Juristisch ist der #HalleProzess nach dem Urteil abgeschlossen, das Attentat aufgearbeitet. Politisch geht die Aufarbeitung heute im @Landtag_LSA im U-Ausschuss weiter: @JeremyBorovitz sagt als erster Zeuge aus. (1/x)
Rabbi @JeremyBorovitz hat die Gruppe der Jüdinnen und Juden geleitet, die aus Berlin an Jom Kippur nach Halle gekommen waren. Er sagt: Es habe über 1Std gedauert, bis die Evakuierung durch die Polizei aus der Synagoge begann (2/x).
Als die Evakuierung lief, soll die Polizei den Gläubigen zunächst untersagt haben, koscheres Essen mitzunehmen (nach einem Fastentag), berichtet der Rabbi. Pol. hat schließlich erlaubt, jede:r könne eine kleine Menge mitnehmen.
Schwerwiegender: @JeremyBorovitz und seine Frau waren von ihrer Tochter (Kleinkind) getrennt, die mit einer Babysitterin außerhalb der Synagoge war. Die Polizei habe sich geweigert, Babysitterin und Tochter zu ihm zu lassen. (4/x)
Während der Aussage kommt der Abgeordnete Mario Lehmann (AfD) verspätet in den PUA, redet zunächst mit den anderen AfD-Abgeordneten, zeigt keine Achtung für die laufende Aussage des Überlebenden. (5/x)
Der Zeuge sagt, er habe den Eindruck gehabt, die Polizei habe ihn als jmd. wahrgenommen, der für Probleme gesorgt habe - und nicht als Betroffenen eines Terroranschlages. (6/x)
Rabbi @JeremyBorovitz berichtet weiter: nach der Evakuierung ins Krankenhaus St. Elisabeth & St. Barbara hatte die Gruppe dort ihr Gebet fortgesetzt ("zutiefst menschlicher Moment, Suche nach Hoffnung") - die Polizei wollte das Gebet unterbrechen. (7/x)
Das Krankenhauspersonal verhinderte, dass die Beamten das Gebet unterbrechen konnten. Borovitz sagt, er verstehe nicht, warum die Polizei nicht so verständnisvoll war, wie die Mitarbeitenden des Krankenhauses. (8/x)
Ständig seien Befragungen wiederholt wurden: Es seien immer neue Polizei-Beamte gekommen, die immer gleiche Fragen gestellt hätten "und das Ganze begann von vorn". (8/x)
Der Zeuge bezeichnet es als "Show", wie die Polizei die Überlebenden später in einem Hotel bewacht habe: Als die Betroffenen das Hotel verlassen hatten, blieben die Beamten dort vor Ort - ohne sich um die Sicherheit der Überlebenden zu kümmern. (9/x)
Das Fazit des Zeugen @JeremyBorovitz: "Wir wussten nie, wer zuständig war [von der Polizei, RJ], wen man ansprechen sollte. Niemand schien eine Ahnung zu haben, wer Juden sind und was sie an diesem Tag dort gemacht haben." (10/x)
Weiter sagt @JeremyBorovitz: "Ich habe das Gefühl, bei vielen - nicht allen, aber bei vielen - Beamten war ein Mangel an menschlicher Empathie. Sie sahen uns nicht als die Opfer, die wir waren." (11/x)
Ausschussvorsitzender @StriegSe fragt, ob es Informationen von Polizisten an die Überlebenden in der Synagoge gab. Antwort: "Wir hörten nichts über die Evakuierung, bis uns gesagt wurde, wir werden sofort evakuiert. 'Sofort' dauerte über eine Stunde." (12/x)
Rabbi @JeremyBorovitz und seine Frau haben auch im #HalleProzess schon als Zeug:innen ausgesagt und von den Ereignissen und dem Verhalten der Polizei berichtet. Einen ausführlichen Bericht von den Aussagen von Gericht gibt es hier: mdr.de/sachsen-anhalt…
Es hätte genügt, wenn die Polizei die Überlebenden überhaupt einmal gefragt hätte "Wie geht es Ihnen? Was brauchen Sie?" - erklärt @JeremyBorovitz im Zeugenstand im U-Ausschuss im @Landtag_LSA. (14/x)
Darüber hinaus habe sich keiner der Beamten, mit denen er gesprochen hatte, vorgestellt. Er könne nicht sagen, ob es Beamte des Reviers Halle, der Polizeiinspektion Halle, des Landes- oder Bundeskriminalamtes waren - erklärt @JeremyBorovitz auf eine Frage von @StriegSe. (15/x)
