Oder warum Elon Musks „Free Speech“ keine Meinungsfreiheit ist. Ein Versuch. Ein 🧵
In einer liberalen Gesellschaft wird die Mehrheitsmeinung mit Wahrheit im Sinne der realitätsnahen Wiedergabe von Geschehnissen gleichgesetzt. Am Tag ist es heller als in der Nacht, im Sommer wärmer als im Winter. Triviale Dinge sind intersubjektiv direkt erfahrbar.
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Doch bei historischen Wahrheiten ist das nicht möglich, hier muss sich eine liberale Demokratie auf Zeitzeugen und Aufzeichnungen eines Ereignisses verlassen, deren Gehalt von unabhängigen Historikern bewertet und anschließend im Schulsystem gelehrt und in Medien verbreitet werden. Die Wissenschaft fungiert als Wächterin der Wahrheit und als Korrektiv.
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Die entstehende Meinungslandschaft ähnelt körpereigenen Zellen. Abweichungen von der Mehrheitsmeinung (Mutationen) kommen vor, sind aber zufällig auftretend, durchmischen sich mit der Masse und weisen kein Muster auf. „Gesunde“ Meinungsfreiheit ist also vielfältig und individuell.
Hier denken Selberdenker noch selber.
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Hier kann Austausch stattfinden, da grundsätzlich dasselbe Fundament an Fakten anerkannt wird und lediglich die Gewichtung oder Interpretation individuell abweicht. Fallweise können Unterschiede in der Bildung oder einfach Fehler zur abweichenden Meinung führen. Das ist durch Faktencheck oft aufzuklären, allerdings nur im kleinen Rahmen.
Dieses Korrektiv versagt, wenn die Wahrheitsbewirtschaftung nicht stattfindet. Wie bei einer Infektion.
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Führt der Staat keine Wahrheitsbewirtschaftung durch, wie bei liberalen Demokratien oft der Fall, können externe Akteure versuchen, Wahrheit umzuschreiben, indem sie die Mehrheitsmeinung bestimmen, und so fremd-staatliche Interessen wahrnehmen.
Merke: die Mehrheit hat immer recht, egal, was der echte Vertrag aus dem 18 Jhdt. sagt, den nur niemand mehr kennt und schon gar nicht liest.
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Hier eine Darstellung einer intakten Wahrheitsbewirtschaftung, Ereignisse, die durch Berichte und Aufzeichnungen und unabhängiger historischer Bewertung zu Fakten werden, die anschließend mit Schulbildung und Medien zu vermitteln sind. Daraus entsteht der gesellschaftliche Konsens der "Wahrheit".
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Die fremden Akteure ergänzen dazu Fakten (BLAU) mit Lügen (ROT) und schaffen Halbwahrheiten, weil sie von der aktuellen Mehrheitsmeinung nicht zu sehr abweichen und leichter aufgenommen werden.
Die violette „Zelle“ unterscheidet sich noch nicht zu sehr von den übrigen, um aufzufallen. Langsam verschiebt man die Meinung von Blau zu Rot.
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Träger dieser Halbwahrheiten oder „alternativen Wahrheiten“ sind Medien, die entweder von den Akteuren selbst betrieben, speziell dafür gekauft oder beeinflusst wurden.
Warum hat wohl Elon Musk „Twitter“ gekauft? Weil es in seiner Produktpalette so gut zu Tesla passt?
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Die Verfechter von „Free speech“ meinen, X wäre ein gutes Beispiel für Meinungsfreiheit. Aber das ist so nicht richtig, man darf zwar alles schreiben, aber die Gewichtung der Themen obliegt dem Betreiber, es gibt sogar Listen von Schlagworten, die zu einem Deboost führen.
Dann kommen die Bots ins Spiel. Selbst wenn der Algorithmus nicht wertete, allein die fehlenden Gegenmaßnahmen gegen bezahlte Bots führen zu einer Verzerrung der Mehrheitsmeinung.
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Ja, man lässt jeden zu Wort kommen.
Dumm nur, wenn 100 Bots aus dem russischen Hinterzimmer lauter schreien als ein einzelner Mensch.
Meinungsfreiheit heißt nicht, dass am Ende die Meinung zur Mehrheitsmeinung und damit zur Wahrheit wird, die dem Betreiber gefällt oder dem, der am lautesten schreit oder am meisten bezahlt.
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Die rote Infektion schreitet fort. Einziges Mittel wäre, die Quelle der Falschinformation zu schließen. Und das wird nun von Vertretern der „Meinungsfreiheit“ als Zensur ihrer Meinung verstanden, die keine eigene Meinung ist.
Denn sie ist kaum Resultat von tatsächlichen Ereignissen und eigener Betrachtung, sondern gesteuerte Eingaben, die Dritte über eigene Kanäle als Fakten bezeichnen.
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Wenn ein Herr Ganser über die Osterweiterung der NATO und Genschers/Bakers Notizen spricht und sie als festes Versprechen deutet, lässt er doch geflissentlich die zweite Hälfte des Dokuments weg, wo ausdrücklich erwähnt wird, es sei lediglich ein unverbindlicher Vorschlag?
Wer im Saal hätte es gemerkt? Der Stachel sitzt. Denn diese Falschinformation (fortan: Meinung) ist nicht mehr von Mensch zu Mensch auflösbar, sie müsste im Ansatz unterbunden werden.
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Die Verfolgung von gezielt und massenhaft eingebrachten Unwahrheiten in Medien muss darum dringend und schon im Ansatz stattfinden. Das hat nichts mit Zensur von Meinungen zu tun sondern mit Rückführung auf tatsächliche Fakten, die ausschließlich zur Meinungsbildung herangezogen werden sollten. Was sonst?
Über welche Brücke würden Sie gern fahren, jene, die von einem System-Ingenieur mittels Schlafschaf-Mathematik berechnet wurde? Oder jene, wo ein Querdenker die Balken nach Gefühl ausgewählt und geweiht hat und befand, das fühle sich stimmig an?
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Ein Versuch einer Metaebene zu aktuellen Ausführungen von Varwick.
Die Struktur ähnelt den üblichen Posts von BSW Abgeordneten und Influencern. Einleitend wird eine Behauptung des nahenden Zusammenbruchs in den Raum gestellt. Eine Evidenz dazu sucht man vergebens.
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Wissenschaftler sollten immer begründen, zumindest in verkürzter Form, worauf ihre Schlussfolgerungen fußen, auch wenn die Leserschaft diese nicht unmittelbar nachvollziehen kann, aus Mangel an Quellen oder fachlicher Expertise.
Unterlassung wirkt jedenfalls überheblich.
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Nach der unbewiesenen Behauptung folgt eine Stimulation des Belohnungssystems und Aufwertung der eigenen Person und Haltung, für subjektiv empfundene Ungerechtigkeit.
"Ich habe es schon immer gesagt!"
Mit Seitenhieb auf aggressive und unfaire Gegner. Da ist viel Kränkung.
Warum ich #varwick für parteiisch halte und die Haltung anderer unter Kritik stehender Personen zB. Prof. Mangott von seiner trennen möchte.
Schauen wir uns den Aufbau seines jüngsten Posts zu #Selenskyis Friedensplan an. Er zerfällt klar in drei Abschnitte I - III.
Ein 🧵
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In Abschnitt I spricht er von klarer Sachlage, was die Aussichtslosigkeit eines ukrainischen Sieges angeht. Tatsächlich steht er in Widerspruch zu vielen Kollegen. Verwendung defensiver Floskeln wie
"ich komme eben zu einer anderen Schlussfolgerung"
macht es nicht besser.
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Statt sich der Debatte zu stellen, die er selbst einfordert, grenzt er KollegInnen aus, nennt sie indirekt inkompetent.
Tatsächlich sind seine Argumente oft vom Typ "trust me, bro/sis". Dass er selbst kaum validierte, hochwertige Artikel vorzuweisen hat, passt ins Bild.