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Jun 21, 2023, 25 tweets

Der letzte #GameStudies đŸ§”heute: Feministische Kritik in Pentiment vor dem Hintergrund mittelalterlicher Literatur.

CN: Gewaltdarstellungen, Frauenfeindlichkeit, dubious consent, Suizid

Im Gegensatz zu vielen anderen Mittelalterspielen sticht Pentiment durch seinen kritischen Umgang mit Frauenfiguren im Mittelalter und der FrĂŒhen Neuzeit hervor.

Mein Beitrag im Sammelband zu Pentiment soll sich daher Schwester Illuminata, ihrer Resignation und der Kritik am Patriarchat vor dem Hintergrund der Figur der Dido in Vergils „Aeneis“ bzw. in ihrer mittelhochdeutschen Adaption im ‘Eneasroman’ Heinrichs von Veldeke widmen.

Heinrichs von Veldeke (unten) mittelhochdeutscher „‚Eneasroman‘“ (um 1186) ist eine Adaption der antiken „Aeneis“ Vergils.

Der Roman erzĂ€hlt die Geschichte von Eneas, der aus Troja flĂŒchtet, bei der Königin Dido in Karthago Zwischenstation macht und danach die Stadt Rom grĂŒndet (fĂŒr das Mittelalter ein zentrales Ereignis).

Dido verliebt sich in Eneas. Sie leidet an einer regelrechten Minnekrankheit, die ihr den Schlaf raubt, wie sie durch die „Ars amatoria“ Ovids im Mittelalter bekannt ist.

Doch diese Minne ist nicht aus freien StĂŒcken heraus entstanden: Die Minne ist eine ĂŒbernatĂŒrliche Macht und Dido wird durch göttliche Gewalt (Cupido und Venus) dazu gezwungen, Eneas zu lieben.

Auf einer gemeinsamen Jagd (Abb. 1) schlafen Dido und Eneas miteinander. Im Gegensatz zu Vergils ‚Aeneis‘ trĂ€gt die Liebesszene jedoch eher ZĂŒge einer Vergewaltigung.

In der Forschung wird diese Szene kontrovers diskutiert: Es wird unter anderem von Didos Schuld und ihrer Rolle als Minneopfer gesprochen.

Meiner Meinung nach ist der Wunsch mit Eneas zu schlafen von vornherein nicht consentfÀhig: Dido besitzt von Anfang an keine Autonomie, da die Gött*innen sie zwingen, Eneas zu lieben.

Eneas muss Dido auf Wunsch der Götter verlassen, ihr Status als Königin ist prekÀr: unverheiratet, Sex gehabt, verlassen. Daher begeht sie Selbstmord:

Ihr verrĂ€terisches Herz durchsticht sie mit Eneas' Schwert. Die unfreiwillige Liebe verzehrt sie wie ein Feuer. Sie stĂŒrzt sich in die Flammen und verbrennt, vergibt Eneas jedoch mit ihren letzten Worten.

OK, jetzt atmen wir alle mal kurz tief durch. Was hat das jetzt mit Pentiment zu tun?

Andreas Maler, aus dessen Perspektive man(n) den ersten Teil von Pentiment spielt, hat im Kloster Kontakt mit der Nonne Schwester Illuminata. Sie ist die Priorin und die Bibliothekarin des Klosters Kiersau und hat eine umfassende Bildung erfahren.

Die beiden begegnen sich im Skriptorium und fĂŒhren anhand einiger BĂŒcher ein GesprĂ€ch. Eines dieser BĂŒcher ist die oben genannte "Aeneis".

Das GesprÀch findet statt, wÀhrend Illuminata zusammen mit Andreas durch das aufgeschlagene Manuskript lÀuft. Links: ein Liebespaarim Stil des Codex Manesse, rechts: Dido in den Flammen sterbend, wÀhrend Aeneas auf einem Schiff davonsegelt.

In der Diskussion stehen die beiden sich zuerst auf den unterschiedlichen Seiten gegenĂŒber. WĂ€hrend Andreas antwortet, taucht bei ihm eine Gedankenblase auf, als Illuminata ĂŒber Frauen im Mittelalter spricht.

Man(n) bekommt eine Möglichkeit, in einem internen Monolog die Antwort zu reflektieren und Illuminatas EinwĂ€nde nicht einfach abzutun. Sie bewegt sich, nachdem sie sich fĂŒr das VerstĂ€ndnis bedankt, in das rechte Bild und kniet sich an den Platz von Dido.

„Even in stories, we are maidens to be rescued and wed, cruel seducers of men, or wizened crones.”; „Like Dido, we ordinary women are merely tools in the tales of men. We can never be protagonists of our own stories.“ (Pentiment, 2022)

Dido als Herrscherin wird letztlich immer nur in AbhĂ€ngigkeit zum mĂ€nnlichen Protagonisten definiert. Sie wird durch den Zwang der Minne, der Gött*innen und der mĂ€nnlichen Gewalt sie in ihr Schicksal getrieben. Der einzige Ausweg aus der UnterdrĂŒckung ist der Selbstmord.

An dieser Figur reflektiert das Spiel durch Schwester Illuminata die Rolle der Frauen im Mittelalter kritisch setzt die dominante mĂ€nnliche Perspektive ins VerhĂ€ltnis: „It’s fine poetry. For men.“

Das Niveau, auf dem das Spiel Frauenfiguren im Dorf darstellt werden, ist sehr hoch und bietet einen differenzierten Querschnitt durch die Gesellschaft. Dieser Dialog mit Schwester Illuminata ist nur ein Beispiel fĂŒr die Tiefe der Reflektion in Pentiment.

Boah, das war jetzt lang, aber ich bin da gerade so drin, sorry. Wie fandet ihr Pentiment?

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