My Authors
Read all threads
Ich habe mich mit Forschung zu den Beweggründen von Eltern beschäftigt, die ihre Kinder nicht impfen lassen/zögern. Danke an @fraeulein_tessa für die Anregung! Ihr ging es um die Frage: warum tun Eltern das? Disclaimer: im Thread geht es nur darum, die Motivation zu ergründen.
Weitere Threads zum Thema Impfen werden folgen. Grundlage dieses Threads ist die Meta-Studie von Díaz Crescitelli, M.E. et al. “A meta-synthesis study of the key elements involved in childhood vaccine hesitancy”, in: Public health Vol. 180 (2020), pp. 38-45.
Die Forscher*innen haben aus den Eltern-Aussagen aus insgesamt 27 Studien weltweit fünf Hauptkategorien herauskristallisiert: (1) Risiko-Wahrnehmung; (2) Misstrauen; (3) alternative Gesundheits-Überzeugungen; (4) philosophische Überzeugungen; (5) elterliche Information.
Fangen wir an mit Risiko-Wahrnehmung: Eltern, die sich dagegen entscheiden, ihre Kinder zu impfen nehmen Impfungen als Behandlung wahr, die ein Gesundheitsrisiko mit sich tragen. Das allein reicht oft schon, damit sie sich gegen eine Impfung entscheiden.
Risiko-Wahrnehmung unterteilt sich in drei Unterkategorien: das angenommene Risiko der Impfung, angenommene kontextuelle Risikofaktoren und die angenommene Gefährlichkeit der Krankheit, um die es geht. Hier geht es um Sorge: Eltern schätzten die Risiken, die mit Impfungen
verbunden sind deutlich zu hoch ein. In vielen Fällen waren die Bedenken mit Ansichten über "giftige Inhaltsstoffe" verbunden, was zu dem Eindruck führte, dass sie die Kinder vergiften würden. Verbunden damit waren Sorgen über angebliche Nebenwirkungen, darunter u.a.:
Behinderung, Taubheit, psychische Folgeschäden, Koma oder Tod. In einigen Studien nannten Eltern Angst vor Polio, Autismus oder Krebs als Ursprung ihrer Entscheidung, ihre Kinder nicht zu impfen - trotz Versicherungen von Ärzten. Verbunden damit waren zudem oft "alternative
Gesundheitliche Ansichten", wie z.B. dass Impfstoffe DNA verändern oder das Immunsystem beschädigen oder zerstören könnten.Die Kategorie "Risiko-Konzeptualisierung" war damit verbunden, dass Eltern glauben, durch "Lifestyle" und Umgebung das Risiko zu erkranken reduzieren könnten
Dadurch, wie durch eine bestimmte Ernährungsform, waren sie der Meinung, dass sie selbst das Risiko der Krankheit verringern könnten und die Impfung selbst dadurch nicht mehr nötig sei. Ihrer Ansicht nach hätten sie so Schaden vom Kind abgewendet.
Einige Eltern waren zudem der Meinung, dass Wohlstand ihre Kinder schützen würde - dieser Ansicht nach sind Impfungen nur nötig, wenn Kinder in Armut leben. das weist zudem darauf hin, dass "Impfskepsis" vor allem in wohlhabenden Gesellschaftsschichten vorkommt.
Andere Eltern wollten ihre Kinder als lieber von anderen isolieren, damit sie nicht krank werden konnten, z.B. dadurch, dass sie nicht in den Kindergarten gingen, sondern zu Hause betreut wurden, oder eine enge Kontaktüberwachung.
In manchen Fällen wurde die Meidung von öffentlichen Plätzen genannt, wo Menschen aus versch. ethn. Gruppen aufeinander träfen. Diese letztere, rassistisch geprägte Haltung, war mit der Ansicht verbunden, dass man in einer "zivilisierten Gesellschaft" keine Impfungen brauche
Widmen wir uns jetzt dem wahrgenommenen Risiko der Krankheiten, gegen die geimpft werden soll. Bei Zögerlichkeit oder Ablehnung von Impfungen waren Eltern der Meinung, dass die Krankheiten nicht gefährlich "genug" seien, um eine Impfung zu rechtfertigen.
Wieder andere gaben an, dass sie es bevorzugten, eine "natürliche Immunisierung" geschehen zu lassen - dadurch, dass die Kinder den Krankheiten ausgesetzt seien. Diese Annahme beruht darauf, dass Krankheiten etwas "Natürliches" sind und sie nicht lebensgefährlich sind.
Eine weitere wichtige Kategorie in der Motivation von Eltern, ihre Kinder nicht impfen zu lassen, ist Misstrauen. Misstrauen vor 1) Institutionen, die sie mit Impfungen verbunden wie z.B. Pharma-Konzerne, Wissenschaftler*innen, Menschen im Gesundheitswesen, Medien
Das wiederum teilt die Studie in 3 Teile auf: Misstrauen gegenüber "offizieller" Information zum Thema Impfungen, Misstrauen gegenüber der Vertrauenswürdigkeit von Ärzt*innen sowie Misstrauen gegenüber Institutionen. Eltern äußerten zudem Misstrauen gegenüber der Regierung -
und mit dem Gesundheitswesen verbundenen Institutionen & ihren Motiven, für Impfungen zu werben. Die Studie nennt als Grund für dieses Misstrauen in Regierung & Institutionen Zweifel über die Beziehung dieser Institutionen zur Pharma-Industrie.
