Thread by @fraudromedar

FRANZBRÖTCHEN-RANT
Wenn in Pressekonferenzen an Sonntagen Klassengrößen höchstens halbherzig & verpflichtende Leistungsnachweise gar nicht halbiert werden, liegen meine Prioritäten in d. Produktion von Nervennahrung, nicht von digitalen Unterrichtsmaterialien.

#twlz #BayernEdu

Ich fasse zusammen: Weniger als die Hälfte unserer Klassen soll in den Wechselunterricht gehen, während mehr als die Hälfte der in Präsenz bleibenden geteilt werden müssten, um die Abstände einzuhalten. (Ja, wir haben an sich das Glück kleiner Klassen und großer Räume.)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Bayern viele Schulen geben soll, an denen das eine echte Erleichterung bringt, binnen drei Tagen nun auf das neueste politische Konzept umzustellen.
Allen Schulformen ist gemeinsam, dass ihre Personaldecke sowieso nicht so dick ist,...

...wie es wünschenswert wäre. Um das zu zeigen, reicht normalerweise schon die Erkältungssaison.

An den Grundschulen bleibt alles so, wie es ist. Alles tutti? Klar, den riesigen Differenzierungs- und Inklusionsbedarf sieht man unter der Maske, um die die GS-Kolleg:innen...

...aller anderen Bundesländer die Bayern beneiden, vielleicht nicht ganz so deutlich.

An den Mittelschulen ohne M-Zug betrifft der Wechselunterricht einen Jahrgang von 5. Dass dort häufig Schüler:innen beschult werden, die so individuelle...

... Päckchen zu tragen haben, dass die Klassengröße es dringend erlauben müsste, Mindestabstände auch ohne Teilung einzuhalten, kann man ja dann ganz wunderbar unter den Tisch kehren, wenn 80% der Jahrgänge die heilige Präsenz genießen dürfen.

An allen mittleren Schulformen gehen immerhin 40% der Jahrgänge in den Wechselunterricht. Während die einen diesen gut zu nutzen wissen, vielleicht sogar aufblühen, werden die anderen an den Tagen ohne Präsenz auch geistig eher abwesend sein.

Und die Gymnasien, die Flaggschiffe des bayrischen Bildungssystems? Auch hier darf man sich getrost fragen, wie der Hybridunterricht für die 50% der Jahrgänge ablaufen wird - und weil mebis nach wie vor oft unbeliebt und Teams zeitlich befristet ist, wird man x-mal...

...so viele Antworten bekommen, wie es Gymnasien gibt.

Ich habe in den letzten 6 Schuljahren die weiterführenden Schularten, die es in Bayern gibt, aus der Innenperspektive gesehen. Überall arbeiteten engagierte Menschen. Aber überall waren es immer ein paar zu wenig,...

...als dass die Lage entspannt gewesen wäre. Überall war technisches Know-How vorhanden. Aber nirgendwo gab es ein Plug'n'Play-Kollegium, das von heute auf morgen die didaktisch-methodische Vielfalt des analogen Klassenzimmers digital abbilden hätte können.

Überall machen sich die Kinder und ihre Lehrer:innen Sorgen: Um die eigene Gesundheit und die ihrer Lieben. Um die eigene Arbeitsbelastung und die des Gegenübers.
Nirgendwo können die Lösungen eingesetzt werden, die sonst immer Wunder wirken: eine Umarmung unter Freunden oder...

...eine Spielstunde, die für ein Weilchen den Ernst des Lebens vergessen lässt.

Ich begrüße ausdrücklich, dass in den Worten endlich mal wieder mehr Maßnahmen stecken als in der salbadernden Vertröstungsrhetorik des bisherigen "Lockdown Light".

Gleichzeitig kann ich es nicht fassen, dass man an das Verantwortungsgefühl der breiten Bevölkerung appelliert, den Schulen den Spielraum der Eigenverantwortung nicht längst eingeräumt hat, denn die überwiegende Mehrheit derer, die dort arbeiten, wissen dieses Wort...

...täglich mit Bedeutung zu füllen.

Wir leben im Jahr 2020. Nie war es so einfach, auch auf Distanz in Kontakt zu bleiben. Nie hätte man einfacher und schneller, sogar für ein ganzes (Bundes-)Land den echten Betreuungsbedarf ermitteln und darauf aufbauend Konzepte...

...entwickeln lassen können. Wenn, ja wenn, man den Schulen die Eigenverantwortung zugestünde, die Teile der Bevölkerung außerhalb öffentlicher Einrichtung mit Füßen treten dürfen.

Wir sind müde. Müde davon, dass unsere Pläne nichts wert sind, weil wir Plan A-E in...

...der Schublade haben, aber Plan H verlangt wird. Müde, den Kindern die gleiche Zahl an Prüfungen abzuverlangen wie in sorgloseren Zeiten. Müde, auf Abstand zu sein und dennoch wahrscheinlich nicht genügend Platz zu haben, der Gefahr auszuweichen.

Während man politisch an so viel Status Quo festhält wie nur irgendwie möglich, verliert dieses System noch schneller und fundamentaler Vertrauen als zuvor.
Die, die jetzt in den Schulbänken sitzen und frieren, werden wählen. Bald. Sie werden Kinder haben. In nicht allzu...

...ferner Zukunft.
Und so arbeiten wir weiter jeden Tag daran, dass sie lernen, die Ergebnisse der Wissenschaft zu lesen und ihre Methoden zu verstehen, Anne Frank und Sophie Scholl von Verschwörungserzählungsgläubigen zu unterscheiden und in den sozialen Medien den...

... Anstand nicht zu vergessen, auch wenn unser Lehrplan ohne das schon voll genug wäre, auf dass sie trotz aller Uneinigkeiten und taktischen Spielchen den Wert der Freiheit in der Demokratie und die Bedeutung des Kompromisses zu schätzen wissen.
Wir erinnern an Abstand...

... und Maske, desinfizieren und machen Videokonferenzen.

Alles in der seligen Hoffnung, dass es irgendwann vorbei sein möge. Und in der naiven Annahme, dass wir uns dann das Vertrauen der Politik vielleicht endlich verdient haben, um wirklich etwas...

...zum Zeitgemäßen zu verändern.

In diesem System gäbe es sicherlich die ein oder andere Veränderung, die zur Gesundheit aller beitragen könnte. Und das wäre - auch "nach" einer Pandemie - sicherlich nichts Schlechtes.