Der Zeuge @JeremyBorovitz: “Ich bin ein Mensch, der den schlimmsten Tag seines Lebens erlebt hatte - und ich wünschte, sie [die Polizeibeamten] hätten das erkannt. Ich wünsche, wenn Polizeibeamte dem nächsten Opfer eines Verbrechens begegnen, dass sie Mitgefühl aufbringen” (16/x)
Wir (@EiramSednal und @JanaMerkel u ich) haben für unseren Film "Das Leben danach - Das Attentat von Halle" auch beim Innenministerium Sachsen-Anhalt nach den Vorwürfen der Überlebenden gefragt. Hier findet ihr den Film:
ardmediathek.de/ard/video/exak…
Der Abgeordnete @robert_farle (AfD) sagt, Polizei habe Defizite im menschlichen Umgang auch mit Deutschen. Frage an den Zeugen: Hat Stadt Halle zivile Betreuungskräfte zur Verfügung gestellt?
Erwiderung von @JeremyBorovitz an den Abgeordneten @robert_farle (AfD): Es passiere oft, wenn man aus jüdischer Perspektive berichte, werde sofort die deutsche Perspektive gegenübergestellt und die jüdische so ausgelöscht.
Zur Frage des MdL Farle sagt der Zeuge: Das Krankenhauspersonal habe große Unterstützung gezeigt, die Polizei hingegen habe keine Verantwortung übernommen.
Die Aussage von @JeremyBorovitz endet. Nach ihm sollen noch 3 weiteren Zeug:innen aus der Synagoge vor dem Untersuchungsausschuss sprechen. (21/x)
Die zweite Zeugin spricht. Sie möchte nicht gefilmt werden und ich finde sie nicht auf Twitter - ich werde ihren Namen nicht nennen. (22/x)
(Wegen eines Verständnisproblems wird die Ausschuss-Sitzung unterbrochen, eine Dolmetscher-Lösung wird gesucht)
Die Reihenfolge der verbleibenden Zeuginnen wird geändert, eine weitere Überlebende betritt den Zeugenstand. (24/x)
@StriegSe fragt, ob Polizeibeamten sich ihr vorgestellt und Informationen gegeben haben. Antwort der Zeugin: Kommunikationsmanagement sei sehr schlecht gewesen. Nur ein SEK-Beamter habe kurz vor der Evakuierung gesagt, dass evakuiert werde. (25/x)
Sie beschreibt ihren Eindruck von der Organisation der Polizeikräfte vor Ort, an der Synagoge: "Als ob die Polizisten selbst nicht wussten, wer was machen soll." (26/x)
Der erste Polizist, den die Zeugin in der Synagoge gesehen habe - offenbar ein SEK-Beamter - sei gekleidet gewesen wie der Attentäter [der militärische Kleidung trug, RJ]. (27/x)
Was die Zeugin "befremdlich" fand: Es war zwar ein Sichtschutz aufgestellt worden, in dem der Bus zur Evakuierung hätte halten können - doch d habe davor gehalten.

(Dazu: mehrere Betroffene hatten erklärt, es als unangebracht u unangenehm empfunden, im Bus gefilmt zu werden)
Ein Gespräch zwischen Polizisten während der Evakuierung hat die Zeugin als abfällig empfunden: Ein Beamter soll zum anderen abfällig gesagt haben "Das sind alles Juden da drin" (29/x)
Auch dieser Zeugin hatten sich die (Zivil-)Beamten, die sie später vernommen hatten (nach der Evakuierung) nicht vorgestellt. Sie kann nicht sagen, ob die Beamten Teil des Reviers oder der Polizeiinspektion Halle, des LKAs oder BKAs waren. (30/x)
"Es gab Null-Kommunikation mit der Polizei. Wir wussten nicht, was draußen vor sich geht, ob es noch gefährlich ist" - so fasst die Zeugin ihre Wahrnehmung des Wartens in der Synagoge zusammen. "Das Nicht-Wissen war schlimmer als das Ausharren." (31/x)
Weiterhin erklärt die Zeugin: Für die fehlende Kommunikation sehe sie nicht die einzelnen und Polizisten in der Verantwortung - "Es gibt dafür kein Konzept."