Der Verdacht gegenüber der Verbindung zwischen z.B. Regierung und Pharma bewegt sich auf einem Spektrum - von nicht ganz geklärt bis zu einer ausgewachsenen Verschwörung. Manche Eltern verdächtigen einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Interessen und Impfforschung.
Daraus wiederum folgten Zweifel über die Vertrauenswürdigkeit, was dann verallgemeinert wurde und zu generellem Zweifel an bis hin zu Ablehnung von "offiziellen" Impf-Informationen führte. Dazu zählt auch der Glaube, dass es keine Langzeit-Studien zu Impfungen gäbe.
Diese Ansichten führten auch dazu, dass Eltern Ärzt*innen nicht mehr vertrauten - auch hier wieder Stichwort Pharma-Industrie. "Impf-zögerliche" Eltern waren folglich nicht der Meinung, dass Ärzt*innen eine neutrale Informationsquelle ohne Agenda sind.
Einige fühlten sich von ihren Ärzt*innen auf Grund ihrer Hin- und Hergerissenheit zudem übergangen oder nicht ernst genommen, was ihre Ablehnung gegenüber Impfungen nur noch verstärkte. Zudem fühlten sie sich unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen.
Misstrauen gegenüber den Medien lag laut der Meta-Studie darin begründet, dass sie das "medizinische Establishment" unterstützen würden. So werde eine wirkliche Debatte über Impfungen unterdrückt.
Die Ansicht, dass der Körper eine natürliche Art hat mit Krankheiten umzugehen und
...Impfungen daher "unnatürlich" seien. Manche glauben, Impfungen würden der Immunisierung durch Stillen entgegenwirken. Oft genannt wird auch die angst vor einem angeblichen "Impfungs-Overload". Zudem würden frühe & Mehrfach-Impfungen den Körper überfordern.
Besonders wichtig ist auch der Themenbereich, den wir am besten "Leben ohne Giftstoffe" nennen. Hier kommen wir in den Bereich der sog. "Alternativmedizin": Impfungen werden als unnatürlich und dadurch toxisch angesehen, ei Gift, vor dem Eltern ihre Kinder beschützen wollen.
Eltern wollten zudem Entscheidungen über die Gesundheit ihres Kindes selbst treffen, ihren Ansichten gemäß. Religion und Spiritualität wird in diesem Zusammenhang auch genannt. Manche gläubige Eltern gaben an, die Gesundheit ihres Kindes sei in Gottes Verantwortung.
(Morgen geht es weiter. Gute Nacht!)
Wer meine Arbeit unterstützen möchte und kann - hier ist der Link zu Patreon. Es gibt dort Threads in Textform, Bonus Content, Hundebilder, Abstimmungen uvm. - eure Unterstützung ermöglicht es mir, weiter Zeit in detaillierte Threads zu stecken 💕patreon.com/annikabrocksch…
Eine weitere wichtige Kategorie ist laut der Meta-Studie das Level an Information - und vor allem die Qualität - über Impfungen, das die Eltern besitzen. Das können wir noch etwas weiter aufdröseln: Das setzt sich aus verschiedenen Unterthemen zusammen.
Mangelnde Information, der Umgang mit Ambivalenz und der Rückgriff auf und das Vertrauen in "alternative" Quellen zur Information. Als besonders wichtig wird bspw. beschrieben, dass Eltern das Gefühl haben wollen, wirklich umfassend über Impfungen informiert zu sein.
U.U. empfanden die Eltern, dass die behandelnden Ärzt*innen sich zu wenig Zeit nahmen und sie deswegen der Meinung waren, nicht umfassend über das Thema Impfen informiert zu sein - was sich negativ auf die "Impfentscheidung" auswirkte.
Eltern äußerten zudem den Eindruck, dass es nicht genügend Information über die Nebenwirkungen von Impfungen gebe und sie es deswegen schwierig fanden, eine Entscheidung zu fällen. Was die Kategorie "Ambivalenz" angeht, sagten Eltern, dass es ihnen schwer viele, mit Ambivalenz
umzugehen - sie hatten oft den Eindruck, es gebe nur fragmentarische oder unvollständige Information zum Thema Impfungen, im Bezug auf die Medien wurden Informationen oft als voreingenommen wahrgenommen. Infos seien widersprüchlich und generell nicht zuverlässig.
Kommen wir nun zu den "alternativen Quellen": das bezieht sich auf Quellen jenseits der "offiziellen" - Regierung, Institutionen, Medien, Ärzt*innen - vor allem anekdotische Evdienz von Freund*innen und Verwandten,
eine große Rolle spielt auch das Internet als Quelle.
Aber auch Lifestyle- und Eltern-Magazine wurden genannt. Diese "alternativen" Informationen wurden dann mit den "offiziellen", medizinischen Informationen verglichen, ohne die unterschiedliche Gewichtung in die Abwägung mit einzubeziehen.
Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh.

Keep Current with Annika Brockschmidt

Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!