Thread zum US Wahlergebnis von gestern Abend, mit dem ich mich auch von hier fuer eine Weile verabschieden moechte. Ich lese weiterhin meine DM, freue mich ueber Kontakt via Text/Email, aber ich brauche hier einfach mal eine kleine Pause. #USWahl #USAElections2024
Und wer weiss? Vielleicht ueberkomme ich ja die Sucht und den Narzissmus und kann ganz wegbleiben.
Es soll gehen um: Was ist gestern passiert? Was bedeutet das fuer die USA, die Parteienlandschaft, Wahlkampf, Sozialwissenschaft, Deutschland und Europa.
Es war ein klares und eindeutiges Ergebnis. Trump wird moeglicherweise sogar den National Vote gewinnen, der Wahlablauf war effizient und zuegig ohne groessere Zwischenfaelle (so viel zur angeblichen Dysfunktionalitaet in den USA, die gerne uebertrieben wird).
Man kann also nicht sagen: Electoral College (ja, ich weiss, da gibt es eine Lucas Critique), Waehlerunterdrueckung, etc.
Nein, Trump und die trumpistische GOP waren, von einigen ganz extremen Beispielen wie dem Gouverneurskandidaten in North Carolina abgesehen) populaer.
Harris konnte in keinem Staat, in keinem Wahlkreis wirklich ueberzeugen. Hinzu kommt ein sehr klarer Sieg der Republikaner bei den Senatswahlen (wie stark der genau ist, steht noch nicht fest), der das Gewicht im Senat deutlich rechts vom Zentrum verorten wird.
Ich gehe auch davon aus, dass das Repraesentantenhaus am Ende knapp rot sein wird, aber da haben die Demokraten noch deutlich besten abgeschnitten, was auch alle Erklaerungen von republikanischen Manipulationen ueber Gerrymandering eher unplausibel macht.
Es stimmt also, was Elon Musk getweetet hat: der amerikanische Waehler hat Trump und seiner Partei ein klares Mandat gegeben.
Das bedeutet nun auch: Trump und seine Partei hatten noch nie soviel Macht. 2016 ist kein Vergleich. Das muss man sich gerade in Deutschland klar machen.
Welche politischen Auswirkungen koennte das nun haben? Ueber Projekt 2025 wurde bereits viel geschrieben. Komplettaustausch der wichtigsten Beamten nicht nach Faehigkeit, sondern nach Loyalitaet. Ein massiver Schock fuer die Qualitaet der US Institutionen.
Durch die grosser Mehrheit im Senat wird auch das amerikanische Bundesjustizwesen massiv rechts-konservativ. Man muss damit rechnen, dass Justices Alito und Thomas ihren milliardaersfinanzierten Ruhestand antreten werden, Justice Sotomayor wegen Krankheit ausfaellt,
so dass wir mit der Nachbesetzung durch bis zu drei junge rechtskonservative Richtern eine Zementierung des obersten Gerichtshofes auf Jahrzehnte hinaus sehen koennten. Wem Citizens United, das Immunity Urteil und die Abschaffung von Roe v Wade nicht gefielen, fuer den
wird es jetzt sehr, sehr ungemuetlich. Wie gesagt: auf Jahrzehnte hinaus. Ich sehe auch nicht, wo der Senat in absehbarer Zeit wieder blau werden koennte. Das spricht eventuell dafuer, dass man sich auf republikanischer Seite ueberlegt, den Filibuster ganz abzuschaffen.
Das ist um so wahrscheinlicher als republikanische Zentristen und Institutionalisten dort (man denke etwa an Susan Collins) nicht mehr die pivotale Stimme haben werden.
Nun zu den Gruenden: Die wahlentscheidenden Gruende aus den Nachwahlbefragungen waren Wirtschaft, Migration, Abtreibung, Demokratie. Und ganz sicher nicht die Aussenpolitik. Russland, Ukraine, etc. das interessiert in den USA nur noch eine Elite.
Migration war fuer die Demokraten ein Verliererthema. Demokratie ist letztlich auch ein Elitenthema. Formale Prozesse und Institutionen interessieren die meisten Menschen nicht, wenn es wirtschaftlich fuer sie nicht laeuft.
