Die Ukraine fügte Russland im Gebiet Charkiw hohe Verluste zu, gerät aber in Richtung Pokrowsk in ernsthafte Probleme. Russland setzt weiter auf Gleitbomben und Frontalangriffe und arbeitet langsam auf strategische Wegmarken hin. Wie ist die Lage und was wird gebraucht? 🧵
Der russische Angriff im Gebiet Charkiw ist gescheitert. Lediglich in der grenznahen Stadt Wowtschansk und in kleineren Abschnitten der Front nahe der Grenze gibt es weiter Kämpfe. 2/
Russland brachte nach dem Steckenbleiben des Angriffs hochwertige Luftlandetruppen und Marineinfanterie als Verstärkungen ein. Doch auch diese Einheiten konnten das Blatt nicht mehr wenden und erlitten hohe Verluste. 3/
Auch wenn Russland und seine Proxies den Angriff im Nachhinein herunterspielen, kommt der gescheiterten Charkiw-Offensive hohe Bedeutung zu, da für Russland sehr viel Material und Personal fast ohne Ergebnis verloren gingen. 4/
Da die Ukraine ihrerseits Reserven für das Gebiet Charkiw mobilisieren musste, kann Russland unterdessen aber an der Front im Osten die relative Schwäche der dortigen ukrainischen Truppen ausnutzen. 5/
Russland setzt seine Luftwaffe mit dem Abwurf von mehr als hundert Gleitbomben pro Tag mittlerweile effektiv ein und bereitet damit den Weg für Frontalangriffe mit Schützenpanzern und Infanterie. 6/
Russland treibt vor allem den Angriffsvektor über Otscheretyne hinaus weiter voran. Das Ziel scheint eine strategisch wichtige Kreuzung an der Straße zwischen Pokrowsk und Kostjantyniwka zu ein. 7/
Ein Vordringen Russlands an die Straße T0504 könnte die Lage für Kostjantyniwka, aber auch in Richtung Pokrowsk und Pawlograd verändern. Russland würde damit nach dem bisher rein taktischen Vordringen in Bachmut und Awdijiwka eine strategische Wegmarke erreichen. 8/
Die Ukraine verteidigt weiter die Ortschaft Tschassiw Jar, die aufgrund der Höhenlage und dem größeren Teil der Stadt hinter einem Kanal günstige Voraussetzungen für eine lange Verteidigung bietet. 9/
Russland stößt aus südlicher Richtung in Richtung Nju-Jork vor und bringt mit dem Vordringen in den Ort einen gesamten Frontabschnitt westlich des besetzten Horliwka für die Ukraine in Bedrängnis. 10/
Russland greift außerdem aus Richtung Kreminna in Richtung Torske und weiterhin westlich von Marjinka an, allerdings jeweils mit geringen Ergebnissen. 11/
Nach der Rückeroberung von Werbowe brachte Russland im Süden jetzt auch Robotyne vollständig unter Kontrolle und machte damit Ergebnisse der ukrainischen Gegenoffensive von 2023 wieder rückgängig. 12/
Russland beutet seit Monaten die Wehrlosigkeit der Ukraine gegen Gleitbomben aus. Die Wirkungen für Ortschaften und Streitkräfte der Ukraine, auch die psychologischen Wirkungen sind verheerend. 13/
Zur Abwehr der Flugzeuge mit Gleitbomben braucht die Ukraine endlich die angekündigten F/16 und weitere moderne Kampfflugzeuge, Luft-Luft-Raketen und moderne Luftverteidigungssysteme. 14/
Die Versorgung mit Artilleriemunition ist zwar jetzt etwas besser, aber weiter wird viel Munition für Mörser, Artillerie und Raketenartillerie gebraucht. 15/
Die Ukraine braucht mehr Fähigkeiten und Munitionstypen für Präzisionsschläge mit hohen Reichweiten. Dazu gehören auch die deutschen Taurus-Marschflugkörper, die militärisch weiterhin notwendig sind. 16/
Die Ukraine braucht die Aufhebung aller Restriktionen zur freien Nutzung durch Partner gelieferter Waffensysteme und Munition im Rahmen des Völkerrechts. 17/
