Zwei Takte zu dem immer wiederkehrenden konservativen / "liberalen" Geraune von "Ideologie", wenn es um progressive Politik geht. Thread.
Dieser Talking Point (gerne in Verbindung mit Wendungen wie "Schaum vor dem Mund") hat zwei Ziele:
#1 Diskreditierung des Gegenüber (kann nicht rational denken, darum nicht ernstzunehmen)
#2 Zementierung des Status Quo
Letzteres würde ich gerne näher ausführen:
Konservative benutzen den Vorwurf "Ideologie" immer dann, wenn etwas verändert werden soll, was sie nicht verändern wollen.
Sei das aus wirtschaftlichen Eigeninteressen, Furcht um Wählerstimmen oder einfach einer fehlenden Vision für & Angst vor Zukunft + Wandel.
Dazu ein paar Beispiele; Nummer 1:
Das Tempolimit auf Autobahnen.
Es gibt quasi kein einziges rationales Argument dagegen. So gut wie alle europäischen Nachbarländer haben es, es ist gut für das Klima & führt zu weniger Unfalltoten.
Trotzdem schreit die FDP "Freie Fahrt für freie Bürger" (was für ein trauriger Freiheitsbegriff?) Und die CSU + deren Fraktion verbreiten sogar Falschnachrichten dazu.
Der CSU ist es (als Regierungspartei, wohlgemerkt) auch nicht zu dumm, eine Onlinekampagne dazu zu fahren.
(Man beachte in den Screenshots oben die Verwendung des Wortes "Wahn", die (wie in Tweet 2 beschrieben) dazu dient, dem Gegenüber (natürlich ohne jegliche Argumente) das vernunftbegabte Denken abzusprechen)
Es geht irgendwann sogar so weit, dass ein Rückgriff auf Folklore stattfindet und Begriffe wie "Tradition" herangezogen werden, um die eigene, haltlose Position zu stützen. So wird z.B. das Tempolimit zum "Kulturgut" verklärt.
Zum Thema Folklore komme ich gleich nochmal zurück.
(Ich wünschte übrigens, das Bild mit dem Turnbeutel hätte ich selbst erstellt, aber nein, der wird so verkauft)
Übrigens: Selbst der ADAC, nicht gerade als Leuchtturm für fortschrittliche Verkehrspolitik bekannt, sperrt sich nicht mehr grundsätzlich gegen ein Tempolimit.
Bitte sagt es mir: Welche Seite argumentiert hier nun ideologisch und welche Seite nicht?
Beispiel Nummer 2: Das Auto (und die Autoindustrie) generell.
Es ist glasklar, dass der Verbrennungsmotor keine Zukunft mehr hat. Er wird verschwinden und ein Relikt werden wie heute die Trabis, die auf Safari durch Berlin-Mitte fahren.
Die deutsche Autoindustrie hat so lange gelogen & betrogen, anstatt an Antrieben der Zukunft zu arbeiten, bis sie a) aufgeflogen und b) technisch überholt war. Jetzt baut Tesla eine Autofabrik in Berlin & die hochgelobten deutschen Autobauer haben einfach NICHTS entgegenzusetzen.
Trotzdem schwadronieren Konservative von grüner Ideologie und einem "Kulturkampf gegen das Auto" (s.o. zum Punkt über Folklore und Tradition)
Schaut euch dazu dieses Interview mit dem verkehrspol. Sprecher der FDP im BT @OlliLuksic an, der seine eigene ideologische Verblendung meisterhaft in Rationalität zu verpacken weiß und sich weder von Expert*innengutachten noch Argumenten beirren lässt:
Jede*r, die oder der ein bisschen aufpasst, weiß, dass die deutsche Autoindustrie sterben wird, wenn sie so weitermacht wie bisher, sich dem technologischen Wandel verweigert und stattdessen betrügt und mit ihrem Cheflobbyisten Andreas Scheuer notwendige Maßnahmen verhindert.
Kurzer Einwurf zu diesem Sprachbild "sterbende Autoindustrie": Eine weitere Methode, den rationalen Diskurs zu untergraben, Emotionalität und Fürsorge hervorzurufen, wo diese Konzepte überhaupt nicht anwendbar sind.
Man könnte fast meinen, hier wären Ideologen am Werk 😏
Glaubt ihr nicht? Don't take it from me:
WIE ideologisch, emotionsverblendet und vollkommen losgelöst von Fakten und Realitäten der Kampf um den Verbrennungsmotor geführt wird, zeigt dieses Video ganz gut.
Auch hier die Flucht in die Folklore, wenn rationale Argumente ausgehen.
