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May 5, 2023 11 tweets 5 min read Read on X
Katja Hoyer hat ein apologetisches Buch über die #DDR geschrieben - und bedient im Interview mit @jana_hensel Narrative, die wir sonst von Verharmlosern dieser Diktatur kennen, bzw. von Leuten, die von einer neuen Diktatur raunen.

Einige Anmerkungen
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zeit.de/2023/19/katja-…
Bemerkenswert ist schon der Begriff "Experiment DDR". Das suggeriert, die Entwicklung dieses Regimes sei irgendwie offen gewesen. Experimente kann man abbrechen. Das hatten die "Versuchsleiter" in Ost-Berlin (und in Moskau) natürlich nie vor. Was sie als "unideologischen"
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Ansatz anpreist, entspricht somit bereits im Kern der SED-Ideologie - oder präziser: deren Propaganda.
Dementsprechend leugnet sie, dass die DDR das Kind Stalins war. Die Vorstellung, er habe diesen Staat irgendwie als Belastung empfunden, ist völlig lächerlich: Der sowjetische Image
Diktator hat die DDR als wichtigen militärischen und politischen Vorposten gesehen, von dem aus er sein Imperium absichern und den Westen unterminieren wollte. Stalins Bedeutung muss in Hoyers Darstellung minimiert werden, weil der Terrorcharakter der ersten Jahre der DDR sonst
klar hervorträte. Ementsprechend fühlt sich Hoyer berufen, auch den Terror an der innerdeutschen Grenze zu relativieren, indem sie eine geradezu widerliche Täter-Opfer-Umkehr betreibt, wenn sie auf einen erschossenen Grenzer verweist und damit Flüchtlinge als (potentielle) Mörder Image
darstellt, während sie suggeriert, die Grenzer hätten sich in einer Art Befehlsnotstand befunden und gar keine andere Möglichkeit gehabt, als auf Flüchtlinge zu schießen (statt z.B. gezielt daneben).
Damit findet sich hier ein Narrativ, das wir aus rechten Kreise kennen, die
NS-Täter als Opfer böser Umstände darstellen. Es erstaunt daher nicht, dass sich bei Hoyer auch andere Narrative finden, die wir aus (neu-)rechten Diskursen kennen. Etwa die von Liberalismus und Demokratie als Elitenprojekt, das einfache Leute nicht interessiere: Image
Auch sehr beliebt, nicht zuletzt bei Mitgliedern des @NetzwerkW, ist das Mantra, dies und das dürfe man hierzulande so ja gar nicht mehr sagen, weshalb ihr deutsche Kolleg:innen gedankt hätten, dass sie - als quasi Außenstehende - dieses heiße Eisen angefasst habe. Und wie das Image
bei Opfern der schlimmen, schlimmen #CancelCulture eben so ist, werden solche Thesen so gnadenlos totgeschwiegen, dass ihr Buch nur im uralten Publikumsverlag wie @HoCaHamburg erscheinen und sie selbst in randständigen Medien wie der @zeitonline und @derspiegel zu Wort kommt.
Die Selbststilisierung als Dissidentin, die erst in der quasi Emigration frei über Deutschland schreiben könne und die gar nicht so subtile Gleichsetzung der Bundesrepublik mit der DDR ist in dieser Hinsicht nur konsequent. Image
P.S.: wozu Threads eigentlich durchnummerieren...?

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Aug 23
Hallo, @EMMA_Magazin - ich habe den Text gelesen. Sich in diesem Zusammenhang auf „Fakten“ zu berufen, zeugt von Chuzpe. Der Autor betreibt das, was er kritisiert: er verbreitet „Narrative“ - und beruft sich dabei ausgerechnet auf russische Propagandisten.
Einige Anmerkungen:
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Bezeichnend ist der verfälschende Ausschnitt des UNHCR-Textes zur Evakuierung von Kindern. Das UNHCR konnte darin noch keine Entführungen verurteilen: der Text wurde keine 2 Wo nach der Großinvasion verfasst. Er mahnt aber bereits:
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unhcr.org/ch/news/press-…Image
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Wer sich, wie der Autor der „Emma“, auf Angabe von RT verlässt, sollte nicht von „Fakten“ sprechen. Nach Russland haben sich 2022 nicht 4 Millionen Menschen begeben („geflüchtet“ oder vertrieben), sondern laut UNHCR etwa 1,2 Millionen.

