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Jun 12 22 tweets 5 min read Read on X
Ein paar Gedanken zum Manifest der 'SPD-Friedenskreise'. Die Einleitung beginnt mit einer pflichtschuldig anmutenden Verurteilung des russischen Angriffskrieges. Die Verletzung der Menschenrechte im Gaza wird angemahnt, wobei weder die Hamas noch Israel erwähnt werden, wer diese Image
Rechte also konkret verletzt, bleibt im Abstrakten. Sofort nach dieser geopolitischen Einleitung, zielt das Manifest dann aber auf die eigentliche Bedrohung, die vermeintliche Militarisierung der Politik in Deutschland und Europa. Russland, dass im 4. Jahr einen
völkerrechtswidrigen Angriffs- und Eroberungskrieg gegen seinen Nachbarn führt, - der größte Landkrieg in Europa seit 1945 -, dass systematisch Kriegsverbrechen begannen hat, dass regelmäßig zivile Ziele in der Ukraine bombardiert, wird hier nicht als sicherheitspolitische
Bedrohung anerkannt, welche die Erhöhung der deutschen und europäischen Verteidigungsausgaben überhaupt erst begründet hat. Die sicherheitspolitische Zeitenwende wird nicht als Reaktion auf Russland akzeptiert, geschweige denn, dass eine Analyse des russischen Neoimperialismus Image
und der Diktatur Putins erfolgt. Stattdessen wird mit Verweis auf die späten 1980er und das Ende des Kalten Krieges ein vermeintlicher ideologischer Irrweg kritisiert, der überlegene politische Lösungskonzepte wie Rüstungskontrolle und 'gemeinsame Sicherheit' ablehnt. Dieses Image
historische Narrativ ist nicht nur verkürzt, denn es blendet die massive amerikanische Aufrüstung in der 1. Hälfte der 1980er aus, welche die sowjetische Wirtschaft massive unter Druck setzte, sondern die manifesten Unterschiede zwischen der Status Quo Macht Sowjetunion unter
einem reformwilligen Gobartschow und der revisionistischen Macht Russland unter dem Imperialisten Putin werden völlig ausgeblendet. Die Tatsache, dass Russland z.B. den Vertrag über die Konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) gekündigt hat, wird mit keinem Wort erwähnt, denn
das würde das eigene friedenspolitische Narrative untergraben. Die Abrüstungs- und Entspannungspolitik der 1970er Jahre wird dabei benutzt, um mehr oder weniger eine moralische Äquivalenz zwischen Russland und dem Western zu konzentrieren, der Ukrainekrieg Russlands wird dabei Image
faktisch gleichgesetzt mit dem Irakkrieg der USA, sowie der militärischen Intervention des Westens im Kosovo. Die USA und ihre Verbündeten haben anders als Russland nie systematisch militärische Gewalt gegen Zivilisten eingesetzt, auch wenn 'Kollateralschäden' im Krieg gegen
den Terror zu oft billigend in Kauf genommen wurden. Im Narrativ des SPD-Manifests sind aber Irak und Ukraine, Saddam Hussein und Volodymyr Selenskyj quasi zwei Seiten einer völkerrechtswidrigen Medaille. Der 'regime change' der USA, ist nach dieser Lesart nicht besser als die
'special military operation' Russlands, das vier ukrainische Provinzen und die Krim annektiert hat. Vollends in der Dimension der politischen Realitätsverweigerung kommt das Manifest dann an, wenn es von 'vertrauensbildenden Maßnahmen' spricht, die man mit Russland zu entwickeln Image
habe. Die Kriegsziele Russlands (die Annexion ukrainischen Territoriums, die Schwächung oder Zerstörung der Ukraine als eigenständigem Staat), die ideologische Feindschaft gegenüber der ukrainischen Demokratie, ihrer gewählten Regierung und dem Modell des freien Westens, sowie Image
die Brutalität der russischen Autokratie und ihre Verfolgung politischer Dissidenten und Andersdenkender wir schlicht ignoriert zugunsten einer fantastisch anmutenden Serie von Vorschlägen über gemeinsamen Katastrophenschutz und Cybersicherheit. Soll das THW in Russland
helfen ukrainische Drohnenschäden zu beseitigen? Soll der BND mit dem FSB und der GRU zusammenarbeiten, deren Cyberaktivitäten ('Fancy Bear') seit Jahren mit Desinformations- und Sabotageaktionen versuchen die westliche Demokratien zu untergraben? Die Naivität dieser
Vorschläge wird nur von der intellektuellen Armut der politischen Analyse Russlands übertroffen, die schlicht nicht stattfindet. Danach wendet sich das Manifest der deutschen Verteidigungspolitik zu. Auch hier folgt zunächst ein pflichtschuldiger Satz zur Stäkung der Bundeswehr Image
um sofort danach jedweder tatsächlichen Stärkung militärischer Macht zur strategischen Abschreckung eine Absage zu erteilen, finanziell, materiell, und intellektuell. Das Manifest verliert kein Wort über die Bedrohungsanalyse Deutschlands und der NATO, dass Russland bis 2029
zum Angriff auf einen Mitgliedstaat in der Lage ist, diese Einschätzung, u.a. geteilt von Verteidigungsminister Pistorius und Generalinspekteur Breuer wird mit einem Federstrich und dem Verweis auf die vermeintliche konventionelle Unterlegenheit schlicht beiseite gewischt. Image
Die substantielle Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben wird damit ebenso abgelehnt, wie die Unterzeichner einst das 2%-Ziel der NATO bekämpften, mit den gleichen Argumenten, und den gleichen Appellen zu Verständigung, Diplomatie und Verhandlungen, als wären auf das
Budapester Memorandum und Minsk 1 und 2 niemals Krim, Butscha und Bakhmut gefolgt. In dieser einseitigen Ablehnung der Logik militärischer Abschreckung, - die übrigens im Gegensatz die Ostpolitik Brandts und Bahrs stets unterfütterte -, wird dann folgerichtig alles abgelehnt, Image
was nicht den eigenen Entspannungs- und Abrüstungsfantasien entspricht. Dieses Manifest ist mit seiner Absage an jegliche intellektuelle Auseinandersetzung mit der Natur der russischen Expansion und Aggression im 21. Jahrhundert verhaftet in einem nostalgischem Weltbild
in dem die vermeintlichen politischen Wahrheiten der 1970er und 1980er Jahre nie an Gültigkeit verloren haben. Zur Beantwortung geopolitischer Herausforderungen in der Gegenwart haben die Verfasser nichts anbieten als die Wiederholung von historischen Narrativen, die für sie
selbst und ihre politischen Überzeugungen und Karrieren identitätsstiftend waren. Dazu passt, dass die Unterzeichner dieses Manifests fast ausschließlich, entweder politisch irrelevant geworden sind, nie wirklich relevant waren, oder schlicht im Ruhestand sind. Möge es so bleiben Image

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Jun 13
Man trägt bei uns ja immer gerne mantrahaft vor, es gäbe keine militärischen Lösungen von Konflikten. (Was empirisch und historisch Unsinn ist). Sollte es jetzt der israelischen Luftwaffe gelungen sein, die iranische militärische Führungsriege quasi zu enthaupten, und das
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Jun 11
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Mar 9
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Feb 23
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Nov 18, 2024
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