Thread by @janfleischhauer

Ich habe gestern Abend ein Photo gepostet, das ein Banner zeigte, das Greenpeace vor ein paar Wochen am Reichstag angebracht hatte. Dazu schrieb ich: „Allen zur Erinnerung, die jetzt die Entweihung des Reichstags durch eine politische Demonstration beklagen.“ 1/12

Große Empörung hier auf Twitter. Ich wolle Reichskriegsflaggen mit Umweltprotest gleichsetzen. Wer den Unterschied nicht erkennen könne, habe sich aus dem Kreis ernstzunehmender Journalisten verabschiedet.
2/12

Davor hatte ich eine Umfrage von RTL retweetet, wonach 91 Prozent der Deutschen die Corona-Demonstrationen mit Befremden sehen. Auch das führte zu heftigen Reaktionen, diesmal von der anderen Seite. Tenor: typisch Mainstreamjournalist, der gefälschten Statistiken glaubt. 3/12

Die Empörung hängt zusammen, die Aufregung bedingt einander. Es gibt eine seltsame Lust, die Demokratie in Gefahr zu sehen, das scheint mir das verbindende Element. Schon bei der Bewertung von Macht und Größe der Corona-Demonstrationen schwankt man deshalb links der Mitte. 4/12

Einerseits beruhigt man sich damit, dass es ja nur 30.000 seien, die sich vor dem Brandenburger Tor versammelt hätten. Dann wieder überbietet man sich gegenseitig beim Nazi-Zählen. 5/12

Einige hellsichtige Beobachter haben darauf hingewiesen, dass man den Leuten, die ihre selbstgebastelten Fahnen schwingen, keinen größeren Gefallen tun kann, als sie im Größenwahn zu bestärken, sie würden mit ihrem Ruf nach „Widerstand“ die Demokratie ins Wanken bringen. 6/12

„Niemand hat "den Reichstag gestürmt’“, schrieb @abususu von @DIEZEIT. „Rechtsextremisten haben die Polizeiabsperrung überrannt & es auf die Treppen des Reichstagsgebäudes geschafft.“ Aber die Empörungsbereitschaft und die Lust am Nazigrusel sind bei vielen stärker. 7/12

Ich glaube, dass unsere Demokratie es mühelos aushält, wenn ein Trupp Demonstranten in einem Moment der Unachtsamkeit bei der Polizei die Absperrungen vor dem Reichstag überwindet. Es ist übrigens schwieriger ins Parlament hineinzugelangen, als manche vielleicht vermuten. 8/12

Was den Greenpeace-Protest angeht: Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Reichskriegsflaggen und Antikohle-Bannern. Wer das nicht erkennt, wäre in der Tat nicht ernst zu nehmen. Aber darum geht es in dem Fall nicht. 9/12

Entweder man hält den Reichstag für ein Gebäude, das besonders geschützt gehört oder nicht. Die Bannmeile unterscheidet aus gutem Grund nicht zwischen rechten Symbolen und politisch willkommenen Losungen. 10/12

Man sollte seine Maßstäbe nicht ständig den Gegebenheiten anpassen. Bin ich der einzige, der es seltsam findet, wenn Leute, die eben noch jeden Polizisten für einen Rassisten gehalten haben, plötzlich jubeln, wenn sie Atilla Hildmann im Würgegriff abführen? 11/12

Auch hier: Ich halte den Polizeieinsatz für absolut gerechtfertigt. Ich würde mich nur nicht morgen wieder hinstellen und über Polizeigewalt schimpfen, wenn es dann gegen links geht. Ein bißchen mehr Konsistenz in der Argumentation wäre meines Erachtens ganz schön. 12/12

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