3/ data.unhcr.org/en/situations/…Image
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Read 6 tweets
Aug 20
Almut Rochowanski verteidigt im @IPGJournal offen den Kreml, der in der #Ukraine seine berechtigte Sicherheitsinteressen verteidige, während die kriegsgeilen Europäer fürchteten, "dass tatsächlich Frieden ausbrechen könnte" und entsprechende Versuche sabotierten. Dass sie sich
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so für den Massenmörder in die Bresche wirft, ist nicht verwunderlich. Sie (die von sich behauptet, seit 20 J die Zivilgesellschaft in den postsowjetischen Ländern zu unterstützen) hat schon 2013 das russische "Agentengesetz" verteidigt - mit dem
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ipg-journal.de/rubriken/ausse…
scheinheiligen Argument, das könne für russische NGOs veranlassen, sich endlich stärker in der russischen Zivilgesellschaft zu verankern. Man muss schon überaus zynisch oder absolut verbohrt (oder beides) sein, um nicht schon 2013 erkannt zu haben, wozu
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opendemocracy.net/en/odr/funding…Image
Read 4 tweets
Aug 16
Bundeskanzler @_FriedrichMerz ist nun weitgehend auf die Linie von Trump eingeschwenkt - und damit auf die von Putin. Die Linie lautet: Friedensvertrag vor Waffenstillstand.
Einige Anmerkungen.
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Merz sagt selbst, ein Friedensvertrag ohne vorherigen Waffenstillstand müsse dann aber schnell geschlossen werden. Er verschweigt, dass der Westen so in Putins Falle gelaufen ist: Wir (v.a.: die Ukrainer:innen) sitzen so unter Zeitdruck. Putin bombt seelenruhig weiter.
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Merz erwähnt kurz die „offenen Fragen“ - die sind aber der Kern. Wenn unter Zeitdruck über eine *endgültige* Lösung verhandelt wird, kann man davon ausgehen: Der Status der besetzten Gebiete wird festgezurrt. Sie werden nicht als „zeitweise besetzt“ gelten, ihre Eroberung wird
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Read 11 tweets
Aug 12
Er war ein 1885 in der heutigen Ukraine geborener Pole, zeitlebens deutscher Staatsbürger, saß 2 mal im Gulag, war im WK2 Abwehroffizier, Amateurschriftsteller und nahm am Warschauer Aufstand teil - Anton Milczewski, einer der Protagonisten meines Buchs über #Kyjiw in den
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verkörpert mit seiner Biografie die Wirrungen und den Irrsinn des 20. Jahrhunderts.
Milczewskis Vater war Anfang der 1880er Jahre wegen der antipolnischen Politik Bismarcks in Russische Reich emigriert und hatte sich in der Ukraine niedergelassen. Er hatte seine deutsche
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Staatsbürgerschaft aber nicht aufgegeben, und auch sein Sohn Anton, der in Slobodyschtsche (Gebiet Zhytomir) zur Welt kam, behielt sie bei. Milczewski studierte von 1903 an in Kyjiw am Polytechnischen Institut Mühlentechnik (schon sein Vater war Mühlenmeister gewesen) und
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Jul 12
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Jun 5
#WolframWeimer schafft es in seinem Beitrag für die @SZ, für die Freiheit der Kunst einzutreten und ihr zugleich Vorschriften zu machen: Kunst dürfe nicht politisch sein. Das gilt natürlich nur für "öko-sozialistische" Akteure - den explizit politischen "Comedian" Dieter Nuhr
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möchte der Kulturstaatsminister dagegen gegen Kritik immunisieren, ebenso J. K. Rowling (weitere lebende Künstler erwähnt er in dem Text gar nicht), die aber nicht wegen ihrer Kunst, sondern ihrer politischen Haltung kritisiert wird. Weimer ist dafür bekannt, seine Texte immer
2/ Image
wieder zu recyceln, und so ist auch dieser Beitrag ein Potpourri altbekannter Klagen über die böse Cancel-Culture: Karl May, "Sensitive Reading", "Meinungskorridore"! Nichts davon ist überraschend, jeder Stichpunkt wurde in den von Weimer so kritisierten Sozialen Medien schon
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