Ich nehme nicht in Anspruch, Sprecher einer „linken Ökonomie“ zu sein,versuche mich aber einmal,zu erklären,wie ein keynesianisches Narrativ für die dt. Arbeitsmarktentwicklung aussieht. (U.a. haben @GustavAHorn oder @PeterBofinger darüber geschrieben)
Der Arbeitsmarkterfolg ab 2007 kann nur im Kontext der Wachstums-/Beschäftigungsschwäche in den Jahren davor (insbesondere 2000-2005) verstanden werden. 2/
Was wäre eine keynesianische Erklärung für diese Arbeitsmarktschwäche? Nach meiner Einschätzung (aber hier divergiert etwa Flassbeck, aber auch andere) war die Deutsche Mark nach der EWS-Krise Mitte der 1990er Jahre etwas überbewertet 3/
und Deutschland ist leicht überbewertet 1998 in den Euro gestartet. Mit dem Abschwung 2000 reagierten Tarifpartner darauf mit Lohnzurückhaltung. Die Finanzpolitik schaltete ab 2001 auf Austeritätskurs, um den Wachstums- und Stabilitätspakt einzuhalten. 4/
Der öffentliche Sektor wurde z.T. zum Vorreiter für Lohnzurückhaltung, andere Sektoren folgten. Die folgende Reallohnstagnation und staatliche Nachfrageschwäche führte zu einer Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage 5/
in den ersten Jahren der 2000er. 2001 und 2002 schwächelte zudem die Weltwirtschaft nach den Anschlägen vom 2001 und der Unsicherheit um den Irakkrieg. Probleme im Bankensektor beschränkten zudem das Kreditwachstum. 6/
Weil für Deutschland (anders als in vergleichbaren Ländern) damit ALLE Nachfragekomponenten schwächelten, stagnierte das dt. Wachstum, Beschäftigung ging verloren und die Arbeitslosigkeit stieg. 7/
Mitte der 2000er Jahre (eigentlich schon 2002/3) war die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt und die Exporte begannen zu steigen. 8/
Immer neue Austeritätsmaßnahmen und langsames Lohnwachstum schwächten aber die Binnennachfrage weiter und verhinderten hohe Kapazitätsauslastungen, die zu einem Anspringen der Investitionen und damit zur Arbeitsmarktwende geführt hätten. 9/
Ergebnis war die gespaltene Konjunktur: Der Export lief recht gut, der Rest der Wirtschaft aber nicht. Ab 2006 war es zunächst eine Beschleunigung des Exportwachstums, vor allem aus China und anderen Schwellenländern, die zu steigenden Kapazitätsauslastungen führten. 10/
Unter der Kanzlerin Merkel stiegen die realen Staatsausgaben wieder und ab 2007 legten auch die Löhne (nominal wie real) wieder schneller zu. In der Summe führte das zu einer robust wachsenden Binnennachfrage und damit wachsender Arbeitsnachfrage und Beschäftigung. 11/
Was hat jetzt #Hartz4 danach beigetragen? Man könnte argumentieren, Hartz4 habe die Lohnzurückhaltung noch etwas verlängert. Da nach meiner Analyse die Lohnkosten aber bereits 2004 schon kein Problem mehr waren, 12/
wäre der Beitrag zum Aufschwung danach beschränkt. Vielmehr kann man a.m.S. argumentieren, dass die Angst vor der Reform die Unsicherheit in der Bevölkerung erhöht und damit eine Erholung der Konsumnachfrage verzögert hat. 13/
Die Organisationsverbesserungen in der BA mit den anderen Hartz-Reformen mögen eine begrenzte Rolle gespielt haben, aber angesichts dessen, dass die meisten Menschen immer noch aus ALG I einen neuen Job finden, und das alleine, 14/
deutet aus meiner Sicht darauf, dass man dies nicht überbewerten sollte. 15/
Jetzt kann man wie hier auf Twitter anmerken, dass diese Geschichte doch nicht von „Linken“ vorgebracht werden könne, weil die Regierungen unter Merkel so gut wegkämen. 16/
Hier geht es aber nicht um politische Präferenz, sondern um Analysen. Und da würde ich sehr klar sagen, dass die Regierungen Merkel 1, Merkel 3 und Merkel 4 (nicht aber Merkel 2 in der Euro-Krise) makroökonomisch eine bessere Politik gemacht haben als die Regierung Schröder./END
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Angesichts der aktuellen Debatte, wie man Fachkräfte zur Mehrarbeit bringen kann und welche Rolle die Frauenerwerbstätigkeit dabei spielt, ist ein Blick auf die Daten hilfreich. Wie so oft mit Empirie: Es gibt Überraschungen! Ein 🧵 1/
Grundsätzlich: Seit den frühen 1990ern und auch gegenüber 2006 ist Gesamterwerbstätigkeit vor allem bei Frauen gestiegen. 2/
