Am Dienstag wurde der österreichische Staatsanwalt Michael Schmid zum Präsidenten von Eurojust gewählt. Ein 🧵 zur Erklärung dieser großartigen #EU Institution, die der Kooperation in Strafsachen einen Quantensprung beschert hat. 1/n
Früher mussten Staatsanwälte ein #Rechtshilfeersuchen (zum Beispiel zur Vernehmung eines Zeugen im Ausland) mühsam über Oberstaatsanwaltschaft, Justizministerium, Außenministerium, ö. Botschaft im anderen Land, dortiges Außenministerium, Justizministerium oder GeneralStA, 2/n
und in dem ersuchten Land die Hierarchie hinunter, bis der Zeuge vernommen wurde. Dann nahm das Vernehmungsprotokoll den gleichen Weg zurück. Das dauerte sechs Monate, wenn es schnell war. Mitunter bis zu zwei Jahre. 3/n
Gleiches galt für Kontoöffnungen, Sicherstellung eines Dokuments oder die ganz banale Übermittlung einer Strafregisterauskunft. Wir waren im Postkutschenzeitalter, die Aufklärung von (auch schwersten) grenzüberschreitenden Verbrechen war extrem erschwert. 4/n
Um 2000 begann ein Modernisierungsschub, ausgehend von der EU. Die wichtigste Säule war die EU-Rechtshilfeagentur @Eurojust: Jedes Land entsendet Staatsanwälte nach Den Haag die gemeinsam in einem (ziemlich coolen) Gebäude sitzen. 5/n
Braucht jetzt ein zB französisches Gericht ein früheres Urteil aus Österreich, kommt nicht mehr die Postkutsche aus Paris: der Richter ruft das franz. Büro bei Eurojust an; die gehen einen Stock hinauf ins ö. Büro, das ö. Urteile online abrufen kann. Kurz darauf ist es in F! 6/n
Das gleiche funktioniert auch bei anspruchsvolleren Maßnahmen wir Telefonüberwachungen, Observationen oder Hausdurchsuchungen. Die Kommunikation über Eurojust beseitigt Sprachbarrieren (alles auf Englisch) und beschleunigt Rückfragen. 7/n
In komplexeren Fällen organisiert Eurojust Koordinationstreffen für die Ermittler aus den an einem Fall beteiligten Ländern. Wenn die Beweise in länger laufenden Ermittlungen noch schneller ausgetauscht werden sollen, gibt es ein Joint Investigation Team. 8/n
Müssen in mehreren Ländern gleichzeitig Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durchgeführt werden, richtet Eurojust ein Coordination Center ein. Neue Hinweise (etwa auf ein bisher unbekanntes Drogenlager in einem anderen Land) führen sofort zu neuen Hausdurchsuchungen. 9/n
Jedes Nationale Büro hat je nach Auslastung einen oder mehrere Mitarbeiter, Österreich hat vier StAInnen und zwei Assistenten. Der Leiter eines Büros ist das “Nationale Mitglied” (NM). Alle NM zusammen bilden das College als Organ der Selbstverwaltung. 10/n
Neben EU-Mitgliedstaaten entsenden andere Länder Verbindungsstaatsanwälte, etwa die Schweiz, Serbien oder Georgien. Die machen denselben Job wie die NM, sind aber nicht an der Verwaltung beteiligt. 11/n eurojust.europa.eu/sites/default/…
Der Präsident vertritt Eurojust nach außen und hat im Executive Board eine stärkere Rolle in der Verwaltung der Agentur. Er ist auch eines der wenigen Sprachrohre für alle Justizsysteme auf europäischer Ebene gegenüber anderen EU Institutionen und der Öffentlichkeit. 12/n
Andere Regionen der Welt beneiden uns Europäer zurecht um diese unglaublich effiziente Agentur. Etwa in S-O-Asien wird seit ein paar Jahren an einem ähnlichen Modell gearbeitet. 13/n
Es gibt noch viel mehr über Eurojust zu sagen. Kurz: Nach mehr als 25 Jahren in der ö. Justiz und davon vier Jahren als NM bei der Agentur will ich hier transportieren, wie bedeutend sie für die Bekämpfung grenzüberschreitender schwerer Kriminalität ist. 14/n
