#Thread: Wir haben gestern eine Niederlage vor dem Berliner Landgericht für eine Recherche aus dem Gesundheitssystem kassiert und ich darf weiterhin nicht berichten. Bitter. Ich bin ernüchtert, enttäuscht, verwirrt.
Der Vorsitzende Richter hat gesagt, wir hätten
a) ausreichende Belege recherchiert.
b) sei ein öffentliches Interesse an der Recherche gegeben.
Aber c) entspreche die Form unserer Berichte nicht einer zulässigen Verdachtsberichterstattung, da:
der (imaginierte) Leser zwangsläufig zu dem Schluss komme, die Recherche sei wahr. Wir haben in unseren Berichten 48 Mal das Wort "mutmaßlich" verwendet, ausgiebigst vom Konjunktiv Gebrauch, immer nur von „Vorwürfen“, nie von Tatsachen geschrieben.
Wenn das keine zulässige Verdachtsberichterstattung sein soll, bin ich ratlos, wie ich künftig berichten soll. Keine Pointe. #MeQueer
Lichtblick: Danke an die vielen solidarischen Nachrichten heute (ihr seid toll) und natürlich Kudos an den <3 @TvorR.
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Ich habe in den letzten Monaten viel Zeit in #MeToo-Prozessen an deutschen Gerichten verbrachte und fasse hier aus meinen Beobachtungen zusammen, was für (mutmaßliche) Opfer extrem problematisch läuft (#1Thread):
1. Wenn Opferzeug:innen sich schlecht erinnern können, sind sie nicht glaubwürdig, oder ihre Aussagen nicht stichhaltig genug, so dass es: *im Zweifel für den Angeklagten* heißt.
2. Haben sie sich Notizen gemacht, Gedankenprotokolle etc. werden diese im Zweifelsfall genutzt, um Widersprüche zu säen – weil etwa die Erinnerungen an die mutmaßlichen Übergriffe verblasst sind und anders, als das, was vor langer Zeit verschriftlicht wurde.
19 Monate rechtliche Auseinandersetzungen, zwei Ordner Schriftsätze, hunderte Emails, rund 30 Medienberichte später: Heute veröffentlichen wir unsere gerichtlich freigekämpfte Recherche zu #MeToo-Vorwürfen gegen einen weltweit anerkannten HIV-Arzt wieder in gekürzter Fassung.
Vor eineinhalb Jahren haben @tvorr und ich die Vorwürfe gegen den den Berliner Arzt öffentlich gemacht: Patienten werfen ihm seit vielen Jahren vor, er habe sie in der Praxis sexuell missbraucht oder übergriffig behandelt. Hier sind die Hintergründe: buzzfeed.de/welt/metoo-arz…
Der Arzt bestreitet die Vorwürfe. Sein Anwalt argumentiert, es handele sich um um Lügen, die orchestriert werden.
Heute Thema #MeToo, Unschuld, und Belege. Darum ein schnelles 1x1 aus journalist. Sicht: Es gibt bei Missbrauchsvorwürfen oft keine Beweise, aber Indizien, die man prüfen kann.
1. Viele Menschen schildern ähnliche Vorwürfe 2. Die Schilderungen ergeben ein Muster
...
3. In den Schilderungen ähneln sich Details 4. Mutmaßlich Betroffene haben bereits nachweislich anderen Menschen von Vorwürfen erzählt (in Mails, Nachrichten, am Telefon) 5. Sie haben sich Hilfe geholt (Aussage, Anzeige, Beschwerde, bei Polizei/Behörde/Hilfseinrichtung/Presse)
5. Die Umstände der Vorwürfe können belegt werden (Ort, Zeit, Treffen etc.)
Überprüfen kann man außerdem: 6. Was ist die Motivation, die Vorwürfe öffentlich zu machen? 7. Stimmen Informationen rund um die Vorwürfe? 8. Ergeben sich Unstimmigkeiten/logische Fragen?
Krank geheilt: Janine Fiedler wurde von ihrem Arzt sexuell missbraucht. Trotzdem darf er jahrelang weiter arbeiten. Die Behörden stoppen ihn nicht, das Problem hat System.
Unsere Recherchen zeigen, dass Täter aus dem Medizinbetrieb oft geringe Strafen erhalten, selten verurteilt werden und teils weiter praktizieren können. Behörden versagen, weil sie aufeinander warten, statt zu handeln.
Wooo. Die Grünen fordern einen Entschädigungsfond für die rund 10.000 trans Personen, die sich bis 2011 sterilisieren lassen mussten, um rechtlich anerkannt zu werden. medien.gruene-bundestag.de/pgf/Antrag_Ent…
Hintergrund: Heute vor genau 40 Jahren wurde das Transsexuellengesetz verabschiedet. Es ist völlig veraltet, für trans Personen demütigend, schikanierend, erniedrigend. Eine Reform gibt es bis heute nicht. Sidenote: Es ist so frustrierend, immer wieder darüber berichten müssen.
Wichtig: Der Fond ist auch für intersexuelle Menschen, die bis heute als Kinder und Säuglinge operiert und medizinisch behandelt werden, weil sie nicht in das Schema "Junge oder Mädchen" passen.
Diese Recherche hat mich über zwei Jahre begleitet und sehr berührt. Heute ist sie zu einem vorläufigen Schlusspunkt gekommen: der Mann, der junge Homosexuelle über Monate terrorisierte und stalkte, ist zu vier Jahren Haft verurteilt worden. buzzfeed.com/de/julianeloef…
Ich bin sehr dankbar, dass viele Quellen das Vertrauen hatten, mit mir zu sprechen – allen voran Max O. Nachdem wir seine Geschichte öffentlich machten, haben sich etliche Menschen bei ihm und mir gemeldet – weil über Homohass zu oft geschwiegen wird. buzzfeed.com/de/julianeloef…
Danke auch an @dleiffels, der unsere Recherche für @Y_Kollektiv einfühlsam als Video erzählt hat: