Thread by @JustusBender

Diese Woche haben sich @MarkusLanzTV und @rumeliobserver sehr freundlich und zugleich erschrocken über mein 2017 erschienenes Buch "Was will die AfD?" geäußert. Mir werden sogar hellseherische Fähigkeiten nachgesagt! Was ist passiert? Ein viel zu langer Thread. 🪡

In einem Kapitel meines Buchs wollte ich zeigen, wie die AfD auch mit Ergebnissen weit unter 50 Prozent zu Regierungsverantwortung kommen könnte. Also schrieb ich ein fiktives Szenario, das @rumeliobserver hier zusammenfasst:

Auch @MarkusLanzTV liest Passagen aus meinem Buch in seinem Podcast mit @RichardDPrecht vor: ab Minute 39. Das war im Buch natürlich nur Fiktion: Wer redet heute noch von Poggenburg und wann gab es Schwarz-Grün unter Merkel? ABER:podcasts.apple.com/de/podcast/lan…

Der eigentlich Grund, warum diese Fiktion aus dem Jahr 2017 (2016 wurde sie geschrieben) heute gruselig ist, ist ein anderer. Ich habe damals den Worst Case skizziert. Eine Entwicklung, in der eine aufsteigende AfD die schrumpfenden anderen Parteien in instabile Bündnisse zwingt.

Und in eine Lage, in der sie zugleich den starken Druck verspüren, sich gegeneinander zu profilieren. Ob Ampel oder R2G ist dabei egal. Es sollte eine Situation sein, in der sie bestraft werden, wenn sie streiten, und bestraft werden, wenn sie ununterscheidbar sind. Also immer.

Ich erinnere mich noch, wie wenig man die Prozentzahlen verschieben musste, um eine solche Situation zu schaffen. Ich habe dann einen islamistischen Terroranschlag herbeifantasiert. Warum? Weil das der Worst Case ist in dieser Situation.

Wenn wir uns also wundern, warum ein Journalist im Jahre 2016 (Merkel, Groko, Flüchtlingskrise, AfD 13 Prozent) einen gescheiterten Kanzler Olaf Scholz prophezeien konnte, Anschläge und die Aussicht auf eine sehr schwere Regierungsbildung, dann ist die Antwort einfach:

Wir leben den Worst Case. Alles, was schon 2016 an Entwicklungen da war, hat sich genau so fortgesetzt. Die deutsche Demokratie ist in einer historischen Krise. Die AfD unterscheidet sich fundamental von den Le Pens und Melonis in Europa.

Die AfD ist verantwortungslos, orientierungslos und opportunistisch. Le Pen sagt, die AfD sei eine Partei, die nicht geführt werde. Wo niemand führt, trägt auch niemand Verantwortung. Meloni und Le Pen kommen aus dem Extremismus und bemühen sich darum, staatstragend zu sein.

Die AfD macht das genaue Gegenteil. Sie kommt aus der Mäßigung und driftet immer weiter ab. Und während sie so driftet, belohnen die Wähler sie immer mehr. Es stimmt, dass die anderen Parteien dringend das Migrationsproblem lösen müssen. Das entzieht der AfD den Treibstoff.

Aber es gibt noch etwas anderes: Die Wähler spüren ihre Verantwortung nicht. Sie zocken, sie taktieren, sie belohnen Radikalismus, sie bestrafen Lösungsversuche. Sie wählen so, dass nichts mehr geht. Die Frage ist: Wer sagt es Ihnen? Niemand.

Wählerbeschimpfung (Politiker), Leserbeschimpfung (Zeitung), Publikumsbeschimpfung (TV) kommt nicht gut an. Das fällt also aus. Und wenn der Demoskop anruft, sagt man eben: Ich bin für seriöse Parteien nicht mehr erreichbar, Tschüss.

Etwas ist in unserem Verantwortungsgefühl für unseren Staat kaputt gegangen, bei allen. Wir schauen den demokratischen Parteien zu, wie sie herumzappeln und kommentieren hämisch von der Seitenlinie, warum sie alles falsch machen. Die AfD ist nur ein Symptom, das daraus entsteht.

Und was hat je geholfen? Als es Großdemos gegen die AfD gab, von ganz normalen Leuten. Da haben AfD-Wähler gemerkt, dass Nachbarn, Freunde, Kollegen sauer waren. Nur da ging das Verantwortungsgefühl kurz an, die AfD sank. Von solchen Momenten braucht es mehr!