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Aug 31, 2020 15 tweets 3 min read Read on X
Seit gestern denke ich viel über Freundschaft und die Tatsache nach, wie wenig Kraft ich oft für Kommunikation hab. #autismus

Viele meiner Bekanntschaften werden nie zu Freundschaften oder Freundschaften werden schleichen weniger, weil mir die Kraft fehlt. 1/15
Neurotypische Kommunikation ist einfach anstrengend. Besonders bei nicht direktem Kontakt (schriftlich/Sprachnachrichten) muss ich erstmal die ankommende Nachricht für mich "übersetzten".
Was bedeutet dieser Smiley? War das jetzt Sarkasmus? Was erwartet mein Gegenüber? 2/
Gerade das mit den Erwartungen ist schwer, weil viele neurotypischen Menschen andere Dinge erwarten als ich.
Ich mag es z.B. Lösungen und konstruktive Vorschläge auf Probleme zu bekommen und hab früher deswegen genau so auf andere Probleme reagiert. 3/
Das hat oft für Irritation oder sogar Genervtheit, Wut und Rückzug gesorgt bei meinem Gegenüber. Weil mein Gegenüber gerade Bestätigung und Zuhören oder Trost erwartet hat und meine Reaktion gar nicht zu seinen Bedürfnissen passte. 4/
Dieses Übersetzten ist teilweise echt anstrengend, weil ich meine "imaginären" Listen durchgehe, wie die Person X das in vorherigen Situationen meinte oder wie andere neurotypische Menschen das in ähnlichen Situationen meinten und filtere die höchste Wahrscheinlichkeit raus. 5/
Und dann muss ich meine Reaktion ja auch in "neurotisch" übersetzten. Könnte meine Antwort zu sachlich/unhöflich sein? Zu kühl/desinteressiert? Oder zu neugierig, zu viel? Ein monologartiger Berg Text? Zu unpassend, weil ich was falsch verstanden habe? 6/
Ich grüble viel über die richtige Reaktion, weil die meisten neurotypischen Menschen (zum Teil unterbewusst) neurotypische Antworten fordern auch wenn sie wissen, dass ich Autistin bin, und ich schon oft kritisiert wurde weil meine Antworten jetzt "voll unempatisch", 7/
"im Ton vergriffen", "unhöflich" waren, obwohl sie einfach schlicht sachlich waren und ich die sprachlichen "Blümchen" weggelassen hab, die neurotypische Menschen nutzen um etwas "netter" zu verpacken. 8/x
Die kommunikative Übersetzungslast und Verantwortung liegt oft völlig bei mir.
Das macht es anstrengend. An manchen Tagen hab ich nur Löffel für 1-2 Gespräche, an manchen Tagen gar keine.
Und dann passiert es, dass ich ewig nicht antworte, weil die Kraft fehlt 9/x
Mein Gegenüber erkennt diese Barrieren trotz Erklärung nicht. "Also zumindest kurz mal zurückschreiben kann man doch, dauert ja nur 10 Sekunden" oder "Also wenn du nichtmal auf eine Nachricht antworten kannst, dann kann ich dir ja nicht wichtig sein" sind typische Reaktionen 10/
Gleichzeitig erkenne ich kleinste Veränderungen in der Kommunikationsstruktur sofort (anderes Antwortverhalten, andere Wortwahl, andere Textlänge...) und kann aber das "Warum" nicht deuten.
Das macht mir oft Angst (Sozialphobie :( ), ich beziehe alles auf mich, 11/
überlege ob meine Reaktion falsch war, meine Antwort unpassend oder ich einfach nur zu nervig/langweilig/uninteressant/weird bin, weil ich es selbst nicht mitbekomme, wenn ich z.B. wieder ewig über mein Spezialinteresse monologisiert habe und andere genervt sind. 12/
Das führt dazu, dass ich mich bei diesen Personen noch mehr zurückziehe und Kommunikation nur noch als Reaktion stattfindet, weil ich mich nicht traue, bei den Menschen den ersten Schritt zu machen, weil das Einschätzen und "Übersetzen" noch schwerer ist. 13/
Und das führt wohl dazu, dass mein Gegenüber sich in den meisten Fällen irgendwann auch keine Mühe mehr gibt, weil von mir zu wenig kommt, obwohl das "Wenig" alles ist wofür ich die Kraft habe und trotzdem nicht gesehen wird. 14/
Mich macht das traurig. Ich hab einige Menschen "verloren", die mir wichtig waren. Und viele interessante Menschen nie nah genug an mich ran gelassen um zu sehen, ob sie mir wichtig werden könnten.
15/15

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Oct 3, 2020
cn: behindertenfeindlichkeit, erbrechen

Thread: Augenkontakt und #autismus

Ich bin in meiner späten Grundschulzeit diagnostiziert worden und mir wurde der Augenkontakt in ABA-ähnlicher Maßnahme beigebracht.
Und ja, mir hat es geschadet! 1/12
Ich kann mich noch an die Stunden erinnern, an denen ich dort saß und meine einzige Aufgabe war "Schau mich an".
Der Therapeut war nett, es gab keine Bestrafung, von außen wirkte das bestimmt alles gar nicht schlimm und nicht gewaltvoll.
In meinem Inneren war es schrecklich. 2/
Ich KONNTE nicht. Augenkontakt war für mich furchtbar anstrengend, ich konnte niemanden anschauen und gleichzeitig denken. Nach Augenkontakt war meine Energie für den Tag komplett aufgebraucht. Außerdem fühlte es sich unangenehm und eklig an. 3/
Read 12 tweets
Aug 1, 2020
#autismus

