Chan-jo Jun 🇺🇦 Profile picture
Rechtsanwalt und FA für IT-Recht, Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes.

Sep 26, 2022, 12 tweets

In der Sache #AchGut ./. Land Baden-Württemberg wegen Äußerungen des @beauftragtgg liegt mir jetzt der Beschluss des VG Stuttgart vor. Beide Seiten sind Gewinner und Verlierer zu 50% und das verdient eine genauere sachliche Analyse.
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Der Tweet wurde insoweit verboten, als
1. den #AchGut Autoren die Vertretung rassistischer und demokratiefeindlicher Positionen unterstellt werden und
2. aufgerufen wird, dass die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft enden müsse.

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Erlaubt sei hingegen:
3. Die Begrüßung der Entscheidung von Audi keine Werbeanzeigen zu schalten
4. Die Bezeichnung von Prof. Dr. Stefan Homburg als Verschwörungsmythologen
5. Die Behauptung, dass das Portal #AchGut @BlumeEvolution + @ZentralratJuden persönlich verhöhnt habe.

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Begründung:
a) @BlumeEvolution handelt für den Staat. Öffentliches Recht daher anwendbar
b) Neutralitätsgebot aus Art. 21 GG besteht nicht. Blume darf Positionen beziehen.
c) Es besteht jedoch Sachlichkeitsgebot, d.h. Wertungen müssen auf Tatsachen berufen.

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Das Gericht hat im Eilverfahren keine Artikel gesehen, aus dem sich Rassismus oder antidemokratische Positionen ergeben.

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Wohl aber wurde dem Gericht Material vorgelegt, aus dem sich für das Gericht die unbestrittene Folgerung ergebe, Homburg sei ein Verschwörungsmythologe. (Homburg war hier nicht Partei und das Urteil bedeutet nicht zwingend, dass er von jedermann so bezeichnet werden darf).

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Die Billigung der erfolgten Audi-Entscheidung sei verhältnismäßig und vom Aufgabenbereich des @beauftragtgg umfasst, sagt das Verwaltungsgericht. Ein "irgendwie geartetes" Neutralitätsgebot bestehe nicht.

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Billigen erlaubt, missbilligen verboten. Ungewöhnlich ist, dass das Gericht demgegenüber die Kritik der Finanzierung von Verschwörungsmythen durch Wirtschaft dagegen für einen unzulässigen Eingriff hält. Da wird entweder eine feine Linie gezogen oder ein Widerspruch verkannt.

9/
Klargestellt wird, dass sich @BlumeEvolution als Privatperson mit seinem Privataccount uneingeschränkt äußern darf. Dort wären die Meinungsäußerungen wohl zulässig.

10/
Ernsthaft ließ #AchGut vortragen, dass die Aussage

„Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden" jeder Grundlage entbehre.

Dazu befand das Gericht, es beruhe auf einem "zutreffenden Tatsachenkern".

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Gegen die Entscheidung können beide Seiten innerhalb von 2 Wochen Beschwerde zum VGH einlegen. Dort könnte neben den Rechtsfragen auch noch geklärt werden, ob die Vorwürfe zum Rassismus oder zur Verschwörung richtig bewertet wurden.

12/
Dass gegenüber Medien kein Neutralitätsgebot gilt, hatte ich im Juli schon in einem Video dargelegt, gegen das AchGut gerichtlich vorging. Nicht wegen der Inhalte, sondern der Hintergrundbebilderung. Jetzt wo das VG meine Position bestätigt, brauchen wir das Video nicht mehr.

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