Von der großen Flut
@maithi_nk an Gallizismen (Fremdwörter aus dem französischen) im 18. Jahrhundert sind heute nur noch sehr wenige übrig. Eurem Video fehlt eine sprachhistorische Perspektive leider komplett.

14:56 Die Zweisatzbeispiele sind linguistisch hochumstritten und das auch nicht erst seit
@maithi_nk gestern. Einer der oberflächlicheren Kritikpunkte ist, dass die Autoren allesamt keine Linguisten sind, womit ich meine, dass sie keine klassisch linguistische Ausbildung haben. Sie nennen sich Psycholinguisten, sind aber Psychologen, die Sprache erforschen. Das wäre
@maithi_nk erstmal kein Problem, wenn sie sich das nötige linguistische Rüstzeug zusätzlich angeeignet hätten. Den Studien merkt man allerdings an, dass die Autoren kein ausreichendes Verständnis für diffizile Bestandteile der Sprache wie z.b Aspekt haben. Zudem benutzen sie keine
@maithi_nk echte Welt-Beispiele sondern konstruieren Hütchenspieler-Sätze, die bewusst Missverständnisse herstellen, die im Sprachalltag einfach zu umgehen sind. Anders gesagt: sie benutzen die Sprache nicht richtig. Und selbst auditive Experimente müssen sich ja für eine Satzbetonu
@maithi_nk ng entscheiden. In dem Beispiel "Die Sozialarbeiter gingen durch den Bahnhof. Wegen des schönen Wetters trugen mehrere der Frauen keine Jacke." hängt es z.b extrem von der Betonung des zweiten Satzes ab, ob ein Missverständnis entsteht oder nicht. Wird das Wort Frauen im
@maithi_nk zweiten Satz betont ("Wegen des schönen Wetters trugen mehrere der FRAUEN keine Jacke.") wird deutlich, dass es sich um eine Teilgruppe aus der großen Gruppe der Sozialarbeiter handelt. Wird es nicht betont, gibt der zweite Satz den Eindruck, das ist sich um eine komplett
@maithi_nk weibliche Gruppe handeln muss, wodurch der erste Satz unsprachlich ist, denn bei einer komplett weiblichen Gruppe würde niemand von Sozialarbeitern reden sondern von Sozialarbeiterinnen.

Fazit: Diese Kritikpunkte zu den von dir genannten Argumenten, die ich hier
@maithi_nk aufgeführt habe, sind allesamt nicht neu und lassen deine Schlussfolgerung am Ende des Videos auch nicht mehr wirklich zu. Den Anfangsvorteil, den Befürworter des Genderns in der Forschung hatten, einfach dadurch, dass sie als erste Studien zum generischen Maskulinum usw.
@maithi_nk veröffentlicht haben, büßen sie durch neue Studien aus der Linguistik aktuell immer stärker ein. Dein Video ist tatsächlich auf dem linguistischen Stand von vor ca. 5 bis 6 Jahren, was mich sehr erstaunt. Aber vielleicht bringst du ja in fünf Jahren wieder ein Video zum
@maithi_nk Gendern raus das dann auf dem Stand von heute ist. Das wünsche ich mir.

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Dec 15, 2022
Mal wieder versucht @quarkswdr das 'Gendern' und das 'generische Maskulinum' mit einem schlechten und veralteten Artikel zu erklären, ohne selbst wissenschaftlich sattelfest zu sein.



Die gröbsten Fehler in einem 🧵:

1/10
Zum Einstieg aber erstmal ein sehr wahrer Tweet von Nate Silver diese Woche, der wunderbar auf die Redaktion von Quarks zutrifft:



2/10
Los geht's:

"Ob die männliche Pluralform in der deutschen Sprache immer schon diese Doppelfunktion hatte, für Männer und Frauen zu stehen, ist empirisch schwer zu belegen."

Wurde es inzwischen nur leider von zwei Linguisten der @goetheuni:
ling.auf.net/lingbuzz/006520

3/10
Read 10 tweets
Oct 30, 2022
Nachdem das @zdfmagazin seit geraumer Zeit das generische Femininum nutzt, durfte ich am eigenen Leib erfahren, was für Missverständnisse das auslöst, wenn Böhmermann plötzlich das spezifische verwendet. Warum gen. Mask. und Fem. nicht gleich geboren sind: Mini-Thread. 1/14
Generische Formen entstehen oft nicht aus einem Angebot mehrerer Formen sondern bilden sich aus den Ursprungsformen heraus. Das 'Maskulinum' ist mit Abstand das älteste Genus und war die längste Zeit seines Lebens kein 'Maskulinum' sondern eine Agens-Klasse. 2/14
Das 'Neutrum' bildete sich als erstes daraus aus, aber erst viel später: aus einer klasse von Wörtern, die so gut wie nie Subjekte (Nominativ) und so gut wie immer direkte Objekte (Akkusativ) im Satz waren. 3/14
Read 15 tweets
Aug 6, 2022

Herr Lobin, das Interview zeigt, dass der Aufruf einen Nerv getroffen hat. Man kann sich denken, dass Frau Nübling die 'alten, überkommenen' linguistischen Praktiken nur ungern kritisiert. Weil sie diese Praktiken anderen Orts selber nutzt. 1/16
Darum verweist sie z.B. sicher auch nur schweren Herzens darauf, dass viele 'alte' Linguisten Kraft eigener sprachlicher Intuition argumentieren und diese dann verallgemeinern. Denn das, lieber Herr Lobin, tut Nübling selbst. 2/16
Z.B. bei den Pejorativen in ihrem Genderlinguistikbuch. Eine tiefe Analyse historischer Korpora, selbst die Andeutung einer solchen, findet dort nicht statt. Das gleiche passiert in Nüblings Artikel in der Süddeutschen. 3/16
Read 11 tweets
Jun 7, 2021
@NateSilver538 Oh boy. Ok. So I just read a lengthy interview with the guy who invented the PCR tests for SarsCov19, who is an expert extraordinaire on the research and history of Sars viruses @ChariteBerlin. Here are some major takeaways. Lab hypothesis (1/3):
@NateSilver538 @ChariteBerlin More likely origins of the virus (2/3)
@NateSilver538 @ChariteBerlin Reasons for why the lab hypothesis, albeit unlikely, could still serve to pushChina on its criminal neglicence regarding fur farms as virus kitchens (3/3).
Read 4 tweets

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