Ich bin heute mit der Serie #LoveOnTheSpectrum durch. An vielen Stellen war ich sehr berührt von den Protagonist*innen und ihrer authentischen Art. Meiner Meinung nach zeigt die Serie viele unterschiedliche Aspekte des Spektrums statt zu stereotyp zu sein. 1/8
Gleichzeitig war es deswegen schwer für mich, diese Serie zu sehen. Besonders die Szenen mit Olivia waren für mich wie ein Spiegelbild meiner Vergangenheit. Und sie hätten ein Spiegelbild meiner Gegenwart sein können, wenn ich in meiner Kindheit und Jugend nicht gelernt hätte 2/8
mich so massiv anzupassen zu müssen um zu funktionieren. Um ein neurotypisches Bild von mir zu erschaffen. Anpassung bis kurz vorm Zusammenbruch um für mein neurotypisches Umfeld "richtig" zu sein. 3/8
Read 8 tweets
May 10, 2020
CN Tod

Lieber Papa,
die meiste Zeit denke ich gar nicht mehr an dich, vergesse, wie sich deine Stimme angehört hat und all die anderen kleinen Dinge.
Aber an manchen Tagen, so wie heute an deinem Geburtstag, da zerreist es mir das Herz, dass du nicht mehr da bist.
Auch nach 23 Jahren noch hat die Zeit nicht alle Wunden geheilt. Und das kleine Mädchen in mir ist immer noch wütend, dass du gestorben bist und mich so völlig alleine gelassen hast in dieser Welt, die ich damals nicht verstanden habe.
Du warst mein Leuchtturm.
Du warst der Einzige, der mich bedingungslos liebte und mich angelächelt hast statt genervt den Kopf zu schütteln, wenn ich wieder etwas seltsames getan habe. Du hast mir die Haare gewuschelt und gesagt "So bist du eben, das ist okay kleines Sternchen".
Read 4 tweets
Apr 22, 2020
Momentan komme ich jeden Tag völlig überreizt und erschöpft von der Arbeit nach Hause. Das anstrengenste für mich als autistischer Mensch ist gerade, dass es jeden Tag neue Regeln und Anordnungen gibt, teils so willkürlich, dass sie schon am nächsten Tag verworfen werden, 1/4
teils so, dass sie meinen Aufgaben widersprechen (die ich trotzdem ausführen muss).
Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen, habe mich so wohl gefühlt mit der richtigen Mischung aus strukturierten Ritualen und der Möglichkeit zu eigenständigem und kreativem Arbeiten. 2/4
Jetzt gehe ich mit Unwohlsein zur Arbeit, weil ich meinen Tag nicht im vorhinein strukturieren kann und mich jeden Morgen auf der Arbeit ein "Überraschungspaket" mit neuen Regeln und Anforderungen erwartet. Ich schlafe schlecht, ich wache nachts auf und denke drüber nach was 3/4
Read 4 tweets
Mar 20, 2020
cn food, cn essstörung

Ich bin autistisch und habe schon seit meiner Kindheit große Probleme mit dem Essen.
Das wird ein kleiner Thread dazu, wie sehr Corona und die Hamstereinkäufer alles noch viel schwerer und problematischer für mich machen. 1/
Ich tue mir schwer mit Geschmack, Konsistenz, Geruch. Das meiste Essen ist für mich reizüberflutend und kostet mich Kraft.
Ich teile mein Essen in drei Kategorien. "Comfort-Food", "Kann ich essen" und "Geht gar nicht".
2/
Comfort-Food kann ich immer essen, auch an Tagen, an denen ich schon reizüberflutet bin und an denen es mir nicht gut geht. Dieses Essen ist für mich keine zusätzliche Reizüberflutung und kostet mich keine Kraft, sondern gibt mir Sicherheit und ein gutes Gefühl. 3/
Read 13 tweets
Jul 4, 2019
Ich musste gestern den Versuch #Elternschule zu sehen, abbrechen. Ich saß weinend und zitternd vorm Bildschirm, weil dieses "Esstraining" so viele alte Situationen meiner Kindheit wachgerüttelt hat.
CN: Food

Auch ich war ein sehr wählerisches Kind. Vor meiner Autismusdiagnose waren Ärzte und die Gesellschaft der Meinung, dass man bei mir nur mal konsequent sein müsse, damit ich "richtig" essen lerne. Meine Mutter beugte sich dem Druck und probierte es mehrmals.
CN: Food

Sie hat nur die gezeigte "Entweder du isst oder du hast halt Hunger" Methode angewandt, keine sonstige Gewalt. Trotzdem hat mich das traumatisiert und zu einer Esstörung geführt. Ich kann mich noch an Situationen erinnern, die ich lieber vergessen will.
Read 9 tweets

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