Eine Lektion zur Rhetorik der Politischen Oekonomie.
Und ein etwas laengerer Thread.
Ich beginne mal mit einem relativ engen Punkt: angenommen, man will die privaten Investitionen aus irgendeinem Grund stimulieren (eventuell auch zuungunsten von Konsum, was ich aggregierte Nachfragestrukturpolitik nenne), dann ist die Investitionspraemie ein probates Mittel.
Sie scheint mir relativ einfach zu administrieren zu sein (was @D_Langenmayr bestaetigt hat), da die Informationen ohnehin in der Steuerbilanz vorliegen. Man braucht Massnahmen gegen die von @christianbaye13 befuerchteten Karuselleschaefte, dass man also dieselben
Maschinen immer wieder kauft und verkauft. Die Empirie ist da (siehe dazu auch @D_Langenmayr ). Und die Economics ist auch klar: es werden intertemporale Preise zugunsten von Investitionen gesteuert.
Ich finde es auch plausibel, dass Deutschland vermutlich einen privaten Investitionsstau hat (siehe auch Draghi Report). Dafuer mag es ein Sammelsurium von Gruenden zu geben: Verzerrungen im Steuerrecht, in der Corporate Governance, vllt. immer noch keine richtigen CO2-Preise
selbst in der Industrie, geo- und innenpolitische Unsicherheit, Buerokratie, etc. Vermutlich von allem ein bisschen, genau werden wir das nicht wissen koennen.
Wenn man diese Praemissen teilt, dann wird man die Investitionspraemie zumindest fuer diskussionswuerdig halten.
Oder eben ein verwandtes Instrument, wie grosszuegigere Abschreibungsregeln, etc. Das sind dann aber Detail- und Fachdiskussionen, die man gerne fuehren kann, aber darueber sollte man sich dann nicht in die Wolle kriegen.
Wenn man so darueber nachdenkt, dann gilt nicht unbedingt, dass man (1) den privaten Investitionsstau ursachenadaequat bekaempft (es kann sich um eine Symptombekaempfung handeln), (2) dass man genau die eine Friktion benennen kann, warum das Marktergebnis nicht optimal ist,
(3) das man das optimale Instrument gefunden bzw. alle Opportunitaetskosten schon beruecksichtigt hat, (4) dass man klar sagen kann, ob eine eventuelle Investitionsschwaeche nun konjunkturell oder strukturell bedingt ist.
Um es ganz klar zu sagen: das sind alles wichtige Fragen, die Brot und Butter Fragen fuer OekonomInnen darstellen. Und fuer Wirtschaftspolitiker darstellen SOLLTEN.
Aber: man kann diese Fragen oder Probleme auch als politische Rhetorik einsetzen, wenn man eine vorgeschlagene wirtschaftspolitische Massnahme von vorneherein ablehnen moechte. Das mache ich auch mitunter. Dann tweete ich auch rotzig: Was ist die Friktion?
Was ist nun zu den einzelnen Punkten, die ja alle irgendwo in der Debatte gestern vorkamen, zu sagen?
Ursachenadaequatheit: Natuerlich, wenn man eine klare, einfach zu beseitigende Ursache hat und benennen kann, go ahead.
Und natuerlich ist es ja auch nicht so, dass OekonomInnen, die der Investitionspraemie positiv gegenueberstehen, sagen wuerden: nee, baut bloss keine Buerokratie ab.
Nur: manchmal ist Symptombekaempfung alles was man hat.
Sei es, weil die Ursachen komplex sind, weil es andere Constraints fuer deren Beseitigung gibt, etc.
Man kennt ja auch aus der Medizin genug Therapien, die nur Symptome adressieren und wir als Patienten nehmen die gerne, wenn es nichts Besseres gibt.
In der Wirtschaftspolitik ist es letztlich aehnlich. Wuerde man das alles vorher immer gerne in einem komplexen, gut kalibrierten Modell mit all den Constraints durchspielen wollen? Ja klar, waere gut.
