Ich höre oft, dass eine stärkere Infektionsschutzmaßnahmen durch die Regierung nicht möglich wäre, wegen der Erfahrungen mit dem totalitären NS-Regime. Als wäre die NAZIs ohne die mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung an die Macht gekommen.
Dass die südkoreanische Regierung so effektiv die Maßnahmen durchsetzen kann und die Menschen größere Bereitschaft zeigen, wird häufig als ein Beweis für den vermeintlich fehlenden Sinn für die Demokratie auf allen Ebene verklärt.
Ja, die Demokratie ist jung und dynamisch dort. Südkorea hat im 20.Jhdt. die japanische Kolonialherrschaft und zwei Militärdiktaturschaft erlebt. Aber die zivile Gesellschaft dort hat genau so lange Erfahrungen und Geschichte mit dem Widerstand.
Die staatliche Intervention war langwierig und allgegenwärtig, aber die Menschen sind nicht abgestumpft. Wir sind stolz, drei ehem. Staatspräsident*innen in den Knast geschickt zu haben.
Was häufig ausgeblendet wird, ist, dass die zivile Gesellschaft dem südkoreanischen Staat abverlangt, seine fundamentale Aufgabe zu bewältigen: nämlich die Schutz des Leben der Menschen.
Die Beamt*innen arbeiten dort mit Hochdruck gegen die Pandemie, nicht etwa in der Machtbetrunkenheit, sondern aus dem Verantwortungsbewusstsein und der Notwendigkeit, dem hohen Anspruch der Bürger*innen gerecht zu werden. Denn das Misslingen dieser Grundaufgabe führte zur ...
kompletten Verlust des Vertrauens an die letzten Park Geun-hye Regierung. Es war die Korruption und der Machtmissbrauch, für die die Ex-Präsidentin jüristisch verantworten musste, aber es war ihr katastrophale Versagen in der Aufarbeitung des Sewol-Schiffsunglück 2014, das ...
... sie und die gesamte Regierungspartei (damals Saenuri-Partei) unregierbar machte. Dazu kam noch ihr Versagen in MERS-Pandemie 2015, das mit Roh Mu-hyuns Krisenmanagement während der SARS-Pandemie 2003 direkt verglichen wurde. Die Bürger*innen wählten die Oppositionellen, denn
sie sahen sich von der Unfähigkeit der Regierung während der Pandemie bedroht. Sie wollten eine funktionierende, fähige Regierung haben und das wissen die Expert*innen der jetzigen Moon Jae-in Regierung sehr wohl. Der Staat muss die Bürger*innen von der Pandemie schützen, sonst
wird es schnell zur Abwahl kommen.
Was ich sagen wollte, war: Der Einsatz der staatlichen Gewalt per se ist nicht etwas Böses, solange die Zivilgesellschaft ihre Funktion erfüllt. Der Staat muss sogar dies tun, um möglichst viele Menschen gesund am Leben zu halten.
Funktioniert die Zivilgesellschaft in Deutschland? Stellt sie klare und vernünftige Forderungen an die Regierung? Funktioniert die Kommunikation zwischen ihr und dem Staat? Was den Staat bewegt, ist die Bürger*innen. Wollen wir nur feiern, oder darüber hinaus zusammen leben?
Nachtrag 1. Ein Freund von mir hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass die NSDAP bei der freien Wahl weder vor 1933 noch im März 1933 über 50% der Stimme gewann. Also zumindest zum Zeitpunkt ihrer Machtübernahme unterstütze keine Mehrheit der deutschen Gesellschaft Nazis.
Meine Aussage, dass Nazis mit der "mehrheitliche Zustimmung" an die Macht gekommen wäre, stimmt deshalb nicht (danke nochmal für die Richtigstellung, B.!). Die bleibende Frage für mich ist dann, ob das, was nach März 1933 NSDAP machte, von der Bevölkerung scharf trennbar wäre.
Nachtrag 2. Es waren nicht drei, sondern vier Ex-Präsident*innen Südkoreas, die im Knast landeten. Jeon Du-hwan (Amtzeit 1980-1987), Roh Tae-woo (1988-1993), Park Geun-hye (2013-2017) und Lee Myoung-bak (2008-2013). Lee bekam 17 Jahre im letzten Oktober.
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Jan Böhmermanns Spruch ist ein hervorragendes Beispiel von "Schaltmomente". Er sagt, wie sehr er das Essen von seinem Lieblingsrestaurant vermisst, so dass er versucht, das chinesische Gericht nachzuahmen - dann packt er den verletztenden Spruch raus. @FestFlauschig@janboehm
Die Schaltmomente können jeder Zeit entstehen. Als ich einem Freund von mir erzählte, die Wohnung sauber gemacht zu haben, grinste er und sagte: "Ach, ich hätte gerne auch so einen fleißigen Koreaner als Partner." Warum "Koreaner" statt einfach "Mensch"?
Die Sendung beginnt mit dem Satz "Entspannte Unterhaltung mit Fest & Flauschig". Es mag sein, dass sich Jan Böhmermann und Olli Schulz beim Aufnehmen sehr entspannt haben - sowie die Junggesell*Innen, Fußballfans und Karnevalist*Innen, die rassistische Sprüche loslassen.@janboehm