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Dec 7, 2024 21 tweets 3 min read Read on X
Diejenigen, die in einem deregulierten Markt ohne staatliche Vorgaben und Beschränkungen die meisten Profite machen, haben natürlich ein Interesse, diese Vorgaben loszuwerden.

Dieselben Vorgaben und Beschränkungen schützen zugleich diejenigen, die auf einem solchen … /1
… Markt, auf dem das Recht des Stärkeren regiert, die Schwächeren und Schwächsten sind.

Das historische Beispiel zeigt, was passiert, wenn sich die ökonomisch Stärksten mit ihren Interessen durchsetzen. Die wenigen, die am meisten haben, haben dann den meisten politischen …/2
… Einfluss, während die Schwächsten auch am schwächsten repräsentiert sind.

Diejenigen Institutionen, über die der Souverän – das gesamte Volk eines Staates, nicht nur ein selbstdefinierter ‚Mittelstand‘ von ‚Bürgern‘ – die Ambitionen seiner wohlhabendsten Mitglieder … /3
… kontrollieren und dem Gemeinwohl zuführen kann, sind die funktionalen Aufgabenbereiche des Staates: Ministerien, die über die Einhaltung bestimmter Grenzbedingungen wachen und der Verwaltungsapparat, der die prinzipielle rechtliche Dokumentation besorgt. /4
Entsprechend haben diejenigen, die von einer Deregulierung profitieren, ein Interesse daran, diese staatliche Kontrolle aller – die über das parlamentarische System bestimmt wird – einzudämmen.

Bisher gab man sich damit zufrieden, Lobbyisten einzusetzen und Politiker:innen …/5
… zu unterstützen, die sich für Lobbyismus – d. h. Interessenvertretung – beeinflussbar zeigen. Wem es nur um den eigenen Profit und Vermögenserhalt geht, der nutzt jede sich ihm bietende Möglichkeit – von Politikerbeeinflussung bis Steuerschlupflöchern. /6
Natürlich ist ein so umfangreiches und komplexes System wie eine republikanische Demokratie vom Zuschnitt der BRD auf unzählige Weisen unzulänglich, suchen alle möglichen Akteure nach Möglichkeiten, vom Staat selbst zu profitieren. Ein moderner Staat ist alles andere als … /7
… perfekt.

Es ist nicht neu, dass die vermögenden Wenigen versuchen, sich den Staat zur Beute zu machen – diese Versuche gibt es, seitdem es moderne ökonomische Systeme gibt.

Es ist aber aktuell, dass sich diese Vermögenden nicht mehr mit Lobbyismus zufrieden geben. /8
Gestützt durch die Rhetorik, die in Krisen immer floriert, setzen einflussreiche, mächtige, reiche Individuen – oder deren Aushängeschilder – nun um, was in der Fantasie der libertären politischen Utopie seit den 1950ern vor sich hin gekocht hat oder stehen unmittelbar davor: /9
Den Einfluss aller auf das Mittel der eigenen Profitmaximierung – den deregulierten Markt – staatlicherseits zu beschneiden. Und dabei geht es nicht um das, was sich der Normalbürger unter ‚Markt‘ vorstellt, wo Güter gehandelt werden: /10
Es geht um eine soziale Revolution. Bildung, Gesundheit, Umwelt – all die Bereiche, in denen der Staat auf der Bremse steht, um die Effekte eines unkontrollierten Marktes auf die Schwächsten zu verhindern oder zumindest abzumildern, stehen nun zur Diskussion. /11
Die libertäre Rhetorik stellt die staatliche Kontrolle aller, weil sie mittelbar ist, über den parlamentarischen Umweg funktioniert, als bloße unnötige Bürokratie dar. Hinter dieser Bürokratie stecken beliebige Feindbilder – und man kann natürlich auch an der real … /12
… existierenden Bürokratieproblematik, staatlichen Steuerverschwendung usw. anknüpfen.

In Deutschland war einer der größten Coups der Marktliberalen die Durchsetzung der ‚Schuldenbremse‘. Deswegen war einer der zentralen Spins der Liberalen der ‚Schuldenberg‘ des Staates …/13
… und ist aktuell diese ‚Schuldenbremse‘ das, worauf sich Liberale vor allem beziehen.

Diese ‚Schuldenbremse‘ hat den Staat als Investitionskonkurrenten wenn nicht in manchen Fällen ausgeschaltet, so doch erheblich behindert.

Das führt zu einem Double-Bind: /14
Investiert der Staat in die Bereiche, die brach liegen, verschwendet er das Geld der zukünftigen Generationen. Tut er es nicht, behindert seine Bürokratie offenbar die effiziente Umsetzung seiner Aufgaben.

Mit diesem Argument wird der Staat zur Geisel der libertären … /15
… Aktivisten. Er liefert egal was er tut immer mehr Evidenz dafür, dass ein grundlegender Systemwechsel Not tut.

Die Parteien haben dabei von der AfD gelernt, dass es im Zeitalter des Internets nicht mehr auf Sachverhalte ankommt, um Mehrheiten zu gewinnen. /16
Es kommt auf Ressentiments an. Mit Ressentiment machen auch die politisch ausgerichteten Zeitungen und Zeitschriften Auflage und Klickzahlen, um ihren Konzernvorgaben zu genügen.

Kultiviert wird deswegen der Gegensatz von ‚rechts‘ und ‚links‘, die jeweils als bedrohliche … /17
… Buhmänner an die Wand gemalt werden. Denn: Es geht um die Stimmen der meisten. Auch die Vermögenden und ihre Parteien wissen, dass sie eine zumindest demokratische Legitimation benötigen.

In all dem Chaos, das diese Rhetorik anrichtet, muss man sich aber klar vor Augen …/18
… halten: Trotz aller negativen Aspekte schützen die staatlichen Institutionen die vielen Machtlosen vor den wenigen mit Macht. Und sie sollen dazu überredet werden, diesen Schutz aufzugeben – und sich selbst polizeilich zu disziplinieren. /19
Genau das bedeutet das Plädoyer für einen ‚schlanken Staat‘, in dem nur ‚Militär, Justiz und Polizei‘ sowie das – angepasste – Rechtssystem regiert:

Ein deregulierter Spielplatz für einen Markt, auf dem das Recht des Stärkeren regiert – und der von einem Staat … /20
… – also einem Gemeinwesen! – geschützt wird, der nach Gutdünken nach den Interessen dieser Stärkeren eingestellt werden kann – und in dem die Schwächeren und Schwächsten der Willkür dieser Stärksten ausgeliefert sind. /21 fin

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