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Von einer Würzburger Klima-Aktivistin haben wir ein Gedächtnisprotokoll zur Polizeigewalt während den DattelnIV-Protesten am 30.05.2020 zur anonymen Veröffentlichung erhalten. (Thread) [1/45]
Die Polizeipräsenz war den ganzen Tag über immens groß. Bei der legal angemeldeten und genehmigten Pressekonferenz der vereinigten Aktivist*innen- und Interessengruppen ab 09:00 waren pro zwei Demonstrant*innen und Aktivist*innen etwa ein*e Polizist*in anwesend, bei den
späteren Mahnwachen war das Verhältnis etwa eins zu eins. Zu keinem Zeitpunkt hielt die Polizei selbst die Abstandsregelung im Rahmen der Hygieneordnung ein, zu Beginn waren sie noch ohne Mundschutz herum, erst nach Witzen und Kritiken der Presse und Aktivist*innen trugen sie
dann Masken. Alle Polizist*innen waren mit Schlagstöcken und Pistolen sichtbar bewaffnet, viele trugen Helme mit Visier, bei einer Person in Uniform erinnere ich mich deutlich daran, dass sie ihre Hände deutlich und demonstrativ mehrfach auf den Schlagstock gelegt hatte.
Es waren Kavallerieeinheiten im Einsatz, ich habe maximal neun Pferde zusammen bei der Mahnwache gesehen, die Verteilung von Fäkalien auf den Straßen bestätigt Patrouillen um das gesamte Gelände des Kraftwerks herum bis in die ersten Ausläufer des nächsten Wohngebiets in Datteln.
Auf dem Kanal zwischen Stadt und Kraftwerk waren mindestens zwei Polizeiboote auf Patrouillenfahrt, davon eins, dass so aggressiv und laut war, dass die Reden auf der Pressekonferenz mehrmals unterbrochen wurden.
Die vor Tor 2 stattfindende Mahnwache der Gruppe Ende Gelände, offiziell vor dem Tor angemeldet und genehmigt, wurde von der Polizei willkürlich etwa siebzig Meter weiter nach Süden verlegt, die etwa zweihundert Teilnehmer*innen, die sich vor Tor 2 versammelt hatten, wurden zu
einer illegalen Versammlung erklärt und es wurden Filmaufnahmen gemacht. Während eine Person bereits versucht hatte, eine spontane Mahnwache anzumelden, war dies erst beim zweiten Anlauf und nach Eingreifen eines parlamentarischen Beobachters möglich.
Während der gesamten Mahnwache wurden Filmaufnahmen gemacht, beim weiter nördlich liegenden Tor 1 fand die Mahnwache von Fridays for Future Datteln statt; bei beiden Mahnwachen waren etwa ein dutzend Polizeibusse gestanden, bei der von Ende Gelände stand des Weiteren ein
Polizeibus mit Teleskopkamera, mehrere dutzend fuhren vorbei, vor jedem Tor standen über zwanzig Polizist*innen, dazu standen zwischen den Toren bereits erwähnte neun Pferde.
Nachdem die Mahnwache nach fünf Redebeiträgen und musikalischen Beiträgen beendet und ein spontaner Demonstrationszug zurück von Fridays for Future angemeldet wurde, trafen sich die beiden Mahnwachen im Demonstrationszug, an jedem Tor fuhren nochmals mehrere Polizeibusse aus dem
Kraftwerksgelände. Ein privater PKW, der in das Gelände fuhr, wurde von der Demonstration ausgebuht.
Beim Rückweg habe ich zum ersten mal gehört, dass eine Gruppe an Aktivist*innen den Tod von Faschist*innen und diese verteidigende Gruppen forderte, was eindeutige Bewegung in die Polizeistaffeln brachte, das war vor der Brücke über den Kanal.
Etwa drei Minuten und hundert Meter später, als die Demonstration, nun offiziell angemeldet von Fridays for Future, die Brücke überquert hatte, lief eine Person rechts neben mir und etwa drei links neben mir.
Die Personen neben riefen mehrmals die bekannteste Beleidigungsabkürzung gegen die Polizei, als wir fast an dem Kreisverkehr waren, an dem sich die Straßen Im Löringhof und Emscher-Lippe-Straße de facto treffen.
Als ich an meiner Ferse etwas spürte, was ich zuerst fälschlicherweise als Fahrradreifen interpretierte, und ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass es ein Stiefel war und sah ich die Polizist*innen, die plötzlich in die Menge hineinrannten.
Sie begannen, mindestens drei der Menschen links neben mir in Richtung des Kreisels wegzuschubsen, und die Person, die sich nicht allzu sehr bewegte und lautstark protestierte, mit gleicher Händebewegungen zu schlagen.
Ich sah mindestens zuerst fünf und dann acht Polizist*innen, welche meine Mitdemonstrant*innen immer weiter wegschubsten.
Trotz des lautstarken Widerstandes der neu geformten Gruppe um die herausgetrennten Personen herum wurden mindestens zwei Personen, bei denen ich mich noch deutlich erinnern kann, von der Polizei zu Boden geworfen beziehungsweise geschlagen.
Beide wurden die Arme hinter den Rücken verdreht, von jeweils einer uniformierten Person pro Arm, während zwei Polizist*innen neben und eine*r vor den zu Boden geworfenen Demonstrant*innen stand.
