Thread by @mlewandowsky

Dass die Parteien angesichts des Erstarkens der AfD nun auf das Thema Migration & Asyl gehen, ist nachvollziehbar, aber strategisch der falsche Weg. Warum? 🧵 1/

Man kann das anhand verschiedener Studien zeigen, die ich und andere schon mehrfach gepostet haben. In a nutshell: Krause et al. zeigen, dass Rechtspopulisten (RP) in Zweifel gewinnen, wenn Kons nach rechts rücken. 2/ cambridge.org/core/journals/…

Kollege Wagner & ich sehen, dass bei AfD-Wählern rechte Orientierungen + populistische Einstellungen eine sehr geringe Bereitschaft bedingen, irgendeine andere Partei zu wählen. 3/ tandfonline.com/doi/abs/10.108…

Wir wissen überdies, dass die AfD nicht aus kurzfristigem Protest gewählt wird, sondern weil Menschen mit ihrem Programm übereinstimmen. Und zwar sowohl mit Blick auf Migration und Gesellschaft als auch hinsichtlich Populismus und Demokratie. 4/

Dass nicht allein die Ampel die Zustimmung zur AfD auslöst, lässt sich schon daran sehen, dass ähnliche Parteien in anderen Ländern ähnlich erfolgreich sind. Das spricht für strukturelle mehr denn für situative Gründe. 5/

Bleiben wir aber bei dem derzeitigen Umgang mit der AfD. Wenn die Partei in Umfragen zulegt oder bei Wahlen gewinnt, entdecken die anderen Parteien, das Thema Asyl und Migration erneut für sich. 6/

Wie reagieren sie darauf? Zum einen bespielen sie das Thema selbst, halten also das Thema, das vor allem der AfD zugeschrieben wird, in den Medien präsent. 7/

Zum anderen versuchen sie sich an einer Strategie, die den Wählern der AfD auf halbem Weg entgegenkommen will. Inhaltlich fordern Sie eine restriktive Migrationspolitik, sprachlich rüsten sie auf und stellen Migranten als Problem im Kontext von Kriminalität dar. 8/

Damit erhalten die anderen Parteien exakt das Bild von Migranten aufrecht, mit dem die AfD gewinnt, denn es entspricht genau dem, wie ihre Wähler über Migration denken. 9/

Etwas abstrakter kann man es so ausdrücken: Sie nehmen das AfD Thema, und bereiten damit den Diskurs so, dass die AfD wiederum als diejenige dasteht, die die anderen Parteien vor sich her treibt. Und das tut sie tatsächlich. 10/

Oder sehr zugespitzt gesagt: die anderen Parteien signalisieren, dass die AfD eigentlich Recht habe und ihr Mittel nun darin besteht, den Leuten ein bisschen von dem zu geben, was die AfD fordert. 11/

Nun stellen Sie sich einmal vor, sie wählen die AfD wegen des Migrations-Themas. Dann stellen Sie sich vor, dass plötzlich Friedrich Merz von „kleinen Paschas“ spricht oder Olaf Scholz davon, jetzt im großen Stil abschieben zu müssen. 12/

Was tun Sie dann als AfD-Wähler? Wählen Sie jetzt CDU oder SPD? Oder sagen Sie sich: wenn die anderen das jetzt auch sagen, hat die AfD wohl recht und dazu noch eine ganze Menge Einfluss. Beides wird die AfD Ihnen auch sagen. Und mit Letzterem hat sie sogar recht. 13/

Ein anderer Aspekt, der missverstanden wird, ist der, dass es nicht um reale Vorfälle geht und auch nicht um reale Zahlen von Asylbewerbern. Den Wählern der AfD geht es um ihre gefühlte Wahrheit des Zustands und der Identität der Gesellschaft und ihre eigene Position darin. 14/

Es geht um Hegemonie. Hegemonie der eigenen Kultur, der eigenen Ethnie, auch der Macht des eigenen Geschlechts in der Gesellschaft. V.a. Männer, die die AfD wählen, fühlen sich nicht nur von Migranten, sondern auch von Viren, Menschen, Frauen, selbst Veganern angegriffen… 15/

… weil all diese Ihnen immer wieder vor Augen führen, dass die Gesellschaft sich verändert. Und das seit langem. Das führt bei vielen zu Unsicherheit und bei einigen zum hervor brechen von rassistischen, sexistischen etc. Einstellungen. 16/

Das hat wenig mit realen Reaktionen auf Migrationspolitik zu tun, und zwar unabhängig davon, wie man selbst inhaltlich dazu steht. Aber mit Blick auf die AfD-Wähler geht es um das, was man oft gefühlte Wahrheit nennt. 17/

Und in diesem Kontext sind Asylzahlen und terroristische Angriffe nur weitere Bestätigungen dessen, was sie seit langem empfinden: die Gesellschaft ist im kulturellen Zerfall, und sie selbst müssen sich verteidigen. 18/

Das bedeutet auch: eine restriktive Migrationspolitik, egal, wie gut oder schlecht sie in der Sache ist, wird die Wähler der AfD kaum erreichen. Denn deren Wut setzt schon da an, wo sie Menschen mit Migrationsgeschichte, oder queere Menschen im Stadtbild sehen. 19/

Ihr Problem ist nicht die aktuelle Migration und nicht die aktuelle Asylpolitik, ihr Problem ist die offene Gesellschaft als solche. Und die Partei, die Ihnen deren Abschaffung verspricht, ist die AfD. /20

Solange Menschen, die sie nicht als “normal” empfinden, ihnen in Schulen, Betrieben, Geschäften und dem Stadtbild begegnen, genießt die AfD einen Vorteil, denn sie verspricht ihnen immer die „Rückkehr“ zu einem Zustand, den sie ersehnen. /21

Nicht umsonst hat die Forderung nach Remigration, also Deportationen, im Umfeld der AfD, bei deren Wählern nicht für einen Skandal gesorgt. Weil es für sie kein Bedrohungszenario ist, sondern ein erstrebenswertes Ziel. /22

Es ist also, und natürlich mag ich mich irren, nicht damit zu rechnen, dass die Versuche der anderen Parteien, in der Migrationspolitik einen härteren Kurs einzuschlagen, die AfD kurzfristig schwächen werden. Im Gegenteil. /23

Was die anderen Parteien aber betreiben, ist die Bereitung dessen, was man umgangssprachlich „Nährboden“ nennt: ein Diskurs, in dem die Themen, Positionen und Sprache der AfD weiter etabliert werden. Gewinner am Ende: vermutlich die AfD. 24/

Ich werde an anderer Stelle noch
etwas dazu sagen, wie man mit den langfristigem, strukturellen Gründen umgehen könnte, die die Wahl von Parteien wie der AfD befördern. Long story short: es gibt womöglich keine kurzfristige Strategie, die die AfD nennenswert schwächt. 25/25