Ich finde es wichtig, auch die Reaktion des Innenministeriums auf die Vorwürfe in diesem Thread zu spiegeln. Auf unserer Anfrage (s.o.) hat das Innenministerium erklärt:
"dass das Hauptaugenmerk an diesem Tag darauf lag und liegen musste [...] durch mannigfaltige polizeiliche Maßnahmen die unmittelbaren Voraussetzungen für ein beweissicheres Ermittlungs- und Strafverfahren zu schaffen." (Antwort des MI an MDR SACHSEN-ANHALT)
weiter schrieb das Ministerium: "Dass dies zu Lasten der gebotenen Sensibilität im Umgang mit Betroffenen geschah, bedauern wir."
Die Zeugin wird nach ihrer Fachkenntnis zur Polizeiarbeit gefragt - sie antwortet, sie habe in Großbritannien den Studiengang "Global Crime and Justice" an der Universität Edinburgh studiert.
Die Zeugin zeigt sich irritiert, dass die @AfDFraktionLSA, auf deren Betreiben hin dieser Untersuchungsauschuss eingesetzt wurde, so wenige Fragen stelle. @robert_farle, @StriegSe und RA Lupschitz sprechen über den Untersuchungsauftrag. (37/x)
Der Abgeordnete Mario Lehmann (AfD) fragt zum Umgang mit den traumatisierten Betroffenen: "Wirkte die Polizei kopflos, panisch, oder nur kühl, abweisend?" (38/x)
Die Zeugin sagt noch einmal, dass sie den einzelnen Polizisten keinen Vorwurf mache, sie hätten es in ihrer Ausbildung vielleicht nicht besser gelernt. (39/x)
Der Abgeordnete Mario Lehmann (AfD) fragt nach Kontakt zum THW, das neben der Polizei auch vor Ort an der Synagoge gewesen sei - der Vorsitzende @StriegSe sieht das nicht als Teil des Untersuchungsauftrages, AfD-Abgeordnete protestieren als Lehmann das Wort entzogen wird. (40/x)
Die Zeugin wird aus dem Zeugenstand entlassen. Als nächste wird voraussichtlich @molussia_anders vor dem Untersuchungsausschuss sprechen. (41/x)
Die Überlebende @molussia_anders ist im Zeugenstand. Sie beginnt mit einer Erklärung - sie sagt, sich möchte zum der Umgang der Polizei mit den frisch-Traumatisierten sprechen, zur Nachwirkung des Erlebten, zum Umgang mit Jüdinnen und Juden, wie sie den Umgang mit Jana L erlebte.
Als bei der Evakuierung Beamte in die Synagoge kamen, seien diese - wie der Angeklagte - mit Schutzweste und Helm gekleidet, sie seien "nicht kommunikationsfreudig" gewesen.
Sie sagt, sie sei irritiert gewesen, dass der Bus zur Evakuierung ein normaler Bus des ÖPNV gewesen sei. Auch sie kritisiert, von Medien gefilmt worden zu sein - Angehörige hatten aus den Berichten erfahren, dass sie in Halle war. (Auch wir vom MDR haben diese Bilder verwendet.)
Die Zeugin berichtet ebenfalls von einem Polizisten, der sich nicht ausgewiesen hatte - er habe ihr die Situation nicht erklärt, habe nur "Wollen Sie jetzt gesagt?" und dass sie ohne Aussage das Krankenhaus nicht verlassen könnte.