Das geht irgendwann so weit, bis die Ewiggestrigen einfach die Realität komplett verweigern, eine eigene kreieren und sich lieber vollends der Lächerlichkeit preisgeben, als einzugestehen, dass sie falsch lagen:
Wer trotz erdrückender Beweislage weiter behauptet, das seien "Einzelfälle", lügt entweder vorsätzlich oder (Überraschung) ist ideologisch vollends verblendet.
Saskia Esken wurde von den Rechtsauslegern in der Union fast gekreuzigt, als sie ein "latentes" Problem ansprach.
Aber was nicht sein DARF, kann auch nicht sein. Darum wird das Fort gehalten, auch ohne rationale Argumente.
Auch hier wieder: Folklore. Unsere Jungs in blau, die die Knochen hinhalten, wie kann man es wagen, sie zu kritisieren und unter Generalverdacht zu stellen.
Auch hier hat die CSU wieder ganze populistische Arbeit geleistet, eine Kampagne gestartet und damit dafür gesorgt, dass fortan fast alle nur noch von Einzelfällen sprechen, selbst Esken.
Erst jetzt, wo noch ein Netzwerk, dieses Mal in NRW, aufgedeckt wurde und selbst Innenminister Reul eingestehen muss, dass es sich eben NICHT um Einzelfälle handelt, wird es langsam ruhig um diejenigen, die u.a. über Esken hergefallen sind.
Man beachte auch die Reuls Wortwahl "Ich habe gehofft" - klar hat er das, weil hoffen das Einzige war, das entgegen aller Indizien und Beweise noch half, seine Position aufrechtzuerhalten.
Das ist übrigens eine Blaupause für konservative Politik, egal in welchem Bereich: Probleme so lange leugnen, herunterspielen, Gegner*innen diskreditieren, bis es nicht mehr geht und es eigentlich schon zu spät zum Handeln ist.
Beispiel 4: (Gender)gerechte Sprache.
Es spricht exakt NICHTS dagegen, diese zu benutzen oder sich zumindest ein bisschen Mühe zu geben. Sprache ist permanent im Wandel und passt sich der Lebensrealität und dem Zeitgeist an.
Weil inhaltlich auch hier keine Argumente vorliegen, wird auf Ästhetik ausgewichen - das Sternchen "verhunze" die schöne deutsche Sprache (🤡) und sei "nicht auszusprechen" (weiß nicht mehr wer das geschrieben hat, aber wer SpiegelEI sagen kann, kann auch Chef*innen sagen).
Dabei sperren sich die Verteidiger des generischen Maskulinums nur dagegen, dass etwas mit der Sprache passiert, das sie nicht kennen. Und das ist oft der springende Punkt:
In einer sich so schnell verändernden Welt, in der richtig und falsch nicht mehr so klar definiert ist wie vielleicht vor 50 Jahren, verteidigen manche das generische Maskulinum als bedeutete es etwas, weil ihr Habitus, ihr Richtig und Falsch infrage gestellt wird.
Denn damit wird auch ein Teil ihrer Identität infrage gestellt - Ich KANN doch gar keine sexistische / rassistische / ableistische Sprache benutzen, weil ich bin ja gar nicht ras/sex/ableistisch - was nicht sein DARF, kann nicht sein.
Das war bei der Ehe für alle so, bei der Benutzung des n-Wortes oder beleidigenden Bezeichnungen für pikante Paprikasaucen. Und die Strategien, sich dem unvermeidlichen Wandel diesbezüglich zu widersetzen, sind auch immer gleich.
Darum, Schlussplädoyer: Wann immer der Vorwurf von (links / grüner) Ideologie im Raum steht, lohnt es sich, hinzusehen und zu prüfen, ob nicht andersherum ein Schuh daraus wird.
/Ende
Nachtrag: Herbert Reul im Interview mit Marietta Slomka.
Bitte anschauen, wie er versucht, die von vielen Seiten geforderte Studie abzuwehren, indem er sagt, man brauche "Fakten".
Wissenschaftsfeindlichkeit und Ideologie verkleidet in Realpolitik:
Nachtrag 3: WIE abgehängt deutsche Autobauer sind (auch dank absolut verfehlter Subventions- und Verkehrspolitik der Union) und wie schnell das Ende des Verbrennungsmotors kommen kann, zeigt dieser Artikel ganz gut:
Die Wortmeldungen von Kevin Kühnert und Cem Özdemir sind weder originell noch mutig - vor allem aber sind sie zweierlei: opportunistisch und strategisch unklug. Warum? 👇
1. Behaupten beide, sie würden sich trotz eines angenommenen Nutzens der Gegenseite bzw. nicht aus taktischen Gründen nun zu Wort melden.
