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Jun 18 27 tweets 5 min read Read on X
Okay, Pflanzenschutzmittelfight! Wir haben zwei starke Vertreter, die wegen ihrer Regulierung in der EU heiss diskutiert werden:
In der einen Ecke Glyphosat, in der anderen Kupfersulfat - ersteres war in der Presse, weil die Zulassung verlängert wurde, das andere, weil es (1/n)
verboten werden soll - beides Zündstoff in Gesellschaft und Landwirtschaft. Sollen wir uns das mal anschauen?

Okay, zuerst: Wozu werden die beiden eingesetzt?

Glyphosat ist ein Totalherbizid, tötet also Pflanzen - und zwar prinzipiell alle. Damit kann man z.B. Wege oder (2/n)
Bahndämme von unerwünschtem Bewuchs (Unkraut, in dem Kontext sinnvoller Begriff) befreien oder auch Äcker vor der Aussaat - in der EU nicht danach, denn glyphosatresistente Pflanzen sind bei uns nicht zugelassen. Alternativen zu Glyphosat sind andere Herbizide, das sehr (3/n)
aufwändige Jäten und Pflügen - letzteres mit teils sehr negativen Auswirkungen auf Bodenlebewesen und Erosion (Und ja, wir bleiben hier recht knapp, sonst wird der Thread irre lang).

Kupfersulfat (CuSO4) ist ein hochgiftiges Salz, das vor allem als Fungizid eingesetzt (4/n)
wird, besodnere Bedeutung hat es im Weinbau - dem Bereich der Landwirtschaft mit dem höchsten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln pro Hektar. Kupfersulfat darf auch im "Biolandbau" eingesetzt werden, da es als natürliche Substanz gilt. Alternativen sind andere, meist (5/n)
hochgiftige Fungizide (Pilze sind schwer zu töten und oft ist was für sie gifitg ist für Tiere auch giftig...) oder Züchtung resistenter Sorten. Bei Wein sind diese als PIWIs bekannt (), machen aber derzeit nur etwa 3% des deutschen Weinanbaus aus, (6/n)deutscheweine.de/weinbau/387/pi…
obwohl sie bis 80% reduzierten Pflanzenschutz ermöglichen - ein Grund ist der fehlende Absatz, da in D Wein meist sortenrein verkauft wird und die Verbraucher bevorzugt die bekannten Sorten kaufen und deren Geschmack bevorzugen - in anderen Regionen werden Weine oft auch (7/n)
gemischt, um den gewünschten Geschmack zu erreichen - hier steht uns also Tradition im Weg...

Ein Wort noch zu den genannten Alternativen: Das ist eigentlich nie ein entweder oder, am effektivsten sind meist Kombinationen und es geht am Ende eher um Gewichtung dessen, (8/n)
was man einsetzt.

So, schauen wir weiter, wie gifitg ist das Zeug?

Glyphosat hat eine LD50 oral von etwa 3-5g/kg, je nach Versuchstier, das heisst bei dieser Menge sterben etwa die Hälfte. Für einen 70 kg menschen wären dann also etwa 210-350 Gramm tödlich. Für Wasser- (9/n)
lebewesen ist Glyphosat deutlich giftiger, hier liegt die LD50 bei etwa 2-200 mg/l ()

Als Reinsubstanz hat Glyphosat die Warnsätze H 318 (akute Augentoxizität) und H 411 (chronische Toxizität für Wasserlebewesen) (10/n)de.wikipedia.org/wiki/Glyphosat
Der Wirkmechanismus von Glyphosat in Pflanzen (und vielen Mikroorganismen) ist die Hemmung eines Enzyms, das in Tier und Mensch so nicht vorkommt - daher die hohe Toxizität für Pflanzen bei relativ niedriger für uns.

Die LD50 für Kupfersulfat liegt bei 0,09-0,3g/kg bei Maus (11/
und Ratte, tödlich für einen 70 kg Mensch wären also 6,3 bis 21 Gramm. Für Wasserlebewesen ist es noch toxischer und ist in die höchste Wassergefährdungsklasse eingestuft (WGK 3)
Die Warnsätze für Kupfersulfat sind H 302 (Gesundheitsgefährlich beim Verschlucken), (12/n)
als Pentahydrat H 318 (akute Augentoxizität), als Monohydrat dagegen H 315 (Verursacht Hautreizungen) und H 319 (Verursacht schwere Augenreizungen) und für beide wieder H 410 (Sehr giftig für Wasserlebewesen mit langfristiger Wirkung) (13/n)
Kupfersulfat kann als Schwermetall unspezifisch ganz verschiedene Enzyme inhibieren und zusätzlich oxidative Schäden an verschiedenen Zellkomponenten hervorrugen und ist daher für Pilze, Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen toxisch.

Okay, aber wie sieht es jenseits der (14/n)
akuten Toxizität aus?

Für Glyphosat wird schon länger ein möglicher krebserregender Effekt diskutiert, der allerdings im Tierversuch nicht klar nachweisbar ist, die Hinweise stammen vor allem von erhöhtem Krebsrisiko bei Anwendern. Hier ist viel unklar, wissenschaftlicher (15/n)
Konsens ist aber derzeit, dass kein Krebsrisiko besteht, außer eventuell man arbeitet direkt damit.