Die Ukraine braucht Drohnen, die gegen russische elektronische Kampfführung gehärtet sind und mehr Instrumente zur wirtschaftlich sinnvollen Drohnenabwehr. 18/
Die Ukraine braucht Komponenten, Bauteile und Investitionen für den ukrainischen Verteidigungssektor. Partner der Ukraine sollten einen Anteil der finanziell zugesicherten Militärhilfen direkt in ukrainische Produkte und in die ukrainische Industrie investieren. 19/
Die Ukraine braucht Wartung und Instandsetzung für gepanzerte Fahrzeuge und Artilleriesysteme näher an der Front, die Erlaubnis zum Herstellen von Ersatzteilen in der Ukraine und westliche Industriepartner direkt vor Ort. 20/
Die Ukraine braucht ständige Nachlieferungen leistungsfähiger Schützenpanzer wie Bradley, CV-90, Marder und weitere. Schützenpanzer stellen sich im Kriegsverlauf immer wieder als wichtiger als Kampfpanzer heraus. 21/
Wiederholte Ankündigungen von Militärhilfen, die für politische Entscheider im Westen kommunikative Entlastung schaffen, ändern noch nichts auf dem Schlachtfeld. Die Partner der Ukraine setzen ihre Ankündigung bisher unzureichend und viel zu langsam um. 22/
Wahlen in den USA, Selbstblockade der Regierungen in Frankreich und Deutschland sowie Neuaufstellung der EU-Institutionen fallen nach dem Sommer mit einer militärisch kritischer werdenden Situation im Osten der Ukraine zusammen. 23/
Hinzu kommt, dass die geringe Verfügbarkeit von Strom aufgrund zerstörter Kraftwerke ukrainische Wirtschaft und Menschen in der Ukraine in existenzielle Nöte bringt, was zu Zahlungsproblemen und neuer Massenflucht führen könnte. 24/
Putin schließt aus den ausbleibenden Reaktionen auf die Bombardierung der Krebsklinik für Kinder und der Blockade strategischer Entscheidungen auf dem NATO-Gipfel, dass seine wichtigste Waffe, die Einschüchterung, weiterhin funktioniert. 25/
Verhandlungen werden nur möglich, wenn die Ukraine militärischen Druck aufbauen kann und Antworten auf die Frage nach langfristige Sicherheitsgarantien bekommt. Solange beides nicht gelingt, wird Putin weiter Fakten schaffen, mit jahrelangem weiteren Vorrücken Dorf um Dorf. 26/
Die bisherige Strategie wesentlicher Partner der Ukraine, angeführt von den USA, verweigerte zwar Putin das Erreichen seiner militärischen Ziele, ist aber sehr teuer und kommt erkennbar an ihr Ende. /27
Eine neue Strategie sollte sich das Ziel schnellerer militärischer Entscheidung zugunsten der Ukraine setzen und die dafür notwendigen Ressourcen rasch in Anschlag bringen. /END
Karten: @War_Mapper @AndrewPerpetua
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Putin will mit Gewalt die „größte geopolitische Katastrophe“, den Zerfall der Sowjetunion, zurückrollen. Schon seit 2014 scheinen die Bundesregierungen die Entwicklungen in der Ukraine aufzufassen, als würden sie auf eine neue europäische Teilung hinauslaufen. 1/
Deutschland scheint nun allein von der vagen Zielvorstellung geleitet, dass sich der Krieg „irgendwie festfährt“. Ohne konkrete Ideen für ein Nachkriegseuropa scheint die deutsche Politik noch immer die Rückkehr zum modifizierten Vorkriegseuropa zu erwarten. 2/
Auch durch deutsche Waffenhilfe überlebt die Ukraine und verweigert Putin das Erreichen seiner militärischen Ziele. Dennoch scheint die Bundesregierung davon auszugehen, dass Deutschland kein bestimmender Akteur zur Entscheidung des Krieges sein kann. 3/
