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Merkel stellt sich in ihren politischen Memoiren einen Persilschein aus. Steinmeier ist trotz der krachend gescheiterten Russland-Politik immer noch Bundespräsident. Machen wir uns ehrlich: Unsere unterentwickelte Fehlerkultur gefährdet Europas Sicherheit. Ein etwas längerer 🧵/1 Angela Merkel (CDU), ehemalige Bundeskanzlerin, bekommt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen. Quelle: Michael Kappeler/dpa
Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: es geht mir im Folgenden nicht darum, dass deutsche Spitzenpolitiker für Fehlentscheidungen Abbitte leisten müssen. Merkel und Steinmeier brauchen auch nicht den Gang nach Canossa anzutreten. Es geht um etwas wichtigeres /2 Mathilde von Canossa (um 1046–1115) war eine der mächtigsten Adligen in Italien und herrschte über weite Gebiete der Toskana und der Lobardei © Donizo/ Wikimedia Commons
Helene Bubrowski hat in ihrem jüngsten Buch darauf hingewiesen, dass “Fehlentscheidungen und andere Verfehlungen” in unserem politischen System nicht vorgesehen sind, und das “obwohl sie Teil davon sind”. Daher das ständige “vertuschen, abstreiten, aussitzen” /3 Image
Bubrowski empfiehlt uns in ihrem Schlusskapitel, aus Fehlern zu lernen. Wie aber soll eine neue Fehlerkultur in Deutschland entstehen, wenn Spitzenpolitiker wie Merkel und Steinmeier nicht bereit sind, selbst offenkundige Fehlentscheidungen der Vergangenheit offen einzuräumen? /4
Wer eindeutige Fehlentscheidungen nicht einräumt beschädigt damit das Vertrauen in die Politik, und damit auch in die Demokratie. Offene Gesellschaften haben gegenüber Autokratien den Vorteil, dass Verbesserungslernen eher möglich ist. Aber gilt das auch für die Außenpolitik? /5
In meinem jüngsten Buch habe ich darauf hingewiesen, dass im politischen Berlin nur ein sehr kleiner Personenkreis Einfluss auf außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen hat: Kanzler und deren Berater, Außenminister, sowie Industrie-Vertreter mit Zugang zum Kanzleramt /6 Image
Wenn nur sehr wenige Personen an den internen Beratungen zu außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen beteiligt sind, kann Gruppendenken leicht zu blinden Flecken führen. So werden problematische Risikoeinschätzungen wahrscheinlicher /7
Es ist aber leider auch nicht so, dass während der Merkel-Ära (2005-21) unsere Denkfabriken in Berlin etwa ein ständiger Stachel in Außenminister Steinmeiers Seite waren. Finanzielle Abhängigkeiten sind meines Erachtens hierfür verantwortlich (z.B. DGAP->AA, SWP->Kanzleramt) /8
Von Seiten der Zivilgesellschaft wurde von unabhängigen Wissenschaftlern und einzelnen Journalisten immer mal wieder Kritik an dem deutschen Appeasement gegenüber Putin oder Nordstream2 laut. Aber solche Kritik perlte am “Maschinenraum der Macht” (Kanzleramt) einfach ab /9
Wenn Merkel und Steinmeier selbst im Rückblick keine Fehler einräumen wollen, verhindern sie damit die Lösungssuche in der Gegenwart. Mit einer solchen Realitätsverweigerung werden Status Quo-Bewahrer in die Lage versetzt, die als nötig erkannte Zeitenwende zu torpedieren /10
Es darf uns daher nicht verwundern, dass @Bundeskanzler Scholz bis heute an Denk- und Redefiguren festhält, die einer realistischeren strategischen Kultur in Deutschland diametral entgegenstehen (z.B. “bloß keine Eskalation”) /11
Aus kybernetischer Sicht kann man sich 🇩🇪 so vorstellen: wir haben Akteure, die miteinander und ihrer Umwelt interagieren. Als Demokratie und offene Gesellschaft sollte es sich um komplexes und adaptives System handeln. Aber Zweifel an der Anpassungsfähigkeit sind angebracht /12 Image
In dem 1966 erschienen Buch "Politische Kybernetik" hat Karl W. Deutsch (1912-1992) zwischen vier politischen Systemen unterschieden: 1. Selbstzerstörerische Systeme, 2. Lebensunfähige Systeme, 3. Lebensfähige Systeme, und 4. Sich selbst entwickelnde und erweiternde Systeme /13 Image
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Ob sich ein politisches System erneuern kann hängt bei Karl W. Deutsch davon ab, ob Agenten zur kritischen Selbstreflexion in der Lage sind ("konstruktives Lernen") oder ob Lernblockaden zu Engpässen und einem eventuellen Kollaps führen (er nennt das "pathologisches Lernen") /14
Karl W. Deutsch schreibt auch von Macht, verstanden als die Fähigkeit, seinen Willen durchzusetzen. Bei Machtmenschen wie Merkel und Steinmeier war das nicht anders. Ihnen ging es darum, die Neo-Ostpolitik gegenüber Russland unverändert fortzusetzen /15
Und hier kommen wir zu dem zentralen Knackpunkt. Macht, so Karl W. Deutsch, bedeutet auch die Fähigkeit, nicht lernen zu müssen. Wer Macht hat und sie in seinem Sinne nutzt, kann auch ganz bewusst konträre Sichtweisen ignorieren, die das eigene Handeln in Frage stellen /16
Merkel und Steinmeier haben mit ihrer verfehlten Energie- und Russland-Politik die Sicherheit Deutschlands und Europas gefährdet. Sie sind jetzt in der Pflicht, den Schaden so weit es geht zu minimieren. Dafür ist ein Eingeständnis von Fehlern von zentraler Bedeutung /17
Das Eingeständnis von Fehlern ist nicht nur wichtig für die Entwicklung einer neuen Fehlerkultur. Damit würden Merkel und Steinmeier auch die Entwicklung einer realistischeren strategischen Kultur in Deutschland ermöglichen. Letztere brauchen wir, um den Frieden zu sichern /Ende
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