Auch für Kupferexposition gibt es ein paar unklare Daten zu erhöhtem Krebsrisiko, so dass eher kein Zusammenhang zu bestehen scheint, aber chronsiche Expositionen können zu (16/n)
Leber- und Nierenschäden führen, da Kupfer aber auch in geringeren Mengen im normalen Stoffwechsel vorkommt, ist es ein Schwermetall, das der Körper meist gut entgiften kann.

Bei beiden Substanzen besteht also wenn, dann eher das Risiko bei wiederholten hohen Dosen, (17/n)
für Schäden durch dauerhaften Kontakt mit niedrigen Mengen ist die Beleglage eher schwach, für Konsumenten wäre beides daher eher kein großes Risiko.

Last but not least, wie sieht es mit dem Abbau aus? (18/n)
Glyphosat bindet recht gut an den Boden und wird gering ausgewaschen, dank häufigem Einsatz und feiner Analytik ist es trotzdem in vielen Umweltproben nachweisbar, meist in unbedenklichen Mengen. Glyphosat kann durch Mikroorganismen abgebaut werden, die Halbwertszeit (19/n)
hängt von verschiedenen Faktoren ab, liegt im Schnitt aber bei etwa zwei Wochen bis einem Monat im Boden und etwa der Hälfte in Gewässern.

Kupfersulfat wird ebenfalls teilweise im Boden gebunden, ist aber auch viel besser wasserlöslich als Glyphosat. Insbesondere bei (20/n)
saurem pH-Wert wird es wieder ausgewaschen. Abgebaut werden kannes gar nicht, daher akkumiliert es im Boden, bei Auswaschung in Gewässern oder den Pflanzen. Bei langjähriger Anwendung können so hohe Schwermetallbelastungen im Boden erreicht werden, dass Bodenlebewesen (21/n)
nachweislich beeinträchtigt werden ()

So, was heisst das jetzt? Glyphosat gut, Kupfersulfat böse? Oder doch Glyphosat böse weil künstlich, Kupfersulfat gut? Oder beide böse? Beide gut???

Letztendlich müsste man sich noch viel mehr anschauen und (22/n)umweltbundesamt.de/sites/default/…
am Ende ist die entscheidende Frage eher "Was ist ein sinnvoller Einsatz, der Nutzen und Risiken für Mensch und Umwelt abwägt?"

Aber die wichtige Take-Home-Message ist eigentlich: Wir sollten die Diskussionen nicht verzerren, indem wir eines verteufeln und das andere (23/n)
verharmlosen, sondern die gleichen Überlegungen auf alle Substanzen anweden - auch wenn dann vielleicht manchmal der böse Glyphosatanwender am Ende der boden- und umweltschonend arbeitende Landwirt ist und der gute Biobauer seinen Hang zu Schwermetallhalde macht...

Am Ende (24/n
vom Tag muss uns allen klar sein, dass in diesen Diskussionen neben Fakten auch viel Bauchgefühl und vor allem auch starke Lobbyverbände auf allen Seiten mitspielen und ein wirklich abgewogenes Bild nicht einfach ist!

Mäuschen Out 🐭(25/25)
P.S. Irgendwie hat mit Twitter den Thread beim Schreiben zweimal zerhauen, nicht alle Fehler sind also meine Schuld 😉
@ungueltig684 Und ansonsten möchte ich den Nebenschauplatz der Begrifflichkeiten hier nicht weiter bespielen

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Jun 20
Auch wenn sich einige aufregen, der Diskussion müssen wir uns als Gesellschaft stellen. Einen Patienten für den Gewinn weniger Tage zu beatmen aber gleichzeitig an der Schmerztherapie zu sparen, die ein paar Tage kosten könnte, ist zwar im Sinne einer Lebensverlängerung (1/n)
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May 6
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ec.europa.eu/health/documen…
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t-online.de/gesundheit/akt…
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Apr 20
Warum klingt Pasta (oder generell italienisches Essen) im Singular wie Mafiosi oder Maler und im Plural wie Komponisten?

Raviolo, Michelangelo, Spaghetto, Raffaello, Cappuccino

vs.

Ravioli, Puccini, Spaghetti, Paganini, Cappucini

Ganz einfach: (1/12)
Vornamen sind meist im Singular, aber Nachnamen oft im Plural ("Familie der XY") und die berühmtesten italienischen Künstler (Michelangelo, Leonardo, Raffaello, Donatello) stammen aus der Renaissance, als Familiennamen als Nachnamen noch weniger gebräuchlich waren und (2/n)
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Apr 11
Das Institut der Deutschen Wirtschaft titelt "Lange Arbeiten: Wer im Alter arbeitet, ist zufriedener", weil Menschen, die zwischen 66 und 70 arbeiten die höchsten Zufridenheitswerte erreichen und die zwischen 61 und 65 nicht Erwerbstätigen die (1/n)

iwkoeln.de/presse/pressem…
niedrigsten. Aber: Der Unterschied bei den 66-70-jährigen ist tatsächlich recht gering, tatsächlich entsprechen die erwerbstätigen 61-65 dem 66-70-Schnitt.
Da die 61-65-jährigen Erwerbslosen diesen Zustand oft nicht freiwillig wählen, müsste man hier zwischen Vorruhestand (2/n) Image
aus eigener Wahl, Arbeitslosigkeit und krankheitsbedingter Frührente unterscheiden, um mit den freiwillig, oft zu selbst gewählten Bedingungen UND nach Artikel meist nicht aus finanziellen Gründen weiter Arbeitenden, vergleichen zu können.
Dass Menschen, die im Alter gesund (3/n)
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