My Authors
Read all threads
Warum nach Polizeigwalt Aussagen wie

"man hätte einfach kooperieren sollen"

"die Gesetze gelten für uns alle"

"zur Geschichte gehört, was davor passiert ist"

"Kriminelle sollen sich nicht beschweren"

"Polizisten sind auch nur Menschen"

für den Diskurs nutzlos sind.
Videos von Polizeigewalt sind uns allen nicht neu. In den letzten Tagen jedoch häuften sich welche aus Deutschland. Unweigerlich erinnern sie natürlich an Videos aus den USA.
Insbesondere auch deshalb, weil die Parallelen offensichtlich sind und der Fall George Floyd international zu einer intensiven Aufmerksamkeit für das Thema geführt hat.
Es ist ein emotionales Theme und vor allem Minderheiten, die sich von Polizeigewalt häufiger betroffen sehen, machen auf die Problematik aufmerksam. Die oft viral gehenden Videos bedeuten gleichzeitig dutzende Kommentare;
viele mit den eingangs erwähnten Aussagen, denen eine relativierende oder gar rechtfertigende Absicht zugrunde zu liegen scheint. Wir nehmen, passend zum Diskurs in Deutschland, zwei Videos aus den letzten Tagen als Fallbeispiele. Das erste aus Düsseldorf, das zweite aus Hamburg.
Halten wir zunächst einige Fakten fest.

Correctiv stellte fest, dass nur 1,37% der Fälle von vorgeworfener Polizeigewalt zu einer Anklage führen. Bei Vorwürfen des Amtsmissbrauches sind es lediglich 0,74%.
In Österreich haben laut der Studie "Being Black in the EU" 37% aller befragten Schwarzen Erfahrung damit, häufig von der Polizei grundlos kontrolliert zu werden, in Deutschland sind es 14%.
Racial Profiling, die aufgrund rassistischer Merkmale stattfindende Kontrolle bestimmter Personengruppen ist also ein offensichtliches Problem der Polizei. Es trifft manche deutlich stärker als andere. Und das ist kein Geheimnis.
2014 forderte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) von deutschen Behörden, Racial Profiling zu stoppen und den "Aktionsplan gegen Rassismus und Intoleranz", der nun seit 12 Jahren nicht aktualisiert wurde, zu reformieren.
Man kann also zweifelsohne sagen, dass die Polizei mit bestimmten Personengruppen anders umgeht und bislang keinen Plan hat, das zu ändern.
Bekannterweise sollte eine Studie Racial Profling in den Polizeibehörden untersuchen, welche jedoch vom Innenministerium unter Horst Seehofer (CSU) gestoppt wurde.
Video 1: Düsseldorf.
Video 2: Hamburg.
Kommen wir zu den zwei Videos. Sie sind deshalb als Fallbeispiele geeignet und interessant, weil sie verdeutlichen, dass die Debatten nach dem Fall George Floyd nicht gefruchtet haben.
Auf dem ersten Video ist zu sehen, wie mehrere Polizeibeamte einen Minderjährigen fixieren und wie im Fall George Floyd das Knie auf Hals und Kopf legen. Es ist ersichtlich, dass eine so drastische Fixierung bei der Anzahl der Beamtinnen und Beamten nicht notwendig ist.
Im zweiten Video gehen sieben Polizeibeamtinnen- und Beamte auf einen 15-jährigen Jungen los, der während der Fixierung auf dem Boden "ich kriege keine Luft" ruft. Hinter ihm ist ein Grafitti mit den Worten "I can´t breathe" auf der Wand.
Im Fall von Hamburg, dem zweiten Video war der Jugendliche zuvor nicht kooperativ. Das ist erwähnenswert. Aber nicht, weil sich dadurch die hässliche Szene rechtfertigen lässt. Der Junge ist sichtlich überfordert gewesen. Er atmete schwer, schwitzte stark und wirkte verwirrt.
Die Polizei sollte reichlich sensibilisiert sein, wie man in einem solchen Moment mit einem Minderjährigen mit solchen Erscheinungen umgeht. Grobe Gewalt kann da nur schwierig die richtige Antwort sein. Auf psychische Probleme reagiert man anders.
Erst recht, wenn es um Minderjährige geht, wo pädagogische Kompetenz nicht als hilfreicher Zusatz, sondern als Grundbedingung zu verstehen sein sollte.
Sollte Gewaltanwendung nötig sein - und das ist sie nunmal manchmal - stehen Beamtinnen und Beamte in der besonderen Verantwortung, maßvoll zu sein. Ja, sie sind auch nur Menschen. Aber Menschen mit Waffen, Uniform und expliziter Sonderstellung.
Die Polizei hat den staatlichen Auftrag als Exekutive das Recht umzusetzen. Dafür zahlen Bürger Steuern und das ist an sich kein Problem. Wenn Bürger das Recht brechen, müssen sie mit polizeilicher und juristischer Verfolgung rechnen. Die Polizei theoretisch auch.
Praktisch (siehe zuvor) ist die Verfolgung aber kaum erwähnenswert vorhanden. In ihrer Rolle als Exekutive sollte die Polizei allen Bürgern dienlich sein.
Wenn ein Polizeieinsatz bei einem 15-Jährigen, der "ich kann nicht atmen" ruft, zu Todesangst führt, ist das eine Situation, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Das Vorher und Nachher ist nicht relevant, wenn Bürger bei Berührung mit der Staatsgewalt um ihr Leben fürchten.
Eine Polizei, die zu solchen Empfindungen und Assoziationen führt, erfüllt ihre Aufgabe, für Recht zu sorgen, in solchen Situationen nur bedingt. Denn Recht ist auch, dass Bürger keine Angst um ihr Leben haben sollen.
Nachtrag: Der 15-jährige Junge aus Hamburg ist „zu schnell mit einem E-Scooter auf dem Bürgersteig gefahren“. Das war sein Verbrechen. Zudem hat er eine Behinderung. Es ist verrückt, diese Worte schreiben zu müssen.
Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh.

Keep Current with Tarek Baé

Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!