Marktergebnis nicht optimal. Ja, auch hier gilt: Waere besser, wenn wir nur eine Friktion haetten, die man klar benennen und dann entweder beseitigen oder zumindest optimale Symptombekaempfung machen kann. Aber oft ist das, glaube ich, nicht moeglich, so dass dieser Einwand
dann oft von denen genommen wird, die einfach aus ideologischen Gruenden wollen, dass der Staat nichts tut.
Es ist auch immer richtig zu fragen, was man mit den Haushaltsmitteln noch machen koennte (Opportunitaetskosten).
Also hier konkret: Unternehmenssteuern senken, statt Investitionen gezielt foerdern. Auch das erstere duerfte Investitionen anreizen (solange bestimmte Bedingungen erfuellt sind), aber wohl auch Unternehmer- und Unternehmenskonsum (ich verwende hier die Termini oekonomisch,
nicht im Sinne der VGR). Will man das? Hier kommt es eben auf die Problemdiagnose an: Investitionsschwaeche oder allgemeine Fehlallokationen und Standortschwaeche.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Mitnahmeeffekt bei der Investitionspraemie hoch sind.
Dass also viele Unternehmen Geld vom Staat bekommen werden, die ohnehin investiert haetten. Und vielleicht sind die auch zu gross. Vielleicht kann man aber auch noch mal drueber nachdenken, wie man die reduzieren kann, ohne es zu kompliziert zu machen?
Nebenbemerkung: ich haette ja sogar nichts dagegen, dass man die Einkommensteuer (und damit zunaechst einmal auch die Unternehmenssteuer der Personengesellschaften) in der Spitze erhoeht, als Teil der Finanzierung notwendiger oeffentlicher Investitionen (plus Schulden).
Das waere fuer mich die notwendige Nachfragestrukturpolitik. Denn: auch Personengesellschaften haben seit ein paar Jahren die Option, sich fuer Gewinne, die im Unternehmen bleiben und zB fuer Investitionen verwendet werden, wie Kapitalgesellschaften besteuern zu lassen.
Heisst Optionsmodell und darueber wird gar nicht so oft geredet. Die oft auch von OekonomInnen behaupteten negativen Auswirkungen einer Einkommensteuererhoehung auf Investitionen speziell der Personengesellschaften sollten also gar nicht eintreten.
Und zusaetzlich kann man dann mit den erhoehten Steuereinnahmen der Reicheren (denn wessen Konsum will man sonst etwas daempfen), ja auch Investitionspraemien finanzieren.
Schliesslich: es kann sein, dass es schlicht politische Constraints gibt, die nicht alle theoretisch moeglichen Massnahmen auch faktisch moeglich machen. Technisch gesprochen: die Suche nach optimalen Massnahmen geht im politischen Prozess immer nur ueber eine Untermenge.
Natuerlich sollten hier OekonomInnen nicht zu schnell die Flinte ins Korn werfen und sich jeden politischen Bullshit verkaufen lassen. Es gehoert geradezu zu unserer Aufklaerungspflicht gegenueber der Oeffentlichkeit, politischen Bullshit als solchen zu entlarven.
Aber es gibt auch reale politische Constraints und da auf Purismus zu bestehen, kann dann auch etwas von sinnlosem Kopf-an-die-Wand-hauen haben.
Schliesslich: Konjunktur- versus Strukturschwaeche. Finde ich fuer diese Frage ehrlich gesagt nicht so relevant. Wird vermutlich beides ein bisschen sein. Aber was folgt daraus fuer die Investitionspraemie? Unklar. Und wie gesagt: keine OekonomIn, die pro Investitionspraemie ist,
wird ja gegen Buerokratieabbau und die Loesung anderer struktureller Probleme sein.
Vielleicht nicht das Wichtigste am heutigen Tage, aber da ich drauf angesprochen wurde, will ich diesen Tweet kurz kommentieren. Was kann ich auch sonst tun?
@JuliaKloeckner hat viel Kritik einstecken muessen, aber zunaechst einmal spricht sie von einem richtigen Zusammenhang: sinkende Nachfrage fuehrt idR zu sinkender Inflation.
Aber: Erstens ist das der Punkt einer restriktiven Zinspolitik durch die EZB: Nachfrage zurueckdraengen, um Produktionsmoeglichkeiten und Nachfrage wieder in Einklang zu bringen. NB: dazu ist, wie wir gesehen haben, KEINE Arbeitslosigkeit noetig (wie viele befuerchtet hatten).
