#Ukraine Oktober 2024 - Rück- und Ausblick
Derzeit überwiegen wieder einmal extrem negative Lagebewertungen. Dazu besteht jedoch kein Grund:
1. Die Geländeverluste in der UA sind mit gut 500qkm zwar die höchsten seit März 2022, aber auch nur grob 10% höher als Aug+Sep, zudem machen sie nur 0,11% des unbesetzten Staatsgebiets aus
2. Die RU Verluste sind bei Personal (42T Mann) und Spz (923 lt. GSUA, tatsächliche Totalverluste wohl 5-600) die höchsten des gesamten Krieges. Sowohl Personal- als auch Materialverluste insgesamt liegen >10% höher als Aug/Sep, der Geländegewinn kostete die RU also denselben Preis wie zuvor
3. An keiner Stelle drangen die RU mehr als 10km weit vor. Von einem "Zusammenbruch der Front" wie von einigen Kommentatoren behauptet kann also keine Rede sein
Zu den weiteren Verlusten:
Kpz werden seit Monaten sparsam eingesetzt, das Verhältnis Spz/Kpz erreichte mit 3,3:1 einen Höchststand - bis Juli lag es bei 1,9:1, Aug/Sep bei 2,8:1. Gleichzeitig stieg der Anteil neuer bzw. generalüberholter Kpz - T-90 und alle Obr. 2022 - stark an. Das weist auf ein Ende der Bestände an leicht reaktivierbaren Fz, der Aufwand ist höher, der Ausstoß der Reparaturbetriebe entsprechend geringer - die Bestände müssen geschont werden oder gehen zurück
Bei Artillerie lagen die Verluste knapp unter Sep, gut 20% unter den Rekorden Jul/Aug. Auch der gemeldete Beschuß ging ggü. Sep trotz der intensiveren Angriffe um etwa 5% zurück.
Bemerkenswert ist das weitgehende Verschwinden der Mörser (2S4, 2S9) mit ihren geringen Reichweiten; bei den Feldgeschützen gehen wie erwartet D-20 und D-30 wegen Erschöpfung der Lagerbestände zurück, werden jedoch nicht durch ihre Kaliberäquivalente D-1 und M-30 ersetzt, sondern durch die M-46. Deren Vorteil der höheren Reichweite scheint den logististischen Nachteil des zusätzlichen Kalibers (130mm) zu überwiegen; die durchschnittliche Reichweite aller Geschütze stieg denn auch von 18,0km auf 20,0km.
Evtl. sieht man die Notwendigkeit, die Geschütze weiter hinter der Front aufzustellen, um der Drohnengefahr zu begegnen. Es entsteht aber auch den Eindruck, dass die Gesamtzahl an der Front zurückgeht, also ähnlich wie bei den Kpz ein Engpass besteht; das muss allerdings noch auf breiterer Basis bestätigt werden
Bei den Nachschubfz wurde ein neuer Rekord erreicht, 15% über dem bisherigen Wert aus Jul 24. Da auch ihr Anteil an den Verlusten insgesamt weiter steigt, deutet sich ein verstärkter Fokus der UA Drohnenpiloten auf den frontnahen Nachschub an.
Die Einteilung der Frontabschnitte in den Wochenberichten wird beibehalten - zu den einzelnen Berichten 👇
1/n
1. Kursk
Ein RU Einbruch im NW konnte teilweise bereinigt werden durch die Verlegung zweier Elite-Brigaden. Dennoch Gebietsverluste.
Offensichtlich hatte die Rückeroberung für RU entgegen anfangs zur Schau gestellter Gleichgültigkeit hohe Priorität. Das zeigt nicht nur der starke Einsatz ehemaliger Eliteverbände (Fallschirmjäger und Marininfanterie), sondern auch der Vergleich der Materialverluste für den Zeitraum Aug-Okt mit den anderen Frontabschnitten (Zahlen nach warspotting.net).
Bei Kpz fehlen die alten T-54 bis T-64 in Kursk nahezu vollständig, T-72 sind seltener, T-80 Obr. 2022 stark überrepräsentiert. Ähnlich bei den Spz (nur Kette): BMP-1 sind nicht belegt, BMP-2 deutlich seltener, die noch in Produktion befindlichen BMP-3 und die ebenfalls etwas moderneren Fz der LL-Truppe (VDV) häufiger - hier zeigt sich auch der massive Einsatz der VDV.
