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Historiker mit Schwerpunkt auf sowjetischer und deutscher Zeitgeschichte sowie Architekturgeschichte. Forsche (noch) zu „Kyjiw im Krieg. 1937-1947“

May 5, 2023, 11 tweets

Katja Hoyer hat ein apologetisches Buch über die #DDR geschrieben - und bedient im Interview mit @jana_hensel Narrative, die wir sonst von Verharmlosern dieser Diktatur kennen, bzw. von Leuten, die von einer neuen Diktatur raunen.

Einige Anmerkungen
1/
zeit.de/2023/19/katja-…

Bemerkenswert ist schon der Begriff "Experiment DDR". Das suggeriert, die Entwicklung dieses Regimes sei irgendwie offen gewesen. Experimente kann man abbrechen. Das hatten die "Versuchsleiter" in Ost-Berlin (und in Moskau) natürlich nie vor. Was sie als "unideologischen"
2/

Ansatz anpreist, entspricht somit bereits im Kern der SED-Ideologie - oder präziser: deren Propaganda.
Dementsprechend leugnet sie, dass die DDR das Kind Stalins war. Die Vorstellung, er habe diesen Staat irgendwie als Belastung empfunden, ist völlig lächerlich: Der sowjetische

Diktator hat die DDR als wichtigen militärischen und politischen Vorposten gesehen, von dem aus er sein Imperium absichern und den Westen unterminieren wollte. Stalins Bedeutung muss in Hoyers Darstellung minimiert werden, weil der Terrorcharakter der ersten Jahre der DDR sonst

klar hervorträte. Ementsprechend fühlt sich Hoyer berufen, auch den Terror an der innerdeutschen Grenze zu relativieren, indem sie eine geradezu widerliche Täter-Opfer-Umkehr betreibt, wenn sie auf einen erschossenen Grenzer verweist und damit Flüchtlinge als (potentielle) Mörder

darstellt, während sie suggeriert, die Grenzer hätten sich in einer Art Befehlsnotstand befunden und gar keine andere Möglichkeit gehabt, als auf Flüchtlinge zu schießen (statt z.B. gezielt daneben).
Damit findet sich hier ein Narrativ, das wir aus rechten Kreise kennen, die

NS-Täter als Opfer böser Umstände darstellen. Es erstaunt daher nicht, dass sich bei Hoyer auch andere Narrative finden, die wir aus (neu-)rechten Diskursen kennen. Etwa die von Liberalismus und Demokratie als Elitenprojekt, das einfache Leute nicht interessiere:

Auch sehr beliebt, nicht zuletzt bei Mitgliedern des @NetzwerkW, ist das Mantra, dies und das dürfe man hierzulande so ja gar nicht mehr sagen, weshalb ihr deutsche Kolleg:innen gedankt hätten, dass sie - als quasi Außenstehende - dieses heiße Eisen angefasst habe. Und wie das

bei Opfern der schlimmen, schlimmen #CancelCulture eben so ist, werden solche Thesen so gnadenlos totgeschwiegen, dass ihr Buch nur im uralten Publikumsverlag wie @HoCaHamburg erscheinen und sie selbst in randständigen Medien wie der @zeitonline und @derspiegel zu Wort kommt.

Die Selbststilisierung als Dissidentin, die erst in der quasi Emigration frei über Deutschland schreiben könne und die gar nicht so subtile Gleichsetzung der Bundesrepublik mit der DDR ist in dieser Hinsicht nur konsequent.

P.S.: wozu Threads eigentlich durchnummerieren...?

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