Der Beamte habe sich unsensibel verhalten: Dass gläubige Juden und Jüdinnen an Jom Kippur keinen Personalausweis tragen (und kein Handy) habe der Beamte als "komisch" kommentiert. Die Zeugin hat das als sehr unangenehm empfunden. D Pol habe kein Interesse an ihr gezeigt. (46/x)
In dem Hotel, in das die Überlebenden aus dem Krankenhaus gebracht wurden hatte die Polizei Zimmer reserviert - nicht für die Betroffenen, sondern für die Beamten, schildert die Zeugin. Betroffene seien an eine Notschlafstelle verwiesen worden. (47/x)
"Ich habe ein Trauma mitgenommen von diesem Attentat", doch der Umgang der Polizei mit ihr habe ein zweites Trauma hervorgerufen, sagt @molussia_anders: "Ich habe Angst, ich vertraue diesen Menschen nicht". (48/x)
Die Zeugin sagt weiter, sie habe ihr Sicherheitsgefühl in Deutschland verloren.
Sie sagt, als sie auf dem Bildschirm einer Überwachungskamera die getötete Jana L. sieht, sei es ihr erster Impuls sei es gewesen, die Synagoge zu verlassen und zu helfen. Sie mache sich den Vorwurf, nicht herausgegangen zu sein. (59/x)
"Wie kann es eigentlich sein, dass der Attentäter mehr wusste über jüdisches Leben, als die Polizei?" fragt @molussia_anders im Untersuchungsausschuss am Ende ihrer Aussage. Nun folgen Fragen der Abgeordneten. (51/x)
@StriegSe fragt noch einmal nach, ob sich im Verlauf des Tages des Attentates ein Polizeibeamter vorgestellt hat und erklärt hat, was als nächstes passiert. Die Zeugin antwortet: Nein. Die Beamten hätten nur in einzelnen Worten, nicht aber in zusammenhängenden Sätzen gesprochen.
In einem nach d Attentat auf d Breitscheidplatz 2016 erarbeiteten Leitfaden zur Polizeiarbeit nach einem Anschlag hieß, "der Mensch solle im Mittelpunkt" stehen, sagt @StriegSe. Ob d Zeugin d Eindruck habe, d Polizei sei d Anspruch gerecht geworden? "Ganz und Gar nicht." (53/x)
Ich komme nicht umhin, wieder das Verhalten eines Abgeordneten beschreiben zu müssen. Mario Lehmann (AfD) isst und trinkt während der Aussagen, schaut aufs Handy usw. Mein Eindruck: Der Abgeordnete (und Polizist!) zeigt durchweg Nichtachtung der Zeuginnen und Zeugen. (54/x)
(zugegeben: Viel Aufmerksamkeit auf ihre Telefone richten auch weitere Abgeordnete hier, ich als Beobachter ebenfalls)
Die Befragung der Zeugin geht zu Ende. Ausführlich lassen @EiramSednal und ich @molussia_anders ebenso wie den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in unserem Podcast "Das Leben danach" zu Wort kommen, in dieser Folge zur Polizeiarbeit: audiothek.ardmediathek.de/items/82812858
Noch steht die Aussage der Zeugin aus, die vorhin verschoben werden musste. Ich kann diese leider nicht mehr verfolgen. Hoffe aber, hier einen ausreichenden Einblick in die Ausschuss-Sitzung gegeben zu haben. (57/57)
(ich bin doch nicht gegangen). Die Zeugin spricht davon, dass die Polizei während der Evakuierung die Jüdinnen und Juden mit Kärtchen nummeriert habe. "Ich habe mich gefühlt wie ein Kriegsopfer", sagt sie. (58/x)
Weitere Fragen der letzten Zeugin hatte ich leider nicht mehr verfolgen können. (Zeitdruck, um meinen Bericht noch zu fertigen). Aber das Detail aus dem letzten Tweet war einfach m.M. zu wichtig, darauf konnte ich in diesem Thread nicht verzichten.
Noch ein letzter Punkt i.e. Sache: Gerade geht d letzte Podcast-Folge zum #HalleProzess online, in dem @EiramSednal und ich d Urteil einordnen, mit Stimmen von Zeug:innen. Diesen Abschluss hat es aus unserer Sicht noch gebraucht. mdr.de/mdr-sachsen-an… (auch auf Spotify usw.)

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