Bei den Radpanzern und MRAPs fast keine BTR-50/60/70/80, nur die moderneren BTR-82, und "Achmat"-MRAPs, die erst seit Kriegsbeginn gebaut werden
Relativ kampfstarke und modern ausgerüstete RU Verbände greifen an einer von den UA gewählten Stelle an, wo die RU Nachschubwege ungünstig um das besetzte Gebiet herum führen, während die UA mit Sudscha einen Logistiknoten haben, der über Sumy gut erreichbar ist.
2/n
Abb. 2 a Karte Kursk 1.10./1.11. b-d Vergleich der Verluste an Kpz, Spz, Radpanzern/MRAP zwischen Kursk und dem Rest der Front Aug-Okt
2. N-Charkiw/Belgorod
Wenige RU Angriffe, kaum Lageänderungen. Im NW UA Vorstoß nach Belgorod; hier geht es weniger um die Besetzung nennenswerter Fläche als um die Unterbrechung einer RU Nachschubstrecke nach Hlibowe in N-Charkiw
3. N-Luhansk
Trotz zeitweilig intensiver RU Angriffe nur geringe Geländegewinne. Einziger echter Erfolg ist das Erreichen des Oskil S Kupjansk, womit das UA gehaltene Gebiet O des Flusses gespaltet wurde
4. Siwjersk
RU Siegesmeldungen, die mit Flaggen einige km tief in UA gehaltenem Gebiet "belegt" wurden, erwiesen sich als Propaganda; die Flaggen waren von Spähtrupps bzw. Drohnen installiert worden.
Ruhiger Abschnitt, wenig Lageänderung
5. Toretzk-Bogen
Deutliche Beruhigung. Nach Ende der größeren RU Angriffe setzten UA Gegenangriffe ein, die in der Stadt Toretzk die Verluste von Monatsanfang zurückgewannen.
Bei Tschassiw Jar scheinen die RU mittlerweile einen kleinen Brückenkopf SW des Kanals zu halten, ohne bisher die Stadt ernsthaft gefährdet zu haben
3/n
Abb. 3 Lagekarten mit Vergleich 1.10./1.11. (alles @Black_BirdGroup )
6. Pokrowsk/Kurachowe
O Pokrowsk seit 2 Monaten kaum Veränderung, hier liegen die RU vor der UA Befestigungslinie fest
Die RU Bemühungen konzentrierten sich daher auf den Abschnitt Selidowe-Kurachowe, wo sie bereits im Sep die meisten befestigten Stellungen genommen hatten. Mindestens ein Drittel aller Gefechte entfiel im Okt auf diesen schmalen Abschnitt.
Mit dem Fall von Selidowe und Kurachiwka ist hier der Weg weiter nach W frei, da die UA Befestigungen O-W mit Front nach S verlaufen
7. S-Donetzk
Nach dem Fall von Wuhledar Ende Sep stießen die RU weiter nach N vor. Hier liegt auch der mit etwa 10km tiefste Einbruch des Monats; es gelang, die relativ schwach ausgebaute nächste UA Stellung teilweise zu durchbrechen
8. S-Front
W von Welika Nowosilka kaum Gefechtstätigkeit. Die UA meldeten zwar RU Verstärkungen, bisher gingen die RU Angriffe aber nicht über Aufklärung hinaus
9. Dnipro
Das gleiche Bild - immer wieder Gefechte auf den Inseln in der Aue, aber keine Lageänderungen
10. Krim/Schwarzes Meer
Einzelne RU Angriffe auf neutrale Handelsschiffe zu Beginn des Monats.
Kleinere UA Drohnenangriffe auf die Krim
11. Hinterland
Erheblich intensivierte RU Angriffe mit Shaheds, die mittlerweile jedoch zu deutlich >90% abgefangen werden, zunehmend mit EW-Mitteln
Relativ wenige größere UA Drohnenschwärme in RU. Kaum Berichte über Treffer, wobei nicht ganz klar ist, ob das nicht an einer beidseitigen Nachrichtensperre liegt. Zumindest keine spektakulären Explosionen von Mun-Depots wie zuvor - die wären nicht geheim geblieben
4/n
Abb. 4 Vergleich 1.10./1.11. für Pokrowsk und S-Donetzk
Gesamtlage und Ausblick
An der gesamten Front seit 15.10. nochmals verstärkte RU Angriffe, die die Verteidiger v.a. in S-Donetzk stark unter Druck setzten.