Nach einigen Schocksekunden fingen die ersten, lauten Sprechchöre gegen die Polizei an, die Demo kam zum erliegen, etwa zwanzig Sekunden, nachdem ich die Geschehnisse das erste mal aktiv wahrgenommen hatte, stand eine Reihe Polizist*innen Schulter an Schulter vor dem Kreisel und
eine aufgebrachte Menge laut protestierender Demonstrant*innen, die sich von dem Ende der Brücke bis zu einem unbenannten Weg parallel zum Kanal und nördlich des Kreisels erstreckte. Ab dann fingen die ersten demonstrationsimmannenten Journalist*innen an, Aufnahmen zu machen.
Sehr schnell traf über ein dutzend Polizeibusse am Kreisel ein, obwohl die Demonstrierenden den Straßenabschnitt von der Brücke bis zum Kreisel blockierten.
Die Ansagen des Polizeidurchsagenbusses, dass die Demonstration aufgelöst sei und wir das Gelände räumen sollten, wurden recht schnell von lautstarken, wütenden Sprechchören übertönt, welche die Freilassung der Gefangenen forderten, woraufhin mehr Busse eintrafen und die
Demonstrierenden zusätzlich von Seiten der Brücke und des unbenannten Weges von Polizeiketten eingekesselt wurden. Etwa vier Minuten später trafen die ersten externen Medien ein, und die Polizei änderte spürbar ihre Taktik.
Eine Aktivistin wurde von der Polizei als Kommunikatorin bestimmt, sie gab die Ansagen der Polizei, die überschrien wurden, weiter.
Nach Aussagen der Polizei hätten die Gefangenen gegen das Vermummungsverbot verstoßen, und auf Rückfrage unter anderem dieser Aktivistin bezüglich der Rechtfertigung der angewandten Gewalt sagten sie, ich zitiere, „sowas passiert wenn einer mal hinfällt“.
Als Zeugin mit frischem Gedächtnis kann ich neutral berichten, dass beide Aussagen der Polizei deutliche Lügen sind.
Eine zu Boden gedrückte Person, an deren Kleidung ich mich erinnern kann, trug keine Mütze, also maximal Mundschutz und Sonnenbrille, an einem immens heißen und sonnigen Tag während einer globalen Pandemie.
Die Demonstration trat in außerordentlicher Solidarität und Geschlossenheit zusammen, einigte sich kollektiv auf das Verharren bis zur Freilassung unserer Mitdemonstrant*innen.
Am lautesten waren die Jugendlichen von Fridays for Future, andere Aktivist*innen kümmerten sich um die Versorgung mit Wasser und Sonnencreme, und etwa ein bis zwei dutzend Aktivist*innen, die vorher nicht da waren, kamen von extern noch durch Lücken in den Polizeiketten in den
Kessel. Zwischenzeitig wurden medizinische Fachkräfte hinter die Polizeikette gerufen, da die Gefangenen wegen der Gewalt der Polizei schmerzhafte Verletzungen erlitten hatten.
Die Polizei nutzte den Vorwand eines niemals kommenden Krankenwagens, um die Räumung der Straße zu fordern, nachdem nur Polizeibusse fuhren, besetzten die Demonstrierenden wieder die Straße.
Nach etwa einer halben Stunden nach Beginn des ganzen Zeit wurden zwei der fünf gefangen genommen Personen frei gelassen, woraufhin die Demonstration zuerst kurz erfreut und dann erbost war, als die Absenz der restlichen drei Gefangenen bemerkt wurde.
Einer der Gefangenen, so teilte die zur Kommunikation bestimmte Aktivistin mit, war ein Minderjähriger ohne Personaldokumente. Es stand implizit fest, dass die Polizei diesen Demonstranten mitnehmen würden, woraufhin der Ton der Demonstration sich nochmal verschärfte.
Zehn bis zwanzig Minuten später wurden die restlichen Gefangenen freigelassen und von einer freudigen Menge als Held*innen empfangen.
Von einer fast geschlossenen Reihe Polizist*innen an beiden Seiten flankiert zog die Menge dann noch durch ein Wohngebiet von Datteln, an Stellen begleitet von Applaus und positiver Zusprache der Anwohner*innen.
Ab einem gewissen Punkt des Demonstrationszugs verließ ich diese und ging nach Hause, fünfzehn Minuten später sah ich dann auch eine größere Gruppe aus der Demonstration weglaufen, die kommunizierte, dass die Demonstration geendet hatte.
Hier noch kurz ein paar Worte als Meinung: Während die Ereignisse sich ohne Lüge als „Polizei verprügelt friedlichen Minderjährigen bei Fridays-for-Future-Demonstration“ zusammenfassen lassen, spricht selbst der neutrale Ton deutlich von dem Ausmaß der Situation: Auf verbale
Sticheleien reagierte die Polizei damit, zu fünft Aktivist*innen zu verletzen, aber die Solidarität der anwesenden hat Schlimmeres verhindert.
Ja, Datteln IV steht noch, in der Hinsicht war der Tag ein Misserfolg, aber die vereinten Klimagerechtigkeitsbewegungen haben ihre Potential in Menschlichkeit deutlich zur Schau getragen.
Indem wir Seite an Seite standen und uns bedingungslos solidarisch unterstützten, haben wir fünf unserer Mitstreiter*innen zumindest ab einem gewissen Punkt vor der Wucht der Willkür schützen können.
Die Polizei wollte nicht vor den Augen der Medien ihre permanente implizite Gewalt explizit machen, und da wir nicht gewichen sind, haben sie klein beigegeben.
Wir stehen für Gerechtigkeit und Menschlichkeit und Menschheit zusammen, und dies erzeugt selbst unter den Bedingungen einer globalen Pandemie eine Kraft, die unter den richtigen Bedingungen die Gewalt des Staates brechen kann.
Ich schöpfe Hoffnung aus der Solidarität, die wir in ein oder zwei Jahren nach Ende der Pandemie erschaffen können.
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