Das nun ein Österreicher zu ihrem Präsidenten gewählt wurde, ist nicht nur eine Anerkennung der Person Michael Schmid, sondern auch der Rolle, die unser kleines Land bei internationaler Zusammenarbeit leisten kann. 15/n
Eine Kritik als Ergänzung: die Berichterstattung über diese Wahl und die Bedeutung der Institution hätte schon ein bissl intensiver ausfallen können. Meine geschätzte @DiePressecom zB hat bis heute noch keine Zeile darüber geschrieben. /fin
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Jetzt einmal abgesehen vom Fall T.: Bei Sexualdelikten gibt es eine Bandbreite von gerade eben strafwürdig bis absolut unerträglich. Für Außenstehende wird die Einordnung der Strafe auch dadurch erschwert, dass sie Details nicht kennen. 1/n
Es ist auch richtig, dass die Medien diese Details nicht schildern. Aber nur durch die genaue Kenntnis dieser (grauslichen) Details kann das Gericht die Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens festsetzen. 2/n
Daraus entsteht das Dilemma, dass die abstrakte mediale Beschreibung (“Kinderschänder”) mitunter überzogene Erwartungen weckt. Die Menschen reagieren dann wütend auf zB bedingte Strafnachsicht. 3/n
Für alle, die immer um ihre #Freiheit zittern: kleiner Thread zur #Gurtenpflicht. 1974 wurde sie - zunächst noch sanktionslos - eingeführt. Obwohl ich erst acht war, kann ich mich gut an die heftigen Diskussionen erinnern. 1/n
In der Öffentlichkeit wurde genau so heftig gestritten, wie in der Familie. Der Gurt berge ein Gesundheitsrisiko (Druck auf den Oberkörper), bei Unfällen könne er sogar noch gefährlicher sein (Strangulation) und ansonsten bringe er nichts. 2/n
Besonders heftig wurde kritisiert, dass der Staat unsere #Freiheit einenge: Wenn ich mich gegen den Gurt entscheide, sei es auch meine freie Entscheidung, Verletzungen oder den Tod zu riskieren. 3/n
Experten und Expertinnen bei den Staatsanwaltschaften: ein kurzer Erklärungsfaden: Traditionell gab es nur Staatsanwälte (=Juristen mit Richterausbildung und -prüfung), Kanzleipersonal (~Sekretariat; Beamte und Vertragsbedienstete) und 1/n
Bezirksanwälte (=bei der StA ausgebildete Fachkräfte ohne Studium, die vor dem Bezirksgericht die StA vertreten). Für eine Expertise (IT, Rechnungs-, Bank- oder Finanzwesen, etc.) musste die StA immer externe Gutachter beauftragen. 2/n
Diese Gutachter sind nach wie vor für die Verhandlung gut und nötig, haben aber im Ermittlungsverfahren Nachteile, weil sie eben nicht „im Haus“ der StA sind. Im gesamten Justizressort (ohne Justizanstalten) gab es aber keine Stellen für angestellte Experten. 3/n
Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten Staatsanwalt und nicht Mitglied in einer politischen Partei. Ich habe auch kein Naheverhältnis zu einer solchen. Das ist mMn nicht mit unserem Beruf vereinbar. Gegen Politiker haben wir genau so objektiv zu ermitteln, 1/x
wie gegen alle anderen, die Couleur ist mir dabei wurscht. Unser Berufskodex (wie der der Richterschaft) empfiehlt dementsprechend die Enthaltung von jedweder parteipolitischen Tätigkeit und fast alle halten sich daran. Bis auf eine Handvoll hat niemand ein Parteibuch. 2/x
Den Blödsinn mit der „roten Verschwörung“ bei der StA höre ich seit Jahren und lese ihn leider auch regelmäßig in einer (!) Zeitung. Es bleibt aber ein Blödsinn. Natürlich sind auch wir #Staatsanwälte (oft) politisch interessierte Menschen. 3/x