Das ist interessant, weil komischerweise gerade die letzte Landtagswahl vorbei ist und die nächste noch in weiter Ferne liegt.
Der Terror von Solingen war am 23.08. Queerfeindliche Gewalt und Stimmung gibt es das ganze Jahr.
Warum erst jetzt?
Wollen sie womöglich sich/ihre jeweiligen Parteien in diesem von Springer, Union und weiter rechts getriebenen Race to the Bottom aus der Schusslinie nehmen?
Diese peinliche Posse um Charlotte Merz offenbart übrigens vor allem die große Achillesferse der Merz-CDU: Medienkompetenz und Selbstironie - vom Chef bis zum kleinsten Parteisoldaten.
Natürlich ist es eine Petitesse gewesen, Lutz van der Horst zurechtzuweisen. Nicht sonderlich elegant, nicht sonderlich souverän, aber nun auch kein Anschlag auf die Pressefreiheit. Eher ein Ausdruck von mangelndem Medientraining. Aber von vorn:
Merz selbst und vor allem sein Team reagieren seit jeher extrem dünnhäutig auf schlechte Presse. Unvergessen die Exzesse seines Pressesprechers @realArminPeter, der jeden bösen Journalisten, der es wagte, den Chef zu kritisieren, auf Twitter anpöbelte.
Jetzt haben die konservativen Kasper das Spiel durchgespielt:
1️⃣ Einen Popanz aufbauen, der sonst niemanden groß interessiert
2️⃣ Eine Gefahr für unsere Gesellschaft konstruieren & einen identitätspolitischen Kulturkampf um unsere Freiheit daraus machen
3️⃣ Ihn dann verbieten 🤡
Orwellsch schon fast, dass sie ihre Libertas Bavariae dabei vor sich hertragen, die natürlich nie gefährdet war, weil es schlicht und ergreifend eine Lüge war, dass irgendjemand zum Gendern gezwungen wurde.
Diese Libertas Bavariae ist übrigens auch kein Toleranzbegriff, sondern Besitzstandwahrung, s.
Das passt also ziemlich gut. Mit Freiheit meinen sie immer nur die Freiheit, genau so zu leben, wie die selbst.br.de/br-fernsehen/s…
Anhand des gestrigen Theaters zur Cannabislegalisierung schauen wir uns mal an, wie die Union sich an politischen Debatten beteiligt und aus welchen Gründen sie das so tut, wie sie es tut.
#1: Die Unionsargumentation ist gesundheitspolitische nicht kohärent. Alkohol wird stetig verharmlost und dessen Konsum öffentlich glorifiziert (s. Bilder), andere Drogen vollkommen überzogen (und ohne Grundlage entsprechender Fakten) dämonisiert. Warum?
„Die Gegendarstellung“ von @Alex_Neubacher im Spiegel Nr. 6 zeigt gut, was passiert, wenn Journalisten ihr Handwerk vor allem darin verstehen, ihre eigene Weltsicht zu bestätigen (was für diese Rubrik im Allgemeinen und Neubacher im Speziellen nichts Ungewöhnliches ist). 1/x
„Da lacht die AfD“ ist die Überschrift und gemeint sind die vermeintlichen Fehler, die die Organisatoren der aktuellen Massenproteste gegen die AfD begehen.
Neue Mitglieder würden der Berliner AfD „die Bude einrennen“, denn, festhalten: In 3 Wochen im Januar waren es 63(!). 2/x
Ja Menschenkinder, das klingt ja erstmal gar nicht so viel für eine hochpolitisierte Stadtgesellschaft und ein neues Jahr, in dem womöglich auch unabhängig von der politischen Lage viele Leute eintreten (und viele alte bereits zum Jahresende 2023 ausgetreten sind). 3/x
Hallo alle, letzten Mittwoch war mein letzter Arbeitstag nach fünf Jahren in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen und ich wollte dazu ein paar Sachen sagen.
td;dr: Guter Laden, schlechter Musikgeschmack, beste Leute.
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Also als erstes wollte ich meinen Kolleg*innen (hihihi und außen, hallo Blauhakentwitter) auch einmal öffentlich danke sagen. Wie viel Herzblut, Liebe und harte Arbeit ihr in dieses Projekt steckt, hat mich in dieser ganzen Zeit getragen. Nur Liebe für diesen Laden übrig. 🫶
Dann ein großes Dankeschön an den gesamten Bundesvorstand für die vertraute und enge Zusammenarbeit. Allen voran natürlich @emilybuening, deren Büroleiter ich wirklich außerordentlich gerne war und der ich so viel zu verdanken habe.