Heute beginnt in Berlin die Ukraine Recovery Conference. Wie ist die Lage und was wird gebraucht? 🧵 urc-international.com
Die Ukraine braucht Investititionen. Leider wird es auf dieser Ukraine Recovery Conference, wie zuletzt in London, keine Pledges privater Investoren geben. Ohne Sicherheit keine Investitionen. Sicherheit für Investionen bekommt man am besten über eine NATO-Mitgliedschaft. 2/
Die wichtigsten und größten Investoren in die Ukraine sind die Ukrainer selbst. Investitionsschutz, Minderung des Risikos und Zugang zu günstigen Kritiken für ukrainische Geschäftsleute wären notwendig, um die ukrainische Wirtschaft am Laufen zu halten. 3/
Russland setzt auf eine Dehnung der Front, auf Frontalangriffe und Bombenterror. Die Ukraine erhöht gleichzeitig den Druck auf die Krim und schlägt weiter in die russische Tiefe. Wie ist die Lage und was wird gebraucht? 🧵
Mit Angriffen über die Grenze hinweg ins Gebiet Charkiw dehnt Russland seit Anfang Mai das Kampfgeschehen auf neue Frontabschnitte aus. Die russischen Attacken im Nordosten Charkiws kamen nach anfänglichem schnellem Vorrücken mittlerweile zum Stehen. 2/
Russland zerstört jetzt die Kleinstadt Wowtschansk Straße für Straße und Wohnblock für Wohnblock mit Gleitbomben und Artillerie. Ob Russland Wowtschansk letzlich einnehmen kann oder ob die Ukraine die Russen wieder aus der Stadt drängt, ist derzeit offen. 3/
Die vielleicht unterschätze Veränderung im System Putin vor einer Woche war die Demotion von Nikolai Patruschew vom Sekretär (faktisch Leiter) des Sicherheitsrats zum Präsidentenberater für Schiffbau (!?). 1/
Patruschew war zunächst Stellvertreter dann ab 1999 Nachfolger Putins als Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, seit 2008 Sekretär des Sicherheitsrats. Wahrscheinlich arbeitete er seit den 70ern eng mit Putin zusammen. Patruschew war informell lange die Nummer 2 nach Putin. 2/
Putin spricht seit etwa zehn Jahren auch erkennbar immer mehr in der Sprache des Hardliners Patruschew, der die Rhetorik vom "dekadenten Westen" usw. kultiviert hat. Was ist also passiert, dass Patruschew jetzt beseite geschoben wurden? 3/
Russland greift im Osten verlustreich weiter an und setzt mit Luftangriffen auf Zerstörung und Vertreibung. Die Ukraine hält den Druck auf die Krim aufrecht und baut die Fähigkeiten für Präzisionsschläge nach Russland stetig aus. Wie ist die Lage und was wird gebraucht? 🧵
Russland setzt die Frontalangriffe im Osten in drei Schwerpunkten weiter fort: Westlich von Kreminna in Richtung Lyman, westlich von Bachmut in Tschassiw Jar, und nördlich von Marjinka in Krasnohoriwka. 2/
Das russische Vorgehen ist dabei überall gleich: Abwurf von Gleitbomben auf die ukrainischen Ortschaften und die Stellungen der Ukraine, langer Artilleriebeschuss und dann Vorrücken von Infanterie mit wenigen Schützenpanzern und Kampfpanzern. 3/
Durch die Festnahme russischer Agenten wird gerade wieder über den russischen hybriden Krieg gesprochen. Was ist das eigentlich genau? 🧵
Für Russland besteht das Ziel des hybriden Kriegs im Kern darin, die Außen- und Sicherheitspolitik anderer Staaten in Richtung der russischen Interessen zu beeinflussen. Der hybride Krieg findet immer statt. 2/
Aus russischer Sicht ist es finanziell und mit Blick eigene Kräfte von Vorteil, wenn der Krieg „kontaktlos“ geführt werden kann. Das verwischt die Trennlinien zwischen Frieden und Krieg, vermeidet Gegenmaßnahmen und ein Eingreifen Alliierter. 3/