Ein großes Problem sind die Gleitbomben, von denen mittlerweile etwa 200/Tag eingesetzt werden. Sie zerschlagen auf die Dauer jede Stellung, eine Abwehr ist derzeit unmöglich. Wurden letztes Jahr noch gelegentlich Abschüsse der Bomber mit Patriot-Systemen erzielt, meldeten die UA in den vergangenen 12 Monaten nur noch insgesamt 5 Abschüsse von RU Maschinen, darunter aber z.B. auch die A-50 im Frühjahr. An der Front verlieren die RU nur noch durch Unfälle und eigenen Beschuss Flugzeuge; Meldungen über Abschüsse durch F-16 haben die UA nicht bestätigt.
Hier liegt ein entscheidendes Defizit der W Hilfe; da die USA nicht nur die Ausbildung der Piloten verschleppt, sondern auch die Lieferung modernster Radare und Luftkampfraketen verhindert, zudem den Einsatz der ATACMS gegen Flugplätze in RU verboten haben, stehen den UA keine Mittel zur Verfügung, um diese Angriffe, die jede Verteidigung einer Position zur zeitlich befristeten Sache machen, zu unterbinden.
Solange hier keine Änderung eintritt, werden die UA Geländegewinne der RU nicht verhindern können. mE ist eine entsprechende Aufrüstung der F-16 derzeit sogar wichtiger als Taurus und die Freigabe von Storm Shadow für RU Gebiet. Lediglich die Freigabe der ATACMS mit ihren Cluster-Gefechtsköpfen gegen RU Flugplätze hätte ähnliche Bedeutung.
Für die nächsten Wochen ist eine Fortsetzung der ungewöhnlich massiven RU Angriffe zu erwarten. Ziel dürfte - wie bereits vor 3 Monaten vermutet - die Eroberung des gesamten Südteils von Donetzk sein, wobei Pokrowsk zunächst S umgangen wird. Hier dürfte das N-Ufer des Stausees bei Kurachowe Zwischenziel sein
Der gleichzeitige Angriff von S, der auf eine Lücke in der nächsten UA Stellung zielt, die unverständlicherweise gelassen wurde, soll die Nachschubstrecke von W nach Kurachowe unterbrechen, womit die Stadt eingeschlossen wäre. Die UA müssten einmal mehr eine Stadt räumen, um die Einkesselung der Verteidiger zu verhindern. Dieser Punkt könnte Ende Nov/Anf Dez erreicht sein, da nur noch 12km die RU von der Straße trennen (Abb. 5a)
Es zeichnet sich ein zweiter Schwerpunkt in N-Luhansk ab, dort soll sehr wahrscheinlich die Oskil-Linie erreicht werden. Zum Einen bietet der Fluß eine gute Deckung gegen UA Offensiven, zum Anderen würde das die Kontrolle oder zumindest Bedrohung der wichtigen Nachschublinien vn NW nach Slowjansk bedeuten (Abb. 5b)
Diese beiden Schritte dürften das Ziel für Ende 2024 sein; im N erscheint das optimistisch, im S durchaus machbar angesichts der schwachen UA Befestigungen. Für nächstes Jahr dürften dann die üblichen Angriffe zur Flankierung und schließlichen Einnahme von Siwjersk, Konstantiniwka und vermutlich auch Pokrowsk auf dem Plan stehen, womit mit Kramatorsk und Slowjansk die eigentlichen Ziele, die letzten größeren Städte des Donbass, in Reichweite kämen.
Bemerkenswert ist, dass die RU größere Operationen mittlerweile nicht mehr ins Auge fassen; sah es vor einiger Zeit z.B. noch so aus, als würde der Stoß von S weiter W auf Welika Nowosilka erfolgen, womit S-Donetzk im Erfolgsfalle komplett besetzt wäre, hat man sich offenbar wieder für die kleinere Lösung wie in Abb. 5a entschieden. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der eigenen Truppen scheint begrenzt zu sein, man beschränkt sich auf eine lange Reihe blutig erkaufter taktischer Erfolge.
Wesentlich ist jetzt, dass die UA Verteidiger nirgends einen größeren RU Durchbruch zulassen; ein rascher Rückzug in S-Donetzk wäre da noch das kleinere Übel.
5/5
Abb. 5 a-b erwartete RU Angriffsrichtungen in S-Donetzk bzw. N-Luhansk
c vermutete RU Ziele für Ende 2024 (Balken) und vorgesehene Angriffe im 1. Hj. 2025
Weil immer wieder die Frage aufkommt, wie die UA denn die besetzten Gebiete je zurückbekommen soll: sie muss sie nicht zwingend militärisch erobern.
Die D standen 1918 am Tag der Kapitulation (11.11.) noch tief in Belgien und hielten auch noch frz. Gebiet. Trotzdem war der Krieg verloren, und nicht nur die besetzten Gebiete mussten geräumt werden
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