Daraus muss endlich eine wichtige Lehre gezogen werden: die beste Demokratiepolitik ist eine inklusive Wirtschaftspolitik. Ich glaube nicht fuer eine Sekunde, dass Trump die liefern wird, aber hier ging es um Wechsel. Denn die Wirtschaft laeuft einfach fuer die meisten Amerikaner
nicht gut (sie ist nicht die Hoelle, als die Trump sie gezeichnet hat, aber dennoch). Fuer mich war die Graphik des Abends, als CNN zeigte, dass es fast in keinem Wahlkreis Reallohngewinne seit der Trump-Aera gegeben hat.
Hier dazu meine eigene Graphik:
Ja, die USA hatten ein solides reales BIP Wachstum nach der Covid-Krise (blaue Linie). Viel, viel besser als Europa und natuerlich Deutschland. Aber die Realloehne steigen erst seit 2022 wieder und sehr langsam.
Die Teilnahme am Arbeitsmarkt (tuerkise Linie) hat sich nie auf das Vorkrisenniveau erholt, und der Anteil der Arbeitseinkommen am gesamten Einkommen (lila Linie) ist in der gesamten Biden-Aera gesunken. Er war - am Ende - nicht der Praesident der Mainstreet.
Was ist mit Abtreibung? Ironischerweise ist genau das passiert, was Trump vorhergesagt hat: die Staaten, auch sehr konservative Staaten, hatten das schon vorher und haben das auch gestern selbst in die Hand genommen.
Arizona, Missouri und Montana haben jetzt recht liberale Abtreibungsregelungen in ihren Verfassungen, Nebraska hat in etwa nun deutsches Abtreibungsrecht, in Florida und South Dakota waren die Waehler so konservativ, dass Abtrebungen faktisch verboten sind.
Es spielte also fuer die nationale Wahl keine Rolle mehr. Und die Trump-GOP wird gut beraten sein, das Fass aus Uebermut jetzt nicht wieder aufzumachen, das koennte spaeter dann doch zum Problem fuer sie werden.
Also zusammengefasst muss man einfach sagen: It remains the economy, stupid!
Und Demokratie muss leistungsfaehig fuer die Mehrheit sein, sonst ist sie uninteressant fuer die Mehrheit.
Wichtige Lektionen gerade fuer Deutschland.
Wer hat versagt? Klar, es ist sehr frueh, und man sollte da natuerlich tiefer drueber nachdenken, aber einige Punkte kann man vielleicht schon machen.
1) Wieder mal die Demoskopie, aber ich wuerde sagen die gesamte elitaere Sozialwissenschaft. Also auch ich, denn ich habe
einen Trumpsieg zwar fuer moeglich gehalten, aber nicht in dieser Klarheit und Eindeutigkeit. Das hatten so nur wenige, nicht besonders gut beleumundete Umfrageinstitute auf dem Schirm.
2) Die privaten Medienunternehmen. Deren Profitgier, hier passt das Wort mal, hat zB die NYT jegliche journalistische Ethik und Ethos vergessen lassen und zu einem Sane-washing von Trump gefuehrt, das einfach unethisch war.
3) Die demokratische Partei und deren Fuehrung. Alle. Und einerseits bin ich froh, dass die jetzt mal alle weg sind (das ist ja das Gute an Demokratien), andererseits ist zur Zeit nicht klar, wie die demokratische Partei dadurch genesen und gesundet herauskommen soll.
Es wird absurde, hochideologische Fluegelkaempfe geben, ohne dass ich absehen kann, wo das enden wird. ZB wird die demokratische Partei einen Weg finden muessen, Maenner wieder anzusprechen. Das tut sie derzeit offensichtlich nicht.
Vor allem eben Maenner, die ein traditionelles Maennerbild haben. Also als stabiler, vielleicht auch einziger Einkommensgewinner einer Familie. Wie das allerdings moeglich sein soll in einer modernen, liberalen Partei, sehe ich nicht.
Auf der anderen Seite: MAGA hat nun ein fuer alle Mal gezeigt, dass es Wahlen gewinnen kann. Es gibt nun innerhalb der GOP kein Argument mehr, zurueckzugehen zu einem traditonelleren Konservatismus. Trump mag bald verschwinden (NB: vielleicht sogar schon in deutlich weniger als
vier Jahren, denn JD Vance hat Ambitionen), aber der Trumpismus, der Rechtspopulismus, der Rechtsautoritarismus wird bleiben in den USA, vermutlich solange ich lebe. Die GOP ist nun eine starke, eine konsolidierte Partei.
4) Das amerikanische Buergertum. Die Leute im Trump-Orbit, unsere neuen Overlords, haben keinen Rest von Buergerlichkeit mehr.