Hat etwas gedauert (ja, ich habe tatsaechlich einen Job), aber ich hatte ja einen Erklaerthread zum Zusammenhang zwischen dem Budgetdefizit des Staates und Inflation versprochen. Das will ich nun nachholen. Dieser etwas verunglueckte Tweet von @schieritz soll dabei nur als
Aufhaenger dienen. Mir geht es hauptsaechlich um die existierende oekonomische Theorie. Ich werde zu zeigen versuchen, dass es eigentlich nahezu Konsens ueber ganz verschiedene Modelle hinweg ist, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Budgetdefizit und Inflation gibt.
Bereits im einfachsten Keynesianischen ISLM-ADAS Modell (Makro 101) wirkt ein erhoehtes Budgetdefizit nachfragewirksam, entweder in dem es direkt Staatsnachfrage erhoeht oder private Nachfrage (Ricardianische Aequivalenz gelte annahmegemaess nicht).
Ganz wichtig: “As recently as a few months ago, Democratic Senate candidates were running far ahead of Mr. Biden, a sign of the president’s weakness. Ms. Harris, by comparison, is running roughly on par with her party’s Senate contenders in the three states.”
Das lässt vermuten, dass es wirklich einen negativen Biden Effekt gab in diesen Staaten und dass der Fundamentalwert für Team Blau dort deutlich höher liegt.
Abgesehen davon, dass hier nicht mal Äpfel mit Birnen verglichen werden, versuchen wir es doch wieder mal mit einer internen Konsistenzprüfung: Warum sagen eigentlich Tankie-Ole und Co den Palästinensern nicht:
“Ergebt euch um des Friedens willen! Ihr wollt ja auch nur einen Nationalstaat, der dann Böses tut. Ich verstehe schon, dass Amerika und Israel imperialistische Mächte sind, aber, let’s face it, die sind nun mal stärker als ihr. Also: um das Leiden zu beenden, unterwerft euch.”
Das wäre doch dann konsistent mit seiner Ukraineposition. Und vor allem: den dann unterworfenen Palästinensern selbst im schlimmstmoeglichen Apartheidsstaat Israel ginge es vermutlich unendlich besser als den Ukrainern unter russischer Besatzung.
Nachdem jetzt alle auf @nymoen_ole drauf gehauen haben, vor allem moralisch (was ich gut verstehen kann), nachdem manche sogar mich nach Ole gefragt haben (🤔), möchte ich hier mal einen analytischen Punkt machen:
Ich behaupte: Oles Position läuft letztlich auf einen radikalen Individualismus hinaus, der die Bedingung der Möglichkeit jeglicher Gesellschaft, nicht nur die von Nationalstaaten, negiert. Ole hat folgenden rhetorischen Kniff angewandt: er hat die, die ihn kritisierten als
Nationalisten bezeichnet. Natürlich mögen nur wenige Menschen noch Nationalisten sein, also kamen sie ins Schwimmen. Das war aber nur ein rhetorisches Mätzchen. Nun gut, dann bin ich eben ein Nationalist, und zwar in folgendem Sinne:
Dies! Und übrigens das von JD Vance auch. Wie bekommt man die Weltbilder von Peter Thiel und Patrick Deneen zusammen? Neofeudalismus! Die mit einer Scholle verbundenen lokalen mehr oder weniger ökonomisch suffizienten Communities werden von Feudalherren wie Musk und Thiel
in ihrem außerhalb der Scholle stattfindenden Alltag total beherrscht. Politisch und militärisch abgesichert von einem “Kaiser” Vance, der aber keineswegs unabhängig von den Feudalherren/Kurfürsten ist. Vielleicht sind diese Feudalherren nach außen sogar erst mal friedlich.
Nur für wie lange? Auch noch unklar: werden echte Bischöfe wieder als Fürstbischöfe in den Kreis der Feudalherren treten (wie das Deneen und Vermeulen, Vance?, eventuell gerne hätten) oder ist das vorbei? Angesichts von Thiel und Musk kann man es vielleicht sogar hoffen, dass