Besonders deutlich ist der Effekt bei älteren Frauen, der Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt hat sich bei vielen nach hinten verschoben. Und ab Mitte 40 steigt die Erwerbstätigkeit sogar noch einmal und liegt bei den älteren Jahrgängen höher als bei den Jüngeren. 3/
Die Idee von @c_lindner , #Überstunden steuerfrei zu stellen, ist nicht neu. Im Herbst war sie bereits von der CDU ins Gespräch gebracht worden. Die Idee bleibt aus meiner Sicht aber eine schlechte Idee, aus einer ganzen Reihe von Gründen: 1/
Erstens gibt es keinerlei empirische Evidenz, dass Beschäftigte in relevantem Maß derzeit Überstunden jenseits der Vollbeschäftigung ablehnen würden, weil heute die Steuerbelastung zu hoch wäre. Von daher ist der Effekt auf das Arbeitsangebot unklar. 2/
Zweitens schafft eine Besserstellung von Überstunden den Anreiz bei den Unternehmen, lieber auf überlange Arbeitszeiten zu setzen, statt Nachwuchs zu rekrutieren oder auszubilden oder bei Teilzeitbeschäftigten die Voraussetzungen für Mehrarbeit zu schaffen. 3/
Weil das bei einigen ÖkonomInnen in der Debatte wild durcheinander zu gehen scheint:
Die EU-Lieferkettenrichtlinie sollte nie europäische oder deutsche Arbeitsstandards weltweit durchsetzen.
Es geht vielmehr um grundlegende Menschenrechte und @ILO -Kernarbeitsnormen. 1/
Dabei geht es um Dinge wie das Verbot von Sklaven- und Zwangsarbeit ebenso wie Kinderarbeit, die Garantie grundsätzlicher Organisationsfreiheit sowie des Diskriminierungsverbots aufgrund von Ethnie, Geschlecht oder Religion. 2/
Wer es im Detail nachlesen will: Hier die Liste der Normen, die durch die EU-Richtlinie geschützt werden sollte:
(Übrigens überwiegend von den meisten Ländern weltweit unterzeichnet.) 3/eur-lex.europa.eu/resource.html?…
Neuer @IMKFlash Policy Brief von Lukas Endres zur CO2-Bepreisung und #Klimageld.
Ergebnis: Ein – wie absehbar ab 2027 stark steigender – CO2-Preis würde auch in der Mitte der Verteilung zu vielen VerliererInnen führen. Ein 🧵 1/ imk-boeckler.de/de/faust-detai…
Was haben wir gemacht? Wir haben mit Haushaltsdaten aus der Einkommens-und Verbrauchsstichprobe errechnet, wie stark ein CO2-Preis von 275 €/t im Jahr 2030 Haushalte jeweils belasten würde und eine Entlastung durch eine volle Rückerstattung mit einem Klimageld gegengerechnet. 2/
Das Ergebnis: Es bleiben fast 5 Mio. Hauhalte (etwa 11 %), die netto (also nach Zahlung des Klimageldes) stark belastet bleiben, im Saldo mehr als 2 % ihres Nettoeinkommens verlieren. Dabei sind dies nicht reiche Haushalte, sondern verstärkt jene in der Mitte der Verteilung. 3/
Aktuellen Debatten vermitteln den Eindruck, in Deutschland seien die Sozialausgaben explodiert und der Staat über alle Maße aufgebläht worden.
Ein genauer Blick auf die OECD-/EU-Statistiken offenbart: Dieser Eindruck ist von Fakten nicht gedeckt.
Ein 🧵1/
Fangen wir einmal mit dem Wachstum der realen öffentlichen Sozialausgaben der vergangenen 20 Jahre an.
Hier liegt Deutschland bei den OECD-Ländern ziemlich weit hinten - d.h. die Sozialausgaben sind WENIG gewachsen. 2/
Nun könnte man denken, 🇩🇪 habe halt schon vor 20 Jahren einen im internationalen Vergleich aufgeblähten Sozialstaat gehabt, wie sieht es also mit Sozialausgaben relativ zur Wirtschaftsleistung aus? Auch hier ist Deutschland im Vergleich der reichen OECD-Länder unauffällig. 3/
I spent the past 10 days in the US, just when the German supreme court ruling on the budget came down. I talked to a host of economists, officials and trade unionists.
All were flabbergasted by the German debate. 1/
Specifically in DC, questions on Germany focused on how we deal with the challenge of a rising China, with growing competition because of aggressive industrial policy in the US and China, and with the military and security challenge posed 2/
by a potential election victory by Donald Trump in 2024. It was widely assumed that Trump in a new term might end the support of Ukraine, but might also be not a reliable NATO partner for Europe anymore, leaving 3/