5) Der traditionalle Haeuserwahlkampf. Da habe ich mich auch beirren lassen (von traditonellen Republikanern). Die persoehnliche Ansprache vor Ort. Haben die Dems zu zigtausenden gemacht. Die Reps hatten das so gut wie nicht.
Aber alles egal: Wahlkampf wird in den sozialen Medien, auf Twitter, auf TikTok, in Podcasts, Radiosendungen gemacht und entschieden. Das ist meiner Meinung nach jetzt endgueltig klar.
Fuer wen wird es besonders schlimm werden? Schwangere Frauen in bestimmten roten Staaten, Minderheiten, undokumentierte Immigranten. Besonders gut wird es fuer (Tech-)Oligarchen, die USA steht nun vor einem Neofeudalismus.
Noch mehr mache ich mir Sorgen um Europa und Deutschland. Diese stehen vor verschiedenen Doom-Loops: 1) Kuemmern sie sich nun selbst um ihre Verteidigung und zahlen 4-5% des BIP fuer ihre Sicherheit?
Wie soll das gehen bei den anspruchsvollen Sozialstaaten, die sich Europa wuenscht, und sich bisher nur leisten konnte, weil sie free-rider der amerikanischen Sicherheitspolitik waren? Wie soll auch noch die Klimatransformation finanziert werden?
Selbst wenn man also jetzt endlich Verteidigung in die eigene Haende naehme, waere das wegen der unpopulaeren Massnahmen immer mit politischen (Kuerzung von Sozialausgaben) oder oekonomischen Kosten (Steuererhoehungen) verbunden. Das macht diese Politik permanent prekaer, wenn
sie doch eigentlich glaubwuerdig sein muesste.
2) Viel wahrscheinlicher ist aber doch, gegeben die gegenwaertige politische Situation in Europa, dass Europa seine Sicherheitspolitik nicht anpasst, jedenfalls das alles entscheidende Westeuropa, und stattdessen jetzt die
entsprechenden Regierungen Sonderdeals mit Trump und Putin schliessen werden. Das wird die europaeische Solidaritaet endgueltig zerstoeren, worin Trump massive Unterstuetzung von China und Russland bekommen wird.
3) Migration durch Kriege und ausfallendem Klimaschutz. Man muss sich nun klarmachen, dass die Welt auf eine massiv hoehere Temperatur zurast, was massive Fluechtlingsstroeme ausloesen wird. Die Konflikte in Osteuropa, Afrika und dem Nahen Osten werden, eben auch durch
Russland und China geschuert (und durch Trump nicht geloest), voll auf Europa durchschlagen. Die USA werden nun ihre Grenze militarisieren. Das geht schon in Europa physisch nicht so einfach. Und auch hier gibt es einen Sprengsatz fuer die europaeische Solidaritaet.
Eine liberale Demokratie ist angesichts dieser Bedrohungen immer prekaer, und letztlich koennen nur Parteien wie die AfD und andere Rechtspopulisten in Europa ein mehr oder weniger stabiles grenzmilitarisiertes Gleichgewicht erhalten.
4) All das wird zum weiteren wirtschaftlichen Abstieg Europas beitragen, die beschriebenen Abwaertsspiralen immer schlimmer, und damit zu Konflikten erst politischer und sozialer Natur, aber in fernerer Zukunft vielleicht auch militaerischer Natur fuehren. Wer weiss das schon?
Ach ja: es gab noch nie ein besseres Fenster fuer Xi sich jetzt Taiwan zu holen. Wegen der Demographie in China schliesst sich dieses Fenster schon langsam. Er muss Trump nur einen guten Deal anbieten. Was koennte das sein?
Ganz unmittelbar schlimm wird das Ganze natuerlich fuer die Ukraine und seine so heroischen und sympathischen Menschen. Sie werden im Spiel der Grossmaechte jetzt unter den Bus geworfen. Andere Osteuropaer sind auch gefaehrdet. Mir tun die so unfassbar leid.
Zusammenfassung: es ist wirklich nicht uebertrieben, diese Wahl als die "most consequential election of my lifetime" zu bezeichnen. Es wird sich alles durch sie aendern.
Danke fuers Lesen bis dahin. Bis dann mal. RB
@threadreaderapp unroll
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
Eine Lektion zur Rhetorik der Politischen Oekonomie.
Und ein etwas laengerer Thread.
Ich beginne mal mit einem relativ engen Punkt: angenommen, man will die privaten Investitionen aus irgendeinem Grund stimulieren (eventuell auch zuungunsten von Konsum, was ich aggregierte Nachfragestrukturpolitik nenne), dann ist die Investitionspraemie ein probates Mittel.
Sie scheint mir relativ einfach zu administrieren zu sein (was @D_Langenmayr bestaetigt hat), da die Informationen ohnehin in der Steuerbilanz vorliegen. Man braucht Massnahmen gegen die von @christianbaye13 befuerchteten Karuselleschaefte, dass man also dieselben
Vielleicht nicht das Wichtigste am heutigen Tage, aber da ich drauf angesprochen wurde, will ich diesen Tweet kurz kommentieren. Was kann ich auch sonst tun?
@JuliaKloeckner hat viel Kritik einstecken muessen, aber zunaechst einmal spricht sie von einem richtigen Zusammenhang: sinkende Nachfrage fuehrt idR zu sinkender Inflation.
Aber: Erstens ist das der Punkt einer restriktiven Zinspolitik durch die EZB: Nachfrage zurueckdraengen, um Produktionsmoeglichkeiten und Nachfrage wieder in Einklang zu bringen. NB: dazu ist, wie wir gesehen haben, KEINE Arbeitslosigkeit noetig (wie viele befuerchtet hatten).
Hat etwas gedauert (ja, ich habe tatsaechlich einen Job), aber ich hatte ja einen Erklaerthread zum Zusammenhang zwischen dem Budgetdefizit des Staates und Inflation versprochen. Das will ich nun nachholen. Dieser etwas verunglueckte Tweet von @schieritz soll dabei nur als
Aufhaenger dienen. Mir geht es hauptsaechlich um die existierende oekonomische Theorie. Ich werde zu zeigen versuchen, dass es eigentlich nahezu Konsens ueber ganz verschiedene Modelle hinweg ist, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Budgetdefizit und Inflation gibt.
Bereits im einfachsten Keynesianischen ISLM-ADAS Modell (Makro 101) wirkt ein erhoehtes Budgetdefizit nachfragewirksam, entweder in dem es direkt Staatsnachfrage erhoeht oder private Nachfrage (Ricardianische Aequivalenz gelte annahmegemaess nicht).
Ganz wichtig: “As recently as a few months ago, Democratic Senate candidates were running far ahead of Mr. Biden, a sign of the president’s weakness. Ms. Harris, by comparison, is running roughly on par with her party’s Senate contenders in the three states.”
Das lässt vermuten, dass es wirklich einen negativen Biden Effekt gab in diesen Staaten und dass der Fundamentalwert für Team Blau dort deutlich höher liegt.
Abgesehen davon, dass hier nicht mal Äpfel mit Birnen verglichen werden, versuchen wir es doch wieder mal mit einer internen Konsistenzprüfung: Warum sagen eigentlich Tankie-Ole und Co den Palästinensern nicht:
“Ergebt euch um des Friedens willen! Ihr wollt ja auch nur einen Nationalstaat, der dann Böses tut. Ich verstehe schon, dass Amerika und Israel imperialistische Mächte sind, aber, let’s face it, die sind nun mal stärker als ihr. Also: um das Leiden zu beenden, unterwerft euch.”
Das wäre doch dann konsistent mit seiner Ukraineposition. Und vor allem: den dann unterworfenen Palästinensern selbst im schlimmstmoeglichen Apartheidsstaat Israel ginge es vermutlich unendlich besser als den Ukrainern unter russischer Besatzung.
Nachdem jetzt alle auf @nymoen_ole drauf gehauen haben, vor allem moralisch (was ich gut verstehen kann), nachdem manche sogar mich nach Ole gefragt haben (🤔), möchte ich hier mal einen analytischen Punkt machen:
Ich behaupte: Oles Position läuft letztlich auf einen radikalen Individualismus hinaus, der die Bedingung der Möglichkeit jeglicher Gesellschaft, nicht nur die von Nationalstaaten, negiert. Ole hat folgenden rhetorischen Kniff angewandt: er hat die, die ihn kritisierten als
Nationalisten bezeichnet. Natürlich mögen nur wenige Menschen noch Nationalisten sein, also kamen sie ins Schwimmen. Das war aber nur ein rhetorisches Mätzchen. Nun gut, dann bin ich eben ein Nationalist